Immer im Rampenlicht. Bernd R. Hock

Immer im Rampenlicht - Bernd R. Hock


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zum ersten Mal. Das ist die beliebteste Faschingsveranstaltung in der ganzen Gegend. Wenn du hier auftrittst, wird über dich geredet. Richtig fette Promo. Die nehme ich natürlich gerne mit.«

      Tausendfünfhundert Menschen! Wo ist das nächste Tier-Kostüm?! Ich will hinein, um mich darin zu verstecken.

      Die Garderobentür wird geöffnet und Bettina, die zierliche, selbstbewusst wirkende Regieassistentin, steckt ihren Wuschelkopf herein: »Corinna! Du bist gleich dran. Bist du so weit?«

      Corinna präsentiert sich mit einer Bewegung wie ein »Nummern-Girl« aus dem Varieté, entlockt Bettina allerdings überhaupt keine Regung. Stattdessen wendet sie sich an mich: »Bernd, nach Corinnas Hühnchen-Darbietung wird das Motto-Lied mit dem Publikum gesungen und danach bist du dran! Du kannst dich also auch gleich auf den Weg zur Bühne machen.«

      Corinna hat sich schon an uns vorbeigeschoben und ist weg. Bevor auch Bettina wieder verschwindet, schaut sie mich etwas gedankenversunken an. Wie oft in solchen Augenblicken glaube ich, ihre Gedanken lesen zu können: »Ob das richtig war, den zu engagieren? Der hat keine Bühnenerfahrung, ist offensichtlich behindert – und dann hier in so einer bedeutenden Sitzung. Das geht nicht gut.«

      Doch Bettina verschwindet ohne ein weiteres Wort. Ich schaue mich noch einmal im Spiegel an: platte Frisur, viel zu große Brille und viel zu großer Bauch. Mit einem Achselzucken und einem leichten Kopfschütteln verlasse ich meine Garderobe und gehe durch einen schmalen Flur. Je näher ich der Bühne komme, desto lauter wird die Musik – und ein lautes Gackern vom Band. »Okay, Corinna zieht gnadenlos durch!«, schießt es mir durch den Kopf.

      Ich gelange an den Bühnenrand, von wo aus ich im Schutz des Seitenvorhangs das Geschehen genau verfolgen kann. Die Halle ist ausverkauft. Über 1 500 Menschen in Feierlaune warten, nein, nicht speziell auf mich, aber anscheinend mehr auf gute Satire als auf flache Gags.

      Ich treffe erneut auf die Regieassistentin, die mir letzte Anweisungen gibt: »So, Bernd, nach dem Lied werden wir deinen Tisch in die Mitte der Bühne tragen und du wirst angesagt. Dann gehst du bitte direkt auf deine Position und lieferst den Beitrag ab!«

      Mein Lampenfieber schießt in schwindelerregende Höhen. Ich bin der einzige Neuling in der Szene an diesem Abend und werde nächsten Monat gerade mal zwanzig Jahre alt. Okay, ich parodiere hobbymäßig Promis aus Politik, Sport und Showbusiness, für meine Begriffe aber mehr schlecht als recht. Alles bisher nur für den Hausgebrauch. Auf Geburtstagsfeiern – »Mensch, Bernd, mach doch mal den Helmut Kohl!« –, auf Schul- oder Studentenfesten und immer vor Publikum, welches mich kennt und mir wohlgesonnen ist. Niemals vor Fremden und niemals vor so einer großen Masse. Warum habe ich mich nur in dieses Engagement hineinquatschen lassen?

      Corinna ist gerade dabei, sich unter verhaltenem Applaus zu verbeugen. Für meine Begriffe ist sie immer noch nicht unterhaltsam in ihrem Kostüm, nur peinlich. Jetzt verlässt sie die Bühne und kommt direkt auf mich zu: »Ein Scheiß-Publikum! Kein bisschen locker. Voll bescheuert! Bin froh, dass ich es hinter mir habe. Zieh einfach professionell durch. Hörst du? Abhaken. Toi, toi, toi!«

      Ich hoffe spontan auf Feueralarm oder Stromausfall oder etwas anderes, das den sofortigen Veranstaltungsabbruch nach sich ziehen würde. Noch befinde ich mich im Schutz des Seitenvorhangs.

      Der letzte Refrain des geselligen Stimmungsliedes reißt mich aus meinen Gedanken. Ich beobachte, wie zwei Bühnenarbeiter für meine Darbietung einen Tisch in die Mitte der Bühne tragen, einen Stuhl dahinterstellen, ein Mikrofon aufbauen und mein Skript bereitlegen.

      Im Saal wird das Licht wieder dunkler, auf der Bühne auch. Tisch und Stuhl werden mit einem Spot ausgeleuchtet.

      Irgendwie kriege ich jetzt Bock! Ganz plötzlich. Ich kann es nicht erklären, aber von der einen auf die andere Sekunde sinkt mein Lampenfieber, als hätte man mir riesige, eiskalte Wadenwickel gemacht. Ich bin bereit. Ich habe Lust. Ich will raus!

      Nun sagt mich doch endlich an!

