Kupidos Chronik. Andre Brink
berühmt ist, es mit jedem Mann aufzunehmen und die auf der anderen Seite des Berges, in Richtung des Plattbergs lebt.
Als er zum ersten Mal diese Geschichten hört, grinst Kupido nur und zuckt die Schultern. Als sie jedoch beharrlich weitererzählt werden, beginnen sie an ihm zu nagen. In seiner Umgebung fangen die Leute schon an zu flüstern: Glaubst du etwa, du seist etwas Besonderes? Eine Frau gibt es, mit der wirst du nie im Leben fertig.
Es nagt und nagt und nagt. Unablässig nagt es an ihm. Genauso lästig, wie wenn ein Krümel in ein Loch im Zahn gerät.
Er beginnt, Erkundigungen anzustellen – vorsichtig zuerst, versteckt, dann immer kecker.
Was bildet diese Frau sich eigentlich ein?
Ihr Name ist Anna Vigilant, berichtet man ihm. Ein Bein von ihr ist lahm, aber was heißt das schon. Der Baas hat sie vor langer Zeit aus dem Buschmännerland mitgebracht, als er losgezogen war, um Kinder einzufangen, die er dann auf seiner Farm für sich arbeiten ließ. Jetzt ist sie eine hervorragende und berühmte Seifensiederin. Doch vor allem, vor allem: eine Frau, die, darauf kann man sich verlassen, jeden Mann aufs Äußerste auslaugt, so dass er am Morgen reif fürs Grab ist. Kein Mann, der sich selbst für einen Mann hält, steht eine ganze Nacht mit ihr durch.
Sagt wer?
Sagen alle, die es wissen müssen.
Jetzt reicht es Kupido. Vielleicht ist es an der Zeit, die Probe aufs Exempel zu machen.
Gut möglich, dass er zu viel getrunken hat. Seit Servaas Ziervogel weitergezogen ist, hat Kupido sich jeder erdenklichen Art flüssiger Erfrischung hingegeben. Aus dem Keller des Farmers, bei dem er derzeit wohnt. Oder Karie. Alles. Gebräue aus Kougoed, Gli- oder auch Daturawurzeln und Ganna-Blättern und Devil’s tobacco, auch Füchsinnenfurz genannt. So stark wie die Lauge, die man zum Seifensieden braucht. Stark genug, um dir die Eingeweide auszubrennen, so dass nur noch schwelende Reste davon übrig bleiben und du am helllichten Tag Sterne siehst. In dieser Stimmung, irgendwo zwischen Sonne, Mond und Sternen taumelnd, fasste Kupido den folgenschweren Entschluss, diese Frau zu treffen. Sie müssen ihre Geschichte hinter sich lassen und einander begegnen, wie sie wirklich sind, nackt, Mann und Frau, Mensch und Menschin.
Keine einfache oder schnell zu lösende Aufgabe. Sie müssen eine Zeit abwarten, wenn alle, die beim Tandjiesberg leben, sich versammeln können, ohne bei den Farmern Verdacht zu erregen. Nur ein Datum kommt dafür in Frage: die paar Tage um Neujahr, wenn alle Farmer eine Ruhepause einlegen und die Arbeit auf der Farm vorübergehend zum Stillstand kommt. Endlose Monate hindurch sind Botschaften ausgetauscht worden, gefolgt von unerträglichem, aufwühlendem Warten.
Was allerdings den anderen nicht viel hilft, denn eines macht Kupido ihnen von Anfang an klar: Diese Begegnung geht einzig ihn und sie etwas an. Die anderen können ihr eigenes Fest feiern, doch das muss getrennt davon geschehen, auf der Farm des Baas, vor ihren Hütten und Verschlägen; er und die Frau aber treffen sich auf dem Berg, wo er nur er sein kann und sie nur sie.
Aber wie werden sie erfahren, was dabei herausgekommen ist?, wollen die Leute wissen.
Das werden sie schon sehen.
Und Kupido schickt der Frau eine Botschaft. Wie sendet er sie? Durch einen Jungen, einige Leute sagen, durch einen Jungen in dem Alter, in dem Kupido mit den Quitten und den Granatäpfeln zur Nachbarsfarm geschickt worden ist.
Andere hingegen sagen: Nein, es war kein Junge.
Was war es denn dann?
Ein Hase natürlich.
O nein, widersprechen wieder andere. Kein Hase. Wie wäre es mit einem Chamäleon?
Nein, kein Chamäleon.
Was dann?
Es war der Wind. Wenn es eine gewichtige Botschaft zu befördern gilt, ist nur auf den Wind Verlass.
Wie bestimmen also: In Ordnung, Kupido sendet seine Botschaft mit dem Wind. Und die Frau bittet den Wind, ihre Antwort zu übermitteln. Sie sagt: Ja. Wir werden uns auf dem Berg treffen, ganz oben, wo eine kleine ebene Stelle ist, so als hätte eine große Hand sie glattgestrichen. In der Nacht, wenn das alte Jahr mit dem neuen verschmilzt.
