Am Meer. Peter Seeberg
dreht sich gegen Mittag der Wind“, sagte Grethe und wußte nicht, daß sie recht bekommen würde. „Vielleicht ändern sich die Temperaturverhältnisse dann so, daß wir eine frische Brise und schöne Wellen kriegen.“
„Ich denke, ich geh mit euch“, sagte Mogens. „Ich hab eigentlich große Lust.“
Und sie zogen sich alle aus.
Von den Liegestühlen aus, die schon aufgestellt worden waren, sah man ihnen nach, man kletterte aus den Sandburgen, an denen man gerade baute, und Autos nahmen neugierig Kurs auf die vier nackten Gestalten, die Hand in Hand zum Meer hinabliefen, das leise mit einer Verbrämung aus Muschelschalen und Bernsteintang schwappte, sie zurücklassend und bereits lange durch geriffelte Barrieren voneinander getrennte Wasserbecken freilegend. Sie liefen nebeneinander, Mogens, auf seinem Flügel, zog sie vorwärts, dann trennten sie sich und liefen paarweise weiter, und schließlich ging Mogens allein voran, die anderen, außer Atem, gestaffelt hinter ihm.
8.45
Biggie saß in seinem Auto am Strand und betrachtete sie, alle vier schlank, braune Rücken, glatte, federnde Pobacken, das eine Mädchen mit großem, ausladendem Busen und kurzgeschnittenem schwarzem Haar und einer Löwennase im breiten Gesicht, im ganzen ziemlich groß, das andere ein bißchen schwach über den Lenden und ein bißchen rundrückig wie ein Büroangestellter, mit leichter Hängebrust und dünnen, feinen Armen, über die das blonde Haar herabhing; die Mädchen trugen um Knöchel, Handgelenke und Hals auf Lederschnüre gezogene Glasperlen, die Männer nur um den Hals. Ihr Auto stand weiter oben am Strand, ein verbeulter Wellblech-Lieferwagen, zum Wohnen eingerichtet, vollgepinselt mit fröhlichen Menschen, Sonnen, Meer und Bäumen und vielen Aufforderungen.
Biggie fuhr weiter. Er beobachtete die vier noch im Rückspiegel, als sie sich in die Wellen warfen und prustend wieder aufstanden, hüpfend, rufend, das Haar zurückstreichend, sich übereinander ins Wasser werfend.
Als Typen waren sie ihm nur zu gut bekannt.
Er konnte etwas später wiederkommen.
8.55
„Faß mich um, Villy“, sagte Lone, „das Wasser zieht.“
Villy storchte auf Zehen zu ihr hin und umfaßte sie hoch unter den Armen, und während sie aufkreischte, trieb ihm die Strömung ihre Beine um die Schenkel. Er fiel hintenüber und zog sie mit sich hinab, und unten wirbelten sie in Süße und angstvollem Suchen nach Luft umeinander herum und gelangten durch das Grüne, wo sie ihre Gesichter erkannten, hinauf, hinauf ins Helle.
Sie fanden gerade noch Grund unter den Füßen.
Grethe stand weiter landeinwärts und warf sich in regelmäßigen Abständen ins Wasser, schwamm fünf Meter und stellte sich dann atemlos wieder hin. Mogens schwamm ruhig längst der Strandlinie.
„Sieh mal!“ rief er.
9.00
Auf dem ruhigen Wasser kam, immer gleichen Abstand zur Küste haltend, ein Brettsegler angeglitten, die ganze Zeit sein Segel nach der Brise richtend.
„Schöner Anblick“, sagte Mogens, „aber stellt euch mal vor, das würden alle machen.“
Sie sahen zum Strand zurück. Auto stand nun neben Auto. Windschutzdächer in Rot und Blau, Zelte, Luftmatratzen auf Autodächern, Liegestühle, Campingtische mit Kaffee und Brötchen.
„Das ist ja furchtbar“, sagte Villy.
