Kupidos Chronik. Andre Brink

Kupidos Chronik - Andre  Brink


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      Von Kupido Kakerlak hören wir erst wieder, als eines Tages auf der Farm zwei Wagen auftauchen. Sie knarzen und quietschen, alle beide; bei dem einen hängt das eine Vorderrad schief, der andere sackt fast durch. Begleitet werden sie von zwei Hottentotten und zwei jungen Buschmännern, die zwei Gespanne von je zwölf Ochsen fuhren. Ihrem Aussehen nach könnte man meinen, sie seien den ganzen Weg vom Kap heraufgefahren, ohne Rast zu machen. Auf dem Bock des vorderen Wagens sitzt ein Mann mit langem, traurigem Gesicht, der einen unmäßig hohen Zylinder aufhat. Sein Gewand wirkt ärmlich, doch sein Verhalten ist das eines zum Befehlen geborenen Mannes. Sein Name, so teilt er den Leuten im Vorderhof mit, ist Servaas Ziervogel. Er ist Geschichtenerzähler. Außerdem Musiker und fahrender Händler, und seine Wagen sind mit allem beladen, was die Leute tief im Landesinneren vielleicht brauchen oder auch nicht brauchen. Drunten am Kap, so berichtet er ihnen, sind immer weniger Waren zu kriegen, weil immer seltener Schiffe in der Bucht ankommen, nun ja, wie könnte es auch anders sein, führen wir doch erneut Krieg gegen die Engländer. Was seine Fracht so außerordentlich wertvoll macht. Sie umfasst:

       Zucker und Kaffee

       viele Päckchen Tabak und Dosen mit Schnupftabak

       etliche Fässchen Arrak, Steingutflaschen mit Branntwein und holländischem Wacholderschnaps

       Nadeln und Garn

       Stahlnägel

       Schießpulver und Kugeln

       Zunderbüchsen und Feuersteine

       Hüte und Strümpfe und Knöpfe jeglicher Art

       Kattun-, Leinen- und Kordballen

       Kopftücher und Bowler-Hüte

       Salz und Gewürze

       Damenpantinen und -schuhe aus Amsterdam und Amersfoort

       eine Kiste mit in Leder gebundenen Büchern in Sprachen, von denen keiner je etwas gehört hat

       Schmuckkästchen und Werkzeugkisten

       Klistierspritzen und Schläuche für alle Körperöffnungen

       Fiedeln und Holzflöten

       Beile und Handsägen und Längsschnittsägen und Zugsägen und Drillbohrer und Nieten

       federleichte Halsketten und schwere Wagenketten

       Ambosse

       eine schweißige Sandale, die einst dem heiligen Paulus gehörte

       Essbestecke, Taschenmesser und Säbel

       Federn, Steinguttöpfe mit Tintenpulver, große Mengen Papier

       Ferngläser und Vergrößerungsgläser

       Zeichnungen von biblischen Gestalten

       reich mit Schnitzwerk verzierte Stühle aus dunklem Holz

       Halseisen mit zugespitzten Nägeln für widerspenstige Sklaven

       Kupferdraht

       Tüten und Fässer mit allen nur denkbaren Samen

       Laternen und Hängelampen aus Kupfer und Messing

       einen ausgestopften bengalischen Tiger

       Bottiche und Eisenkessel zum Seifensieden, Teekessel und Kasserollen

       Arzneikistchen

       allerlei hinter Glas verwahrte Splitter vom Kreuz

       eine Geburtszange

       eine Kollektion Taschenuhren und zwei Schiffsuhren

       Ballen Brüsseler Spitze

       Scharniere und Türknäufe

       Blasebälge

       ein Fischernetz

       Eimer und Kübel aus Metall oder Teak mit Kupferbeschlägen

       einen kleinen Schädel des heiligen Petrus als Kind

       zahlreiche mit Blättern, Blumen und Engelsköpfchen verzierte Nachttöpfe

       zwei weißfedrige Flügel eines Engels aus Mazedonien

       und Spiegel: Wandspiegel, Standspiegel, Handspiegel, alle schwarz verhüllt

      Doch vor allem, teilt der Mann mit dem Zylinder ihnen mit, ist er ein Diener des Herrn der Heerscharen, ausgesandt, um im Inneren dieses heidnischen Landes das Evangelium zu verbreiten. Er hält einen Augenblick inne, um sich mit einem roten Tuch den Schweiß vom Gesicht zu wischen; das lässt an die Stirn des Moses denken, als er vom Berg Sinai herabstieg. (Für ein so dunkles Land wie dieses brennt die Sonne sich erbarmungslos in die Augen des Betrachters.)

