Kupidos Chronik. Andre Brink

Kupidos Chronik - Andre  Brink


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zerzaust, die tiefgründigen goldfarbenen Augen glimmen wie glühende Kohle. Und riesengroß ist er. Größer als jeder Löwe, von dem Kupido je gehört hat.

      Kupido spürt, wie Angst seine prallen kleinen Hoden umklammert und sie zusammenpresst, bis ihm Tränen in die Augen steigen. Sich umdrehen geht nicht, denn dann greift der Löwe ihn von hinten an. Näher auf ihn zugehen ist auch nicht möglich. Er kann nichts weiter tun, als nicht von der Stelle weichen und hoffen, dass es schnell vorbei ist.

      Doch dann ist Heitsi-Eibib neben ihm. Sehen kann er ihn nicht, nur hören. Das Rauschen von Wind in einem großen Baum mit Vögeln im Gezweig.

      »Schau ihn an, den Löwen«, sagt Heitsi-Eibib so leise, es hätte auch der Wind sein können.

      »Das ist nicht der richtige Augenblick, um zu schauen, es ist die Zeit zum Schießen«, widerspricht Kupido.

      »Schau ihm direkt in die Augen und sag: ›Whaa!‹«

      Kupido schaut. Doch in seiner Kehle, wo angeblich die Stimme sitzt, steckt ein Brocken so groß wie eine Tsamma-Melone.

      Vor ihm der Löwe senkt langsam den großen Kopf. Sein Schwanz wischt in dem hohen gelben Gras hin und her.

      »Schau ihn an«, sagt Heitsi-Eibib. »Sprich mit ihm.«

      Kupido spürt Angst und die Pisse an seinen Beinen hinuntertröpfeln.

      In dem Augenblick geht der Löwe zum Angriff über. Kupido starrt direkt in seine gelben Augen. Von irgendwoher, er hat keine Ahnung, woher, findet er plötzlich einen Lautsplitter in seiner Kehle, und er brüllt: »Whaaaaaa!«

      Unwillkürlich schließt er die Augen.

      Als er sie wieder aufmacht, liegt der Löwe ungefähr zehn Schritt vor ihm auf dem Boden, tot. Heitsi-Eibib ist verschwunden. Das Einzige, was sich auf dem weiten Feld regt, ist der Wind, wispernd wie ein Mensch.

      Er hat sein Messer dabei. Viel macht es nicht her, ist eher ein unnützes Ding, mit dem man kaum einen Frosch häuten kann. Seine Mutter hat ihm gesagt, sein Vater habe es ihr gegeben. Wer auch immer sein Vater gewesen sein mag. Zumindest ist es ein Messer mit einer Klinge.

      Allmählich kühlt die Pisse an seinen krummen Beinen ab; Kupido wagt sich näher und hockt sich neben dem Haupt des Löwen hin. In der Mähne sieht er Läuse herumkrabbeln. Das beruhigt ihn. Die Laus war das erste Lebewesen, das die Botschaft des Mondes von Tod und Auferstehung zu den Menschen brachte, ehe der Hase alles durcheinanderbrachte. Zögerlich betastet er den Körper des Löwen. Rollt ihn auf den Rücken. Dann beginnt er mit dem Messer draufloszuhauen. Die ganze Nacht hindurch müht er sich ab, häutet das Vieh. Glücklicherweise steht der Mond groß und hell am Himmel, und er weiß, es ist Tsui-Goab, der voll strahlenden Wohlwollens auf ihn herabblickt. Er verspürt nicht einmal Müdigkeit.

      Bei Tagesanbruch, als der Himmel sich rot färbt, ist Kupido fertig. Er rollt das Fell, die glatte Feuchte nach innen, zusammen und wirft es sich über die Schulter. Als er aufblickt, sieht er seine Schaf- und Ziegenherde näherkommen; auch das streunende Tier ist dabei.

      Er macht sich auf den Rückweg. Sie folgen ihm.

      Nachmittags kommt er im Wirtschaftshof an.

      In der Küchentür taucht der Baas auf; mit der Hand schirmt er die Augen vor der Sonne ab.

      »Kupido!«, ruft er. »Wo, zum Teufel, hast du gesteckt? Was, in Gottes Namen, hast du gemacht?«

      Mit einem Schulterzucken wirft er das Fell ab. Im Hintergrund sieht seine Herde teilnahmslos zu.