„Ach was“, sagte Lone, „sie fühlen sich doch sehr wohl.“
„Sie langweilen sich“, meinte Grethe, „das siehst du doch.“
„Es gibt keinen, der sich am Meer langweilt“, sagte Lone. „Es ist größer als alles sonst.“
„Du vergißt, was sie alles tun, um sich auszustellen. Versuch doch mal zu sehn, wie sie sich einrichten, und dann guck dir das mal ein bißchen später an, wenn sich das Wasser etwas weiter zurückgezogen hat, dann fahren die hintersten vor, und es gibt einen Konkurrenzkampf ohnegleichen.“
„Ich sehe das nicht so“, sagte Lone. „Ich finde, ihr macht zuviel daraus.“
„Ich hab vor, hinterher ein bißchen rumzugehn und mir das anzuschaun“, sagte Mogens.
„Das ist doch ein herrlicher Strand“, sagte Lone. „Er behindert doch keinen, hier kann ja ganz Nordeuropa Sonnenschein schlecken.“
„Das tun sie doch auch, Lone!“ schrie Grethe. „Können sie sich denn nicht verteilen? Das würde ihnen viel besser bekommen.“
„Ich finde das ausgezeichnet“, sagte Lone. „Ich hab den Eindruck, ihr widersprecht euch selbst. Hier ist es doch wirklich wunderbar.“
„Wir müssen über das, was Lone sagt, nachdenken“, warf Villy ein.
„Selbstverständlich müssen wir das“, sagte Mogens, „wir müssen darüber nachdenken, wie wir sonst denken.“
„Ich hab mir übrigens nicht gedacht, mir Gedanken zu machen“, sagte Lone.
„So“, sagte Grethe, „warum denn das nun?“
„Für ein Weilchen, ja“, sagte Lone. „Ich leg mich oben in die Dünen.“
„Allein“, sagte Villy.
9.15
„Ja“, sagte Lone, „du kannst ja ein bißchen später versuchen mich zu finden.“
8.25
Im Hotel war niemand, davon war sie nun völlig überzeugt. Sie stand in der Vorhalle, und alles war aus Beton wie ein Bunker, und sie hatte sich so wild wie möglich ausstaffiert und so viel Make-up aufgelegt, daß sie nicht wußte, ob sie weinen oder lachen sollte.
Sie wollte hinaus in die Sonne, durch die Schwingtüren kamen sie ihr entgegengetaumelt, erfrischt und dennoch mit einem bitteren Geruch nach Schweiß.
Wenn sie wüßten.
Sie schlenderte an den Minimärkten vorbei bis zum Platz vor dem alten Restaurant und dann über die Dünen, den Vorstrand und den riesigen weißen Strand, wo sich die Autos bereits in zwei Reihen geordnet hatten. Über die ganze südliche und nördliche Küste verteilt standen überall Autos, wimmelte es überall von kleinen Ameisenwesen auf Hinterbeinen, die sich Menschen nannten. Sie kam sich wie ein Pferd vor. Über der Ponyranch war schon die Fahne gehißt, und obgleich es noch nicht einmal halb neun war, herrschte dort schon dichtes Gedränge vor dem Zaun aus Autos und Eltern, die ihre kleinen, überflüssigen und anstrengenden Sprößlinge auf Shetlandponys hoben, während die größeren auf Fjordpferden und Isländern Runden ritten, bevor der lange Ritt durch die Heide und die Anpflanzungen begann.
„Fräulein Rebecca!“ erklang es inmitten der Dünenlandschaft, und sie wurde von einem frohen Augenpaar, umgeben von feinstem Runzelspiel, angehalten.
Und wie schön doch das Wetter sei! Und ob sie all die Lerchen gehört habe.
Aber sie empfand nur Ungeduld.
Und versprach dennoch, mit dem ewig badenden Frauenarzt aus Berlin den Nachmittagstee zu trinken.
„Kann ich das größte Pferd haben?“ fragte sie und wurde taxiert.
Sie stieg auf, hatte das vorher nur wenige Male probiert und schämte sich trotzdem nicht.
Es paßte zu ihrem Hintern, umschloß ihn leicht von hinten und hatte doch Festigkeit. Vielleicht war das etwas für sie. Sie sah, daß alle sie anblickten, während sie das Pferd leicht zum Steigen brachte. Unterdrücktes Protestgeraun.
„Kann ich eine Peitsche haben?“ fragte sie den Pferdeknecht.
Sie erhielt eine mit gelbem Stiel und dachte an ihre Kindheit, an den Bruder, der mit einem Kreisel spielte.
Sie ritten langsam am Strand entlang, der Heide zu, es wurde heiß, sie wollte schon die Bluse aufknöpfen, überlegte es sich dann aber anders,