Kupidos Chronik. Andre Brink

Kupidos Chronik - Andre  Brink


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Nur dessen bin ich gewiss: Wenn wir zu einer Abzweigung kommen, folgen wir ihr.« Und deshalb könnte die Route ganz gut so verlaufen sein:

      über die Jakkal- und die Dwyka-Berge und die Gamka Rivers,

      entlang des Sand River durch das Vyevlei oder Feigental,

      über den Droëberg, den Trockenberg, und den Witberg, den Weißen Berg,

      die Droëkloofberge, die Trockenschluchtberge hinauf

      und zur Bakoondlaagte, der Ofenebene, und Groenpoort, dem Grüntor,

      vorbei am Kwaggapoel, dem Quagga- oder Zebrateich, und der Rietkuil, der Schilfkuhle,

      vorbei an Eensam, was Einsamkeit bedeutet,

      zum Boesmanpoortberg, dem Buschmannstorberg,

      vom Fuß des Trompettersberg, des Trompeterberges zur Graslaagte, der Grasebene,

      und weiter nach Platbosch und Bluepoort und zu den Klein-Winterhoekbergen,

      durch die öden Landstriche bei Vaaldrai und Snake Fountain, der Schlangenquelle,

      die Große Straße hinauf zum Plum Hill, dem Pflaumenberg, und zur Olive Fountain, der Olivenquelle,

      nicht zu vergessen die Horse Fountain, Pferdequelle, und die Garlic Fountain, die Knoblauchquelle,

      oder aber entlang der Kleinen Straße nach Hoogeneest und Outkraalleegte,

      dann kommen Speelmanskraal und Vaaldraai und Gwarina;

      verlockend sind Namen wie Kootjieskolk und Wagendrift und Windheuwel,

      das heißt Kootjiesstrudel und Wagenfurt und Windhügel,

      vorbei an Sandkraal und Voorspoed und Kwaggasfontein

      bis nach Goedverwachting, was Große Erwartungen bedeutet,

      und dann nach Gans Fontein, was Gansquell heißt,

      nach Bossieskraal oder Strauchkraal, und zu den Dakklipheuwels, den Dachschieferhügeln,

      vielleicht auch nach Fisanterivier und Vinkfontein und Bulwater und Rooiheuwel,

      oder durch die Murderer’s Karoo beim Middle Lake und Mud Dam, die Mörderwüste beim Mittelsee und dem Schlammdamm,

      vorbei an Scoppelmaaikraal und Skoorsteen und Die Puts

      und Wolf Fountain, Wolfsquelle, und Jackal Fountain, Schakalquelle, und Herb Fountain, Kräuterquelle,

      und Kleinkraalvoëlkuil und Grootkraanvoëlkuil und Hannekuil

      nach Bakoond und Gannahoek und Poffertjiesleegte

      und dann zu den Two Fountains, den Zwei Quellen, und zur Bulrush Fountain, der Binsenquelle,

      zur Rhinoceros Fountain, der Nashornquelle, und der Wild Duck Fountain, der Wildentenquelle: zu all diesen Quellen (und alle haben sie ihre Schlange, die meisten auch ihre Nixe);

      dann weiter nach Riem und Luiperdskloof

      und noch weiter hinunter zu den Onder-Sneeubergen und den Moordhoeksbergen,

      vielleicht auch nach Geveltje und Wilgerbosch und Gemora,

      dann kommen Gannalaagte und Noordhoekskloof

      und, wer weiß, sagt Servaas Ziervogel, vielleicht auch Samaria und Damaskus

      und der Khaiberpass und Usbekistan,

      vorbei an Wladiwostock und Nischni Nowgorod und Samarkand,

      und zum Toten Meer und zum Kaspischen Meer und zum Schwarzen Meer,

      vorbei an Uranus und Saturn und Pluto

      und an der Sonne und dem Mond und Tsui-Goabs Milchstraße;

      sie erliegen der Verlockung der Blomfonteinsberge, der Blütenquellenberge,

      und des Nardousbergs, ziehen zum Aasvoëlberg, dem Geierberg,

      oder auch nach Slechtgenoeg, Schlechtgenug, und Goedgegund, dem Wohlbestallten,

      wo die Quellen ebenfalls todbringende Maiden und wunderschöne Schlangen gebären:

      Paardefontein, Blinkfontein, Vlakfontain, Boesmanfontein, die Buschmannsquelle

      – und dort machen sie Halt.