Das lässt Kupido einige Tage Zeit, um sich zu überlegen, wie er es am besten anstellen soll. Denn in derlei stürzt man sich nicht Hals über Kopf. Ein Leben steht auf dem Spiel. Zwei Leben eigentlich.
Während dieser Zeit des Wartens zieht Kupido als Erstes seinen Spiegel zurate. Dies geschieht eines Abends nach Einbruch der Dunkelheit, beim schwachen Schimmer einer Kerze im Dunkel seiner kleinen Hütte. Er wendet den Rücken dem Eingang zu. Und so geschieht es, dass er, als er so dasitzt und in die verschatteten Augen des Fremden blickt, hinter seinem Kopf eine Sternschnuppe sieht, die zu einem Sprühnebel explodiert. Das ist es wohl, was ihn auf die Idee bringt. Unmöglich zu sagen, wie und wo er die Glühwürmchen findet, noch dazu so viele, und wo und wie es ihm gelingt, sie zu verstecken, aber so ist es nun mal.
Am Silvesterabend sammeln sich dort, wo die Hütten der Arbeiter sich aneinanderdrängen, die Leute, unschlüssig und gehemmt, wie zu einer Taufe, oder einer Hochzeit, oder einer Beerdigung geladene Gäste, die nicht zu beflissen erscheinen wollen. Hier kommen sie alle zusammen, von nah und fern, über Hügel und Ebenen, Bergkämme und Gebirgszüge, Männer und Frauen und Kinder, eine Menschenansammlung, wie es sie noch nie in dieser Gegend gegeben hat, nicht einmal zum Nagmaal, wenn das Abendmahl gefeiert wird. Und es hat sich so ergeben, dass der Mond voll ist, ein Zeichen, dass Heitsi-Eibib und Tsui-Goab beschlossen haben, höchstpersönlich an dem Fest teilzunehmen, etwas, das selbst unter normalen Umständen ein Anlass zum Tanzen und Feiern gewesen wäre.
Als in dieser Nacht der Mond in der Mitte des Himmels thront, stehen die versammelten Leute Reihe für Reihe um den freien Platz vor den Hütten herum. Jetzt taucht Kupido aus seiner Hütte auf und schüttelt jedem einzeln die Hand, als wolle er Abschied nehmen, und macht sich allein auf den Weg, über das kahle Feldland, den Berghang hinauf, als ginge er dem Mond entgegen. Ganz oben, wo der Weg sich abflacht, hat er bereits an den Tagen zuvor aus trockenen Zweigen einen kleinen Verschlag gebaut, nicht gerade geräumig, aber groß genug für zwei; den Eingang verdecken zwei Kuhhäute.
Hier kommt er an, angetan mit seinem Umhang aus Schakalfellen. Und von der anderen Seite des Berges kommt die Frau, von Kopf bis Fuß in ihren Umhang aus Klippschlieferfellen gehüllt. Ein Bein zieht sie nach.
Weit weg, drunten im Farmhof, warten die Leute, es summt wie in einem Bienenstock. Musik ertönt, mit nur wenigen Saiten versehene Ghoeras und Rohrflöten und mit Ochsenhaut bespannte Trommeln. Alles geschieht sehr langsam, sehr überlegt. Keiner hat es eilig. Keiner hört wirklich zu. Alle Ohren sind nach innen gerichtet; dort ist das Schweigen angespannt wie eine Saite. Alles Sprechen ebbt ab, alle Bewegung erstarrt.
Droben auf dem Berggipfel, wo die niedrigeren Sterne grasen, kriechen die beiden Kontrahenten in den Unterschlupf. Keiner von beiden sagt ein Wort. Von jetzt an sind ihre einzigen Zeugen der Vollmond und natürlich die Sterne. Und der Wind höchstwahrscheinlich. Denn falls es der Wind war, der ihre Botschaften hin und her getragen hat, dann wird er auch derjenige sein, der nachher die Geschichte in der Welt verbreitet.
Kaum drinnen, werfen sie ihre Umhänge ab. Beide müssen sie ihren Körper mit Fett und Buchu-Öl eingerieben haben, denn in dem kurzen Augenblick, ehe die Kuhhäute vor den dunklen Eingang gezogen werden, schimmern im Mondlicht nackte Gliedmaßen auf.
Sssssssssssss, zischeln die Sterne, als gösse man Wasser über ihr Funkeln. Ssssssssssssss.
In dem Unterschlupf tanzt etwas wie zwei Wirbelwinde aus Mondlicht und Dunkelheit umher.
Ssssssssssssss.
Die Frau beginnt tief in der Kehle zu summen. Kupido knurrt wie ein Leopard.
In der fernen Ferne, wo die Leute dicht gedrängt warten, schicken die Trommeln ein Donnergrollen gen Himmel, die Flöten singen, die Ghoeras wimmern und brummen.
In der Hütte gibt es nicht Rast noch Ruhe, keinen Augenblick. Der Wirbelwind wirbelt weiter.
Droben