Kupidos Chronik. Andre Brink

Kupidos Chronik - Andre  Brink


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Mit umwerfendem Erfolg: Ein ungeheurer Schwall schlammigen Wassers schießt aus dem Mund des Mannes. Im nächsten Augenblick setzt er sich auf, spuckt, verdreht die Augen nach oben und blickt dann um sich. Eilends schickt die Witwe ein paar von den Kindern zum Farmhaus, um diverse Tränke und Arzneien zu holen; währenddessen watet Kupido noch einmal ins Wasser und fischt den nach wie vor dahintreibenden Hut auf. Nach einer Weile hektischer Geschäftigkeit hilft man der geretteten Seele auf die Beine, damit sie erneut ein Gebet sprechen kann. Sie sind nicht sicher, ob er bereit ist, die ganze Zeremonie noch einmal von vorn durchzuexerzieren, doch allem Anschein nach hat das Missgeschick ihn nur noch bestärkt in seinem Entschluss; die feierliche Handlung kann also weiter ihren Lauf nehmen.

      Servaas Ziervogel taucht in Liturgie und Sakrament und die Quelle ein, wenn auch nicht ganz so tief wie zuvor. Im weiteren Verlauf gerät er richtig in Fahrt, gewinnt an Überzeugungskraft. Und schwingt sich zu solchem Pathos auf, dass die beiden letzten Kinder, die getauft werden sollen, bei dem begeisterten Untertauchen um ein Haar ertränkt werden. Wie gebannt sieht sich Kupido das alles aus dem Halbkreis der Bediensteten und Arbeiter an. Nachdem der Besucher ihnen nochmals eine kräftige Dosis Lesung und Gebet verabreicht hat, lädt man ihn ein, seine Wagen im Farmhof ausspannen zu lassen; Kupido wird angewiesen, ein Schaf zu schlachten, und den Küchenfrauen wird befohlen, für den Abend ein gargantueskes Mahl zuzubereiten. Unmittelbar nach Sonnenuntergang begibt Servaas Ziervogel sich zusammen mit der Familie ins Haus, um üppig zu speisen, mehr, als auf der Farm sonst in einer ganzen Woche verzehrt wird, und begleitet von weiteren Frömmigkeitsbekundungen.

      Während die Weißen drinnen beschäftigt sind, drückt Kupido sich bei den Wagen herum, zu verschüchtert, um irgendetwas anzufassen, zu neugierig, um sich zu verziehen. Aus sicherer Entfernung begafft er, was da alles aufgestapelt ist, eine größere Menge und Vielfalt an Waren, als ihm je zuvor unter die Augen gekommen ist; das meiste hätte ebenso gut geradewegs aus Tsui-Goabs rotem Himmel, wenn nicht gar aus Gaunabs finsterer Wohnstatt gefallen sein können.

      Im Hinterhof, kurz nach dem Abendgebet, fällt dem Fremden mit dem großen Hut dieses ungeheure Interesse auf, und da der junge Mann ihm immerhin das Leben gerettet hat, empfindet der ältere eine gewisse Zuneigung für ihn. Kupido ist jedoch auf Abstand bedacht. Fremden gegenüber, vor allem wenn sie weiß sind, ist er auf der Hut, er hat sich nie so recht an ihre Anwesenheit gewöhnen können.

      Auf den Besucher macht seine Zaghaftigkeit jedoch keinen Eindruck. Servaas Ziervogel versteht sich darauf, wie man mit Menschen umgeht. Gleich am nächsten Morgen ruft er Kupido, damit er ihm beim Entladen der Wagen zur Hand geht – und der Befehl eines Baas muss befolgt werden. Darüber hinaus streckt der Fremde ihm, als er vorsichtig näher kommt, zur Begrüßung bereits die Hand entgegen.

      »Ich habe da etwas für dich.«

      »Baas?«

      Der Fremde öffnet die Hand, Innenfläche nach oben. Ein Jagdmesser mit Elfenbeingriff und einer langen, gekrümmten Klinge.

      »Baas?« Fast bleibt ihm das Wort im Hals stecken.

      »Das ist für dich. Ohne dich wäre ich heute tot.«

      »Für mich?«

      »Als Zeichen meiner Dankbarkeit.«

      Lange starrt Kupido das Ding in seiner Hand einfach an. Er kann es nicht fassen.

      »Oh, Baas.«

      Diesem großen, hageren Mann gegenüber, der wie ein Hirtenstecken vor ihm steht, kommt er sich wie ein Insekt vor – wie ein Heimchen oder eine Gottesanbeterin oder eine Heuschrecke.

      Und so fängt alles an. Ein dreifacher Zauber ist es, wie er schon bald feststellen wird, der Kupido zu Wachs in den Händen des Fremden macht. Zunächst die Spiegel. Dann die Musik. Und drittens schließlich die Geschichten.

