Kupidos Chronik. Andre Brink

Kupidos Chronik - Andre  Brink


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dahin, bis es Abend wird; von Zeit zu Zeit blicken sie um sich oder verdrehen die Augen gen Himmel, ziehen dann weiter. Bis kurz nach Sonnenuntergang, als die Dunkelheit sich auf sie senkt und Kupido, anscheinend völlig unbeschwert, aus den Büschen hinter ihnen auftaucht.

      »Und?«, fragt Servaas Ziervogel. »Wo ist der Löwe?«

      »Der wird uns nicht mehr belästigen.«

      Mehr sagt er nicht. Doch von dem Löwen ist nichts mehr zu sehen.

      Wann immer sie unterwegs bei einer Farm haltmachen, wird daraus unweigerlich ein langer Aufenthalt. Servaas Ziervogel kennt keine Eile, vor allem dann nicht, wenn sich bei ihrer Ankunft herausstellt, dass der Farmer nicht zu Hause ist. Möglicherweise ist er unterwegs nach Kapstadt, um seine Produkte zu verkaufen oder einzutauschen oder um Sklaven zu kaufen; oder er ist weit im Landesinneren auf der Jagd oder auf einem Streifzug gegen Buschmänner – in einem solchen Fall weiß der Mann Gottes immer eine Möglichkeit, sich in die Stellung des abwesenden Ehemannes hineinzuschmeicheln. Witwen findet er besonders unwiderstehlich. Diese sorgen zudem für günstige Gelegenheiten, seine Waren loszuwerden.

      Mit der Zeit folgt Kupido bei derlei Gelegenheiten dem Beispiel seines Herrn, in seinem Fall bei den Sklaven- und Dienstfrauen auf der Farm, und findet allmählich recht großes Gefallen daran, legt auch immer größeres Geschick dabei an den Tag.

      Bald schon entdeckt er, dass Servaas Ziervogel bei diesen Aufenthalten auf verschiedenen Farmen sich als lobenswert großzügig erweist, was die Arrakfässchen in seiner Ladung betrifft. Im Verlauf der Reise findet auch Kupido allmählich Geschmack an Branntwein, und mit dem Trinken und da ihm unbeschränkt Frauen zur Verfügung stehen, wird das Leben zu einem fortwährenden Fest. Das nimmt nicht immer einen guten Ausgang: Vielleicht wegen seiner Unerfahrenheit führt sein Umgang mit Frauen zu schlimmen Streitereien. Zweimal sorgt sein Jagdmesser für beträchtliche Schwierigkeiten. Beim ersten Mal trägt sein Widersacher lediglich eine Fleischwunde davon. Beim zweiten Mal jedoch bringt die Klinge zwischen zwei Rippen den Mann fast um. Servaas Ziervogel kommt nicht umhin, eine Entschädigung an die Betroffenen zu zahlen, was beklagenswerte Einschränkungen von Kupidos Branntweinrationen zur Folge hat. Zu dem Zeitpunkt hat er allerdings bereits herausgefunden, wie man das Fass entstöpselt, sich bedient und den fehlenden Branntwein durch Wasser ersetzt, und so ändert diese Strafe praktisch kaum etwas. Und allmählich eilt ihm auf der Reise nicht nur sein Ruhm als Jäger, Spurenleser und Sänger voraus, auch sein Ruf als Schürzenjäger, Rauf- und Trunkenbold breitet sich aus. Langsam nimmt die große Zukunft, die seine Mutter ihm einst vorausgesagt hat, Gestalt an.

      Doch das Beste am Ganzen ist für ihn Servaas Ziervogels Bereitschaft, ihn lesen zu lehren. Viel Zeit für Lektionen bleibt zwar nicht, da offenbar stets irgendetwas anderes dringlicher ist. Doch allmählich, ganz allmählich beherrscht er die Grundzüge des Schreibens. Und als sie schließlich in der Gegend anlangen, in die Servaas Ziervogel die ganz Zeit über eigentlich wollte, hat er genügend Fortschritte gemacht, um sorgfältig, fast ehrfurchtsvoll mit ausgestrecktem Zeigefinger die Worte auf ein Stück Papier zu stupsen, ungefähr so, wie ein Mistkäfer seine wertvolle kleine Kugel vor sich her rollt.

      Ihr vorläufiges Ziel im Ostkap ist eine Farm in den Ausläufern der Renosterbergkette. Und dann eine andere in Agter-Sneeuberg. Und noch eine andere im Gebirgszug Bouwershoek. Und zu allerletzt landen sie in der Nähe des Tandjiesbergs, auch Kleinzahnberg genannt, schon recht nahe dem kleinen Dorf Graaff-Reinet. Dort bleibt Kupido irgendwann zurück, während Servaas Ziervogel weiterzieht. Ein trauriger Abschied ist es, denn mittlerweile ist ihm der Mann mit seinen Geschichten, seiner Musik und den vielen seltsamen Dingen auf seinen Wagen ans Herz gewachsen. Aber er hat bei einem Farmer Arbeit gefunden, der ihn zum Spurenlesen, Jagen und Holzfällen im fast undurchdringlichen Busch der Bergschluchten, die mit so zaubrischen Namen gesegnet sind, gebrauchen kann. (Vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet auf dieser Farm der Branntweinvorrat Servaas Ziervogels endgültig zur Neige geht.)