      Er macht den Leuten auf der Farm den Vorschlag, eine Gebetsstunde mit ihnen abzuhalten – vielleicht nachdem einige Erfrischungen gereicht worden sind –, die er mit einer langen, volltönenden Anrufung Gottes beschließt. Als er wieder aufsteht, bekundet er seine Bereitschaft, angesichts der Schrecknisse der Hölle, welche die Unerlösten erwarten, unverzüglich zur Taufe jedweder ungetauften Mitglieder der Farmerfamilie überzugehen; und ohne danach gefragt worden zu sein, holt er aus seinem Wagenkasten einen Stapel Pergamenturkunden hervor, um zu beweisen, dass er ordnungsgemäß ordiniert und befugt ist, alle kirchlichen Rituale zu vollziehen und die Sakramente zu spenden. Die Mutter und ihre Kinder (nun neun, nicht mehr sieben an der Zahl) scharen sich um ihn, befingern voller Ehrfurcht die beeindruckenden Dokumente, von denen sie nicht ein einziges Wort verstehen. Selbst die wenigen, die lesen gelernt haben, werden aus dem Latein (wenn es denn Latein ist) nicht schlau; doch immerhin macht all das großen Eindruck.

      Die Kinder, von denen nicht eines getauft ist, werden aufgefordert, sich zu einer Prozession aufzustellen; ihnen schließen sich die Bediensteten und Sklaven an. Nun geht es zu dem Quelltopf unter dem Felskamm, an dessen Hang vor vielen Jahren der Farmhof angelegt wurde. Ehe irgendjemand einen Warnruf ausstoßen kann, watet der Gottesmann, nach wie vor mit Zylinder, Frack und Schuhen angetan, schnurstracks ins Wasser; er kann ja nicht wissen, wie steil die Böschung zur Quelle hin abfällt. Als er plötzlich den Boden unter den Füßen verliert, verschwindet er ganz unzeremoniell vor ihren Augen. Nur der Zylinder, der auf dem Wasser treibt, ist noch zu sehen. Voll heiliger Scheu und Gottesfurcht stehen alle wie angewurzelt am Ufer, vielleicht in Erwartung eines Wunders. Aber nur ein paar Blasen blubbern an die Oberfläche. Es dauert eine Zeit lang, ehe der erschrockenen Witwe klarzuwerden scheint, dass entschlossenes Handeln vonnöten ist. Sie schreit den Arbeitern, unter ihnen Kupido, zu, sie sollen dem Mann zu Hilfe kommen. Da keiner von ihnen schwimmen kann, sie überdies eine tief verwurzelte Scheu vor Wasser haben, legen sie keine besondere Neigung dazu an den Tag. Als jedoch klar wird, dass eine Katastrophe droht, tritt Kupido, nicht ohne Bangigkeit, ein paar Schritte vor. Wie alle von seinem Volk weiß er, dass in jeder Quelle eine Schlange lauert und man zuerst ihre Gunst mit der Opferung von Innereien eines frisch geschlachteten Schafes erringen muss. Tut man das nicht, kommt sie heraus und holt einen. Außerdem, so hat seine Mutter ihn von klein auf gewarnt, haust in der Quelle unter dem hohen Kamm eine Nixe. Der Oberkörper ist der eines menschlichen Wesens, mit langen Haaren wie Strähnen aus grünem Schleim und Brüsten so rund wie Kürbisse. Die untere Hälfte ist geschuppt wie bei einer Schlange oder einem Fisch. Hat man sich erst einmal mit ihr eingelassen, so stattet sie einem des Nachts unweigerlich einen Besuch ab, und dann verschwindet man auf Nimmerwiedersehen.

      Doch jetzt geht es um Leben und Tod. Das muss die Schlange einsehen. Und die Nixe auch. Ohne länger zu zögern, beugt Kupido sich vor und fängt an, mit den ausgestreckten Händen das Wasser aufzuwühlen. Sehr zu jedermanns Überraschung bekommt er den mit Wasser vollgesogenen heiligen Mann zu fassen, und unter der Mithilfe zahlreicher anderer wedelnder Hände wird er ans Ufer gezogen und wie eine fremdartige bleiche Wasserkreatur auf den Rücken gelegt.

      Keiner weiß so recht, was als Nächstes zu tun ist, und einige Männer murmeln schon etwas von wegen, dass sie in dem steinharten Boden ein Grab ausheben müssen, doch dann ist es


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