      Zuerst also die Spiegel. Schon als sie die Wagen entladen haben, war Kupido fasziniert von diesen so sorgfältig in Krepp gehüllten Dingern. Er wusste nicht so recht, ob er sich trauen sollte zu fragen, und von sich aus gab Servaas Ziervogel nichts preis; er tat so, als merke er nichts.

      In dieser Nacht kann Kupido nicht einschlafen. Er weiß, er sollte lieber überlegen, wie er sich vor der Rache der Schlange und der Nixe schützen kann. Doch zuvorderst beherrschen die in Schwarz gehüllten Dinger sein Denken. In seiner Vorstellung könnten es Geister sein, reglose Vorfahren, Graufüße, Sendboten Gaunabs.

      Noch vor Tagesanbruch schleicht er aus der Hütte, die er früher mit seiner Mutter geteilt hat und in der er jetzt nachts allein daliegt. Eine leichte Windbö weht durch den Hof, dringt durch sein Gewand, durch Fleisch und Muskeln direkt in die Knochen.

      Da stehen die schwarz verhüllten Dinger, wie Leichname, die für die Beerdigung in Häute gehüllt sind. Näher heranzugehen schafft er nicht, aber fernhalten kann er sich auch nicht. Wie ein von einem aufregenden Geruch angelockter Hund schleicht er immer wieder um die Wagen herum, hat aber viel zu viel Angst, um mit einem Satz hinzuspringen. Rund herum, rund herum, bis hinter den fernen Hügeln die Sonne erscheint und die Dinger lange Schatten werfen.

      So findet ihn der große Mann vor, als er gebückt unter seiner Wagenplane hervorkriecht.

      »Was machst du da?«

      »Nur schauen, Baas. Diese Dinger da. Bewegen tun sie sich nicht, aber sie sehen aus, als würden sie leben.«

      »Möchtest du, dass ich sie dir zeige?«

      »Schon, Baas. Aber ich fürchte mich.«

      »Da gibt es nichts zum Fürchten. Komm her und sieh sie dir an.«

      Der Mann beugt sich vor und zieht das Tuch von dem ersten Ding. Nichts tut sich.

      »Komm näher.«

      Kupido gehorcht. Ohne seine Hülle sieht das Ding nicht mehr ganz so furchteinflößend aus. Bis Kupido sich vorbeugt, um es genauer anzusehen.

      Er stößt einen Schrei aus, von dem die ganze Farm aufwacht, und fällt fast hintüber.

      »Nein, Baas! Das Ding da lebt ja.«

      »Sieh genau hin.«

      Diesmal kriecht er auf allen Vieren von der Seite her näher heran und lugt vorsichtig über den Rahmen. Das gleiche Gesicht erwidert seinen Blick. Ein lebendiges Gesicht mit Augen, scharf wie die eines Erdmännchens, und schwarzen Haarbüscheln auf dem Kopf sieht ihn an. Kupido schlägt beide Hände vors Gesicht, um sich dahinter zu verstecken. Das Gesicht vor ihm tut das Gleiche.

      Kupido weicht ein paar Schritte zurück. Der Mann vor ihm wird kleiner und unternimmt keinen Versuch, ihm nachzugehen.

      Jetzt schleicht Kupido sich von hinten an das flache Ding an. Doch dahinter ist nichts. Also probiert er es noch einmal von vorne. Jetzt ist das Gesicht wieder da. Sie starren einander an. Was auch immer er tut, das Ding im Rahmen macht es nach: Wenn Kupido eine Grimasse schneidet, tut der Fremde dies ebenfalls; er hebt eine Hand, der andere ebenfalls.

      »Komm hierher«, fordert der Mann mit dem großen Hut ihn auf und schickt sich an, das zweite Ding zu enthüllen. Dann das dritte, das vierte und so weiter, bis alle zwölf unverhüllt in der Morgensonne stehen. Aus jedem Rahmen blickt ihm das gleiche Gesicht entgegen. Er huscht von einem zum anderen, versucht so, den Fremden zu überrumpeln, aber jedes Mal ist das Gesicht da, äfft ihn nach, weicht zurück, wenn Kupido dies tut, und ist dann wie auf Bestellung wieder da. Er kann sich noch so oft an die Rückseite heranschleichen – dahinter ist einfach nichts. Und vorne taucht immer wieder das Gesicht auf.

      Nach geraumer Zeit wagt Kupido zu fragen: »Wer ist das Vielgesichter-Ding?«

      »Du kennst ihn also nicht?«

      »Den hab ich noch nie gesehen, Baas. Er kommt bestimmt nicht aus der Gegend. Er ist mit Ihnen gekommen, auf dem Wagen, oder?« Er schüttelt den Kopf. Von der Stelle aus, wo er steht, sieht er sechs oder sieben Fremde, die ebenfalls den Kopf schütteln; die anderen sind zu weit weg oder stehen auf der Seite. »Das sind bestimmt welche von den Graufüßen«, meint er. »Von den hai-noen. Oder vielleicht sind es Schattenmenschen von der anderen Seite. Sobo khoin. Besonders gefährlich sehen


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