Kupidos Chronik. Andre Brink

Kupidos Chronik - Andre  Brink


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Aber wenn du dich in Acht nimmst, wird er dir nichts tun. Du darfst ihn allerdings nicht erzürnen. Wenn ich nicht da bin, passt er für mich auf den Wagen auf. Dann musst du besonders vorsichtig sein.«

      »Ich finde, der Baas sollte ihn lieber wieder zudecken, ehe er sich selbständig macht und allein herumspaziert.«

      Er hilft dem Mann, die Spiegel einen nach dem anderen wieder zu verhüllen. Jetzt kann er wieder frei atmen. Doch ganz bestimmt wird er es nicht wagen, sich auf eigene Faust den Wagen zu nähern, besonders dann nicht, wenn es dunkel ist.

      Erst als die anderen Arbeiter auftauchen, um ihren Morgenkaffee zu trinken, gewinnt Kupido seine Selbstsicherheit zurück. Er berichtet ihnen, was er gesehen hat, und stößt wilde Drohungen aus, was geschehen würde, sollte irgendeiner sich zu nahe an die Spiegel heranwagen. Um ganz sicherzugehen, dass sie sich an seine Anweisungen halten, bittet er den großen Mann, auch die anderen zu der magischen Erscheinung zu geleiten. Sehr kleinlaut kehren sie zurück. Keiner wird je wieder den Fuß in die Nähe der Wagen setzen.

      Der zweite Zauber, mit dessen Hilfe der Fremde Kupido und seine Leute seinem Willen unterwirft, ist Musik.

      Nach dem Abendgebet kommt er meistens in den Farmhof und wählt eines von den Instrumenten aus, die er auf seinem Wagen mitgebracht hat – Fiedel, Akkordeon, Flöte –, und fängt mit solcher Begeisterung darauf zu spielen an, dass alle wie gebannt lauschen. Manchmal gerät die Musik so außer Rand und Band, dass sie nicht anders können als tanzen, bis Mond und Sterne mit einer Decke aus Staub verhüllt sind. Dann wieder wird die Musik langsam und traurig, und allen läuft es kalt über den Rücken, als spürten sie das Kitzeln der zuckenden Beinchen von Insekten und anderen Krabbeltieren: Spinne und Stechmücke, Chamäleon und Gottesanbeterin. Es ist dann, als sei der Tod gekommen, um sich schwer auf die Farm zu legen. Und die Arbeiter sind nicht die Einzigen, die zuhören. Auch die weißen Leute sind alle da, die Nooi und ihre gesamte Kinderschar, groß und klein. Solange die Musik spielt, scheinen sie alle mit einer großen Schleife zusammengebunden zu sein.

      Der dritte Zauber lebt in den Geschichten, die der Fremde erzählt.

      Meistens berichtet er von seinen Reisen. Alle Orte, in denen er im Lauf vieler Jahre mit seinen Wagen war. Überall in Afrika, von Nord nach Süd und von Süd nach Nord, in den entferntesten Weltgegenden. Im Königreich Monomotapa. Und noch weiter, im Land des Priesters Johannes und dem Reich der Königin von Saba, aber auch im Ur der Chaldäer und in der Stadt Samaria und in Ephesus und im Land Nod, das östlich von Eden liegt, und im Land Kush. Und den ganzen Weg, so versichert er ihnen, bis zum Neuen Jerusalem hat er zurückgelegt, zu jener mit Gold und Silber und Edelsteinen, Diamanten und Saphiren, Jaspis und Ebenholz gepflasterten Stadt: All das hat er mit eigenen Augen gesehen. (Und falls irgendeiner der Anwesenden das bezweifelt, soll er den Vielgesichter-Mann fragen, der ist auch dort gewesen, er kann all dies beschwören, so wahr mir Gott helfe.) Er erzählt ihnen von Gegenden, wo Löwen und Tiger auf Bäumen wachsen, und von Kannibalen, die zwischen den Zehen und zwischen den Zähnen und in den Achselhöhlen Augen haben, von Leuten mit drei Köpfen oder aber gar keinem Kopf, von feuerspeienden Drachen und von einem Ungeheuer, das auf seinem Rücken eine in Scharlach gewandete Frau trägt, aus deren Leib vierzig Brüste wachsen, von Leuten mit dem Kopf eines Mannes oder einer Frau und dem Körper eines Löwen oder Adlers. Er führt ihnen die wundersamen Dinge vor, die er auf seinen Wagen mit sich führt, und erklärt, woher sie alle kommen, zumeist von weit jenseits des Roten Meers und des Sees Genezareth.

      Kein Wunder, dass die Nooi der Farm nach den ersten ein, zwei Nächten den Fremden einlädt, von seinem Wagen herunterzusteigen und sich im Haus eine Bettstatt zu bereiten. Anfangs schlagen sie im Küchentrakt ein Lager für ihn auf. Dort besucht sie ihn manchmal nachts und klagt ihm all ihren Kummer und ihre Leiden, denn er weiß gegen alles ein Kraut. Schmerzen in den Beinen, Magenkrämpfe, Rückenschmerzen, Blutandrang in der Brust, Migräne, Frauenleiden. Und das Schlimmste von allem: Alpträume. Früher hat sie nie darunter gelitten, aber seit dem Tod ihres Ehemanns auf jener verhängnisvollen Jagd findet sie nicht Ruhe noch Seelenfrieden. Unaufhörlich sucht er sie in ihrem leeren Bett heim.