      Eines sänftigt den schweren Schlag der Trennung: Servaas Ziervogels Entschluss, Kupido, als er endgültig Abschied nimmt, mit einem seiner wundersamen Spiegel zu beschenken. Im Besitz dieses Zauberdings, ist er nun für alles gerüstet, was die Zukunft noch bringen mag. Viele Jahre hindurch wird er den Spiegel sorgsam in seiner Hülle aus schwarzem Krepp lassen und das Tuch nur zu ganz besonderen Anlässen entfernen, um mit diesem allgegenwärtigen Fremden, der sich unerklärlicherweise auch als ein anderes Ich erweist, Rücksprache zu halten.

      Der Meister der Geschichten, Musiker und Gottgesegnete zieht seines unvorhersehbaren Weges zum Mond und zu den Sternen und in fremde Länder. Kupido Kakerlak lässt sich auf der Farm nieder.

      Dieser Abschied muss – sofern es überhaupt möglich ist, dem so folgenschweren Ereignis ein bestimmtes Datum zuzuweisen – um das Jahr des Herrn 1790, vielleicht auch ein, zwei Jahre früher oder später, stattgefunden haben, als Kupido um die dreißig Jahre alt war.

      Es war ungefähr die Zeit, als er eine Frau fand. Und so kommt Anna Vigilant ins Spiel.

      11. Die Funkenfrau

      Da es uns um die Wahrheit geht, um die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, müssen wir hier auch noch etwas anderes berichten. Nicht nur der größte Jäger in diesem Teil der Welt war Kupido, sondern auch der größte Sänger, der größte Geschichtenerzähler und, wenn ihm danach war, auch der größte Frauenheld.

      Es begann vor geraumer Zeit. Das erste Mal ist nicht überliefert, aber auch nicht sonderlich wichtig. Es muss in der Zeit vor Servaas Ziervogel gewesen sein, als der Junge im Buschland Ziegen hütete; er bohrte ein fingertiefes Loch in den Sand, benetzte es mit Speichel und schob sein kleines Glied hinein. Nicht besonders aufregend. Als er jedoch eine Woche später mit seiner Ziegenherde an der Stelle vorbeikam, wuchs da eine Pflanze aus dem Loch. Und zwar nicht nur irgendein gewöhnlicher kleiner Ganna-Strauch, sondern etwas, das aussah, als könnte ein Baum daraus werden. Und noch vor Ende des Jahres war es in der Tat ein Baum. Mit einem hohen, geradwüchsigen Stamm, dichtem Laubwerk und Vögeln auf den oberen Zweigen, eine Art Baum, wie man sie in dieser Gegend nie zuvor gesehen hatte. Und binnen kurzem war es nicht nur ein einzelner Baum, sondern ein ganzes Gehölz – ein sicherer Hinweis, dass Kupido seine Talente aufs Äußerste genutzt hatte.

      Es besteht keinerlei Notwendigkeit, auf weitere peinliche Einzelheiten einzugehen, doch etwas muss noch erwähnt werden, dass nämlich Kupido in den darauffolgenden Jahren jedes willige Mädchen auf der Farm nahm. Und auch etliche weibliche Tiere aus den Schaf- und Ziegenherden, die drei Puten und was sonst den Göttern beliebt hatte, ihm über den Weg zu schicken.

      Irgendwann begann sein Interesse sich auf weibliche Wesen jenseits des Natürlichen auszuweiten. Auf Nixen beispielsweise. Es empfiehlt sich allerdings, sich nicht allzu viele Gedanken über die Vorgehensweise bei einer Vereinigung mit einem Wesen, das bis zum Nabel eine Frau und von da an abwärts eine schuppige Wasserschlange ist, zu machen. Immerhin könnte dies eine Erklärung dafür sein, dass er an dem Tag, als er Servaas Ziervogel vor dem sicheren Ertrinken rettete, ohne vorher innezuhalten und die dort hausende Nixe um Erlaubnis zu fragen, ungeschoren blieb; eine frühere Bekanntschaft mochte für einen glücklichen Ausgang gesorgt haben.

      Zu der Zeit, als Kupido sich auf seine Reise mit Servaas Ziervogel machte, war er also wohl gut gerüstet für das, was vor ihm lag. Und während sein Herr und Meister sich darauf beschränkte, gelegentlich eine Witwe oder eine alleinstehende Frau zu trösten, darf man wohl mit Sicherheit davon ausgehen, dass es Kupido nicht an Gelegenheiten mangelte, seine Begierden zu stillen. Wahrscheinlich ist es auch nicht zu weit hergeholt, daraus in Übereinstimmung mit einem angesehenen Wissenschaftler zu dem Ergebnis zu kommen, dass Kupido auf dieser Reise – die, wie wir wissen, vom Jakkals River zum Dwyka River, von da zum Gamtoos River, weiter nach Platbosch und Noupoort, nach Riem und Luiperdskloof, zur Shiny und zur Shallow und zur Bushman Fountain führte – ungefähr 134 Nachkommen zeugte. Ganz abgesehen von der beträchtlichen Anzahl Bäume, die er unterwegs pflanzte.

      Nachdem er sich auf der Farm bei Agter-Sneeuberg niedergelassen hatte, arbeitete er weiterhin gewissenhaft darauf hin, seinen Ruf zu festigen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt gaben die Leute es auf mitzuzählen. Tatsache ist, dass es für alle außer ihm allmählich eher langweilig wurde. Bis


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