      Die ganze schier endlose Reise über sind die beiden auf einanders Gesellschaft angewiesen, da die Ochsenführer und Gehilfen stets unter sich bleiben. Servaas Ziervogel kann endlose Tage seine Erzählungen fortspinnen. Meistens sind es biblische Geschichten, die er allerdings aus dem Gedächtnis und mittels seiner Vorstellungskraft großzügig ausschmückt; im Gegenzug überschüttet Kupido ihn mit Geschichten, die seine Mutter ihm erzählt hat, als er noch klein war. Gelegentlich singen sie, vorwiegend Hymnen, die der fromme Mann ihn gelehrt hat, dann wieder gleichförmige, vertrackte Melodien, die Kupido ihm – zumeist vergeblich – beizubringen versucht. Wann immer sie einen Hügelkamm oder einen Berg überqueren, schreit Kupido gegen die Klippen und Schroffen an, um das Echo zu sich zurückkommen zu hören. Mit einer Stimme, die für Servaas Ziervogel ein steter Quell der Verwunderung ist, denn es ist schier unglaublich, dass so brausende Orgeltöne aus einem so mickrigen Körper kommen.

      »Du solltest Prediger werden«, sagt er oft. »Eine solche Stimme ist geschaffen dafür, gehört zu werden; du darfst sie nicht hier im Busch, zwischen Steinen und Aloen verstecken.«

      Dann grinst Kupido nur verlegen. Gelegentlich erwidert er: »Ich bin Hottentotte, Baas.«

      Um sich erleuchten zu lassen, greift der große dünne Mann regelmäßig auf die Heilige Schrift zurück, aus der er des Abends am offenen Feuer vorliest und dabei seine große braune Prachtbibel auf den knochigen Knien liegen hat. Viel versteht Kupido nicht, doch er ist vom bloßen Klang der Worte entzückt. Immer öfter fragt er sich, ob er nicht die Welt Heitsi-Eibibs hinter sich lassen und in die des Buches eintreten sollte. Doch dann ziehen sie zufällig wieder durch eine enge Schlucht, in der ein Steinhaufen für den Gott aufgeschichtet ist; und jedes Mal, ohne Ausnahme, fühlt er sich verpflichtet, vom Wagen herunterzuspringen und seinen Stein auf den Haufen zu legen; die anderen Hottentotten-Helfer folgen ohne zu zögern, seinem Beispiel. Zwar verbirgt Heitsi-Eibib sich seit jenem Tag, an dem sie auf der Jagd waren, vor Kupido, aber man kann ja nie wissen. Er könnte immer noch irgendwo auf der Lauer liegen, ihm entgeht nichts, und eines Tages, wer weiß, taucht er vielleicht wieder auf und fordert Rechenschaft von Kupido.

      Noch einer anderen Pflicht kommt er gewissenhaft nach. Auf der langen Reise verweilt er bei jedem spruit oder Strom oder Fluss und bei jeder Quelle und bringt sein Opfer aus Innereien oder Früchten und Knollen dar, um sich der Gunst der Schlange zu versichern, die dort im Hinterhalt liegt.

      Auch auf die Jagd geht er weiterhin. Manchmal zusammen mit den Ochsenführern, meistens jedoch allein. Dann hat er nur das Jagdmesser bei sich, das Servaas Ziervogel ihm gegeben hat; er folgt einer Fährte im Busch – keiner kann unerbittlicher ein Tier aufspüren als Kupido – und kehrt viele Stunden, manchmal einen ganzen Tag später mit seiner Beute, einem Blessbock oder einem Riedbock oder einem Quagga, zurück.

      Einmal treffen sie auf einen Löwen, ein zahnloses, hinkendes altes Männchen, das bestimmt von einem jüngeren Rivalen im Rudel besiegt und aus der Gruppe ausgestoßen worden ist; nun bleibt es ihnen seit Tagen auf den Fersen. Abends schichten sie zwei hohe Lagerfeuer auf, zwischen denen sie sich schlafen legen, aber man kann nie wissen, wann es das Raubtier möglicherweise zum Äußersten treibt und es geradewegs über die Flammen springt. Keiner wagt auch nur ein Auge zuzutun. Und dann, eines frühen Morgens, verkündet Kupido: »Sie fahren voraus. Ich habe erst ein Wörtchen mit diesem Löwen zu reden.«

      Servaas Ziervogel sagt nichts, wird aber ganz blass im Gesicht; die hottentottischen Gehilfen kichern, doch Kupido beachtet sie nicht. Entschlossen umfasst er sein Messer und marschiert mit weitausholenden Schritten in das Ganna-Gestrüpp, das in dieser Gegend ziemlich hoch wird.

      »Nimm eins von meinen Gewehren«, ruft Servaas Ziervogel ihm nach.

      »Nein,


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