      Dies gibt dem Besucher offenbar Anlass zu tiefschürfendem Nachdenken. Seit er den Fuß auf ihre Farm gesetzt hat, folgt er der Nooi mit seinen Blicken. So jung ist sie noch, diese Frau, in der Blüte ihrer Jahre; wahrscheinlich gerade erst dreißig, und nur neun Kinder – sie hat noch einen langen Weg zu gehen. Und obendrein recht reizvoll. Hebe dich hinweg, Satanas. Doch nach wie vor wirft er ihr lüsterne Blicke zu und lässt sie nicht aus den Augen; er versucht zu ergründen, was Gott von alldem hält. Und eines Spätnachmittags, als sie im Herd Grieben röstet, tritt er neben sie, räuspert sich und erklärt, er habe sich über ihre Lage Gedanken gemacht, und, ja, er sei bereit, ihr den Gatten zurückzubringen. Nicht für immer. Doch zumindest nachts. Ob ihr das recht wäre? Sie wird rot und nickt. Ja, das wäre ihr schon recht. In ihrer Stimme schwingt ein neuer Unterton mit. Wie bald er denn dies Wunder geschehen lasse könne?

      Servaas Ziervogel stechen ihre Augen in seine wie nie zuvor, und er schluckt so krampfhaft, dass sein Adamsapfel in dem langen, dünnen Kehlkopf auf und ab wandert wie das wiedergekäute Futter eines Pflanzenfressers. Er weist sie allerdings daraufhin, dass einige Regeln strikt einzuhalten seien. Im ganzen Haus dürfe kein Licht brennen, da dies ihren verstorbenen Gatten verscheuchen könnte. Keine Lampe, und auch keine Kerze irgendeiner Art, und die Läden der beiden Fenster müssten fest geschlossen sein. Die Kinder sollten vorher auf unbedingtes Schweigen eingeschworen werden, denn schon das kleinste Geräusch oder auch nur ein Wispern könnte entsetzliche Folgen haben; das Gleiche gelte für jeden Versuch irgendeines der Kinder, sich des Nachts in die Nähe ihres Bettes zu wagen. Und falls ihr Gatte tatsächlich im Dunkeln zu ihr komme, müsse sie ihn empfangen, ohne auch nur ein Wort zu ihm zu sagen. Ob das klar sei? Nicht ein einziges Wort, ansonsten kehre er auf der Stelle wieder dorthin zurück, wo er herkomme. Falls er komme, dann um seine Gattin auf die Weise zu trösten und zu erfreuen, wie ein Ehemann sein Weib tröstet, und nicht, um mit ihr zu plaudern. Sollte sie irgendwelche Botschaften für ihren Mann haben, könne sie diese tagsüber Servaas Ziervogel übergeben. Doch unter keinen Umständen dürfe sie ihn direkt ansprechen. Ob das klar sei?

      Es ist klar.

      Am darauffolgenden Morgen gibt die Witwe sich ungewohnt verschämt, doch ihre vorher bleichen Wangen ziert jetzt eine unmissverständliche Röte.

      Als Servaas Ziervogel sich nach dem nächtlichen Besuch erkundigt, weicht sie zunächst aus, dreht ihm den Rücken zu und knetet hingebungsvoll den Teig für den Tagesbedarf Brot. Nach einer Weile räumt sie jedoch ein, ja, ihr Mann habe ihr einen Besuch abgestattet. Allerdings sei es ziemlich anders gewesen, als sie erwartet hatte. Anders als das, was sie gewohnt gewesen war.

      Wie anders?

      Einfach anders.

      Aber inwiefern? Ob irgendetwas falsch gelaufen sei?

      Nein, ganz und gar nicht. Eigentlich sei alles gutgegangen. Nur ...

      Nur was?

      Schließlich gesteht sie: Nur hatte es nicht nach ihrem Mann gerochen. Einfach – na ja, anders.

      Das ist der Geruch des Jenseits, erklärt er ohne Umschweife. Er komme schließlich aus dem Reich der Toten, das dürfe sie nicht vergessen. Sie müsse sich eben daran gewöhnen. Er könne es aber auch so einrichten, dass ihr Mann nicht mehr wiederkomme.

      Nein, nein, versichert sie. Er sei äußerst willkommen, wenn er komme. Erneut wird sie rot. Das sei um so vieles besser, als in der Nacht ganz allein schlaflos in dem großen Bett zu liegen.

      Ob das alles sei, was sie störe?

      Ja. Außer – er möge vergeben, dass sie über so private Dinge mit ihm spreche – ihr Mann sei – nun ja, bei der Sache ganz anders vorgegangen.

      Bei der Sache vorgegangen?

      Jetzt kehrt sie ihm endgültig den Rücken zu und bearbeitet den Teig, als wolle sie ihn in den Tisch treiben. Ihr Gatte – der Herrgott möge sich ihrer erbarmen –, aber ihr Gatte habe es meist ziemlich eilig gehabt und sei eher grob gewesen. Letzte Nacht sei es jedoch fast so gewesen, als wisse er nicht mehr so recht, wie es gehe.

      Sie müsse


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