      Endlich höre ich meine Stichworte: »Begrüßen Sie jetzt mit einem donnernden Applaus …«, der Sitzungspräsident muss noch einmal auf seinen Notizzettel schauen, ich laufe schon los. »… Bernd Hock!«

      Ich gehe direkt zu meinem Tisch. Nicht schüchtern, nein, ich schreite festen Schrittes. Ich gehe nicht wie ein Anfänger in Trainingshose, ich trete auf!

      Der Begrüßungsapplaus ist ganz und gar nicht donnernd. Kein Vorschuss, einfach Geklatsche halt. Wahrscheinlich hat das Publikum nicht mit einem »Behinderten« gerechnet.

      Als ich am Tisch sitze, schaue ich ins Publikum, obwohl ich es aufgrund des Scheinwerfers gar nicht richtig sehen kann. Ich mache nichts, schaue nur. Mit mir zusammen haben an diesem Samstag, den 13. Februar 1988, 14 prominente Personen aus den Bereichen Politik, Sport, Show-Business, Kirche und Journalismus Platz genommen, die ich nun gleich in Mimik, Gestik und vor allem in ihrer Stimmlage parodieren und in meiner Satire agieren lassen werde, unter ihnen Ronald Reagan, Willy Brandt, Boris Becker und der Papst.

      Die Aufregung, die ich jetzt spüre, ist gut, sie macht mich high. Gleichzeitig habe ich aber auch noch etwas Angst vor einem Texthänger oder davor, dass mir eine Parodie nicht so gut gelingen wird.

      Ich beginne mit meiner Parodie der Journalisten-Legende aus dem WDR, Ernst-Dieter Lueg, und stelle alle Promis am Tisch einmal kurz vor. Die Stars parodiere ich jeweils, kurz nachdem Lueg sie vorgestellt hat, lediglich pantomimisch. Das kommt schon recht gut an und ich freue mich, dass das Publikum reagiert.

      Als Ernst-Dieter Lueg stelle ich nun Helmut Kohl eine Frage. Für die Antwort ziehe ich mir eine entsprechende »Kohl-Brille« auf, modelliere mimisch das Kanzler-Doppelkinn, Zunge raus, Zunge rein und Ton zum Bild: »Also in aller Enchiedenheit, Herr Lueg …« Ich werde direkt von Applaus unterbrochen und das Orchester spielt drei Tuschs! Ich empfinde ein Glücksgefühl, welches ich in meinem späteren Leben immer nur auf der Bühne oder beim Sex empfunden habe.

      »Ich krieg sie!«, denke ich. Ich bin dort, wo ich mich wohlfühle: im Mittelpunkt des Geschehens. Ich genieße die volle Konzentration des Publikums. Dass man diese Gabe professionell »Bühnenpräsenz« oder etwas deftiger ausgedrückt das »Rampensau-Gen« nennt, wusste ich damals noch nicht.

      Jetzt komme ich in den sogenannten Flow, den jeder Künstler kennt. Ich koste die von mir deutlich überzeichneten Charakteristika der Promis bis ins Letzte aus, lasse mir Zeit und genieße es, dass meine Pointen und Wortspiele zünden.

      Die Promis streiten miteinander und meine Überzeichnungen sorgen immer wieder für spontanen Zwischenapplaus und Tuschs. Mein Publikum geht total ab, ich fliege durch meine Nummer. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung und Freude im Saal, dass ich es kaum fassen kann.

      Ich bin ein Star! Bitte hol mich niemals jemand hier raus! Kein Defizit steht im Mittelpunkt. Man nimmt mich so wahr, wie ich gerne bin. Ich genieße es, dass ich angeguckt und beobachtet werde, weil so viel Positives rüberkommt. Ich fühle mich angenommen!

      Das Schaumbad der Bewunderung ist eingelassen und ich tauche ganz tief ein und genieße. Nicht still, das bin ich nicht. Ich genieße laut. Ich gebe alles, verausgabe mich total. Schwitze wie ein Schwein und presse die verschiedenen Stimmen am Kehlkopfdeckel vorbei, bis ich im Verlauf der Nummer etwas heiser werde.

      Das ist perfekt für meine abschließenden Parodien von Willy Brandt und Ronald Reagan, dem vierzigsten Präsidenten der USA. Danach mache ich den Sack zu und wünsche allen als Ernst-Dieter Lueg »eine gute Nacht!«.

      Ich stehe auf und verbeuge mich. Setze mich wieder hin, denn ich muss mehrere Zugaben geben. Eine habe ich vorbereitet, dann folgen noch weitere vier, alle spontan. Als ich wieder aufstehe, um mich endgültig zu verabschieden, bleibt mein bündchen-freies rotes Sweatshirt nicht in der Position hängen, in die es durch meine gedrungene Sitzhaltung geschoben wurde, sondern fällt nach unten und verdeckt meinen untersten Rettungsring aus Fett. Perfekt! Ich trete ganz nach vorne an den Bühnenrand, die »Sau« tritt an die Rampe. Heraus aus dem grellen Licht des Scheinwerfers, der mir den Schweiß literweise aus den Poren treibt. Ich will dieses großartige Publikum sehen, mich bedanken bei den Menschen, die mich angenommen


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