      »Ich habe Ihnen einen Löwen gebracht«, verkündet er seelenruhig. »Der wollte sich eine von den Ziegen holen.«

      »Wie hast du ihn erlegt?«

      »Ich habe ›Whaaa‹ gebrüllt.«

      »Was?!«

      »Ich habe ›Whaaa‹ geschrien, und da ist er tot umgefallen.« Er wird allmählich selbstsicherer. »Der kann sich nicht mehr einfach so unsere Ziegen holen, Baas.«

      »Du lügst, Kupido.«

      »Das ist die Wahrheit. Das Fell da kann nicht lügen.«

      Der Baas nimmt das Fell, breitet es auf dem Boden aus und untersucht es sorgfältig von Mähne bis Schwanz. Keinerlei Anzeichen von Gewalt sind zu sehen.

      »Ich sehe keine Löcher oder Schnitte«, sagt er verdutzt.

      »Das habe ich Ihnen doch gesagt.«

      »Wie bist du denn auf diese verrückte Idee gekommen?«

      »Ein Baum hat es mir gesagt, Baas.« Denn der Namen Heitsi-Eibibs darf vor Fremden nicht ausgesprochen werden.

      »Halt mich nicht zum Narren, Kupido. Ich brech dir das Genick.«

      »Sie können brechen, so viel Sie wollen, Baas. Was wahr ist, ist wahr.« Er kratzt all seinen Mut zusammen. »Sie können die Schafe und Ziegen zählen. Es fehlt nichts.«

      7. Tod des Jägers

      Das war der Beginn von Kupido Kakerlak als Jäger. Der Baas wusste nicht so recht, was er von dem Löwenfell ohne Fehl und Makel halten sollte, aber er wollte kein Risiko eingehen. Insgeheim dachte er sich, dass der Löwe wohl an Hunger oder an einer Krankheit gestorben war, auch wenn dies angesichts des hervorragenden Zustands des Fells eher unwahrscheinlich war. Doch das bestärkte ihn nur in dem Entschluss, die Wahrheit herauszufinden. Und die einzige Möglichkeit war, Kupido auf seine Jagdausflüge mitzunehmen und dabei nicht aus den Augen zu lassen. Schwer zu sagen, ob das funktioniert hat oder nicht. Denn von diesem Tag an war ihre Ausbeute, wann immer Kupido auf einer Jagd mit dabei war, atemberaubend: Antilopen, von kleinen Böcken bis zu den ganz großen und stattlichen, Kudu, Elenantilope, Pferdebock (auch die gab es zu jener Zeit im Koup in Hülle und Fülle, wenn man den Gravierungen der Buschmänner auf den Felsen oder den Malereien in jeder Höhle, auf jedem Felsüberhang Glauben schenken will). Doch nicht nur Antilopen brachten sie mit: seltene Giraffen wie auch Wüstenluchse, Leoparden, Jaguare, Hyänen, gelegentlich auch einen Löwen (allerdings nie wieder so ein majestätisches Exemplar wie jenen ersten). Nilpferde ziemlich oft, Nashörner schon seltener, und dreimal einen Elefanten.

      Und doch konnte keiner behaupten, selber gesehen zu haben, wie Kupido einen Elefanten, einen Löwen, einen Kudu oder auch nur einen Springbock erlegte, ob mit Pfeil und Bogen oder mit der Elefantenbüchse des Baas. Möglicherweise war es ihnen immer knapp entgangen, weil sie zufällig genau in dem Augenblick, wenn er etwas schoss, woanders hingeschaut hatten. Aber irgendwie seltsam war es schon. Zauberei, flüsterten einige von ihnen – Arbeiter und Nachbarn – hinter vorgehaltener Hand. Doch wie wollte man das mit Sicherheit sagen? Gab es doch Beweise: das Nashorn, das mitten im Angriff zusammenbrach. Das Nilpferd, das sein Maul so weit wie ein Scheunentor aufriss und es urplötzlich wieder zuklappte, in einer Wassergischt versank, so tot, wie nur der Tod sein kann. Der Leopard, der von seinem hohen Sitz auf dem Skelett eines Baumes zum Sprung auf Kupido ansetzte, dann furchterregend ins Taumeln geriet und ein paar Schritte von seinem anvisierten Opfer entfernt tot zu Boden fiel.

      Hatte er oder hatte er nicht? Nicht einmal der Baas konnte es mit auch nur annähernder Sicherheit sagen. Und doch wussten alle, dass er ein wachsames Auge auf Kupido hatte, mit einem Eifer, als wäre er ein eifersüchtiger Ehemann, der heimlich beobachtet, wie ein anderer Mann sich an seine Frau heranmacht. Konnten denn sie alle sich täuschen? Jeder Einzelne von ihnen? Und jedes einzelne Mal?

      Es passierte einfach zu oft, um reiner Zufall zu sein. Aber am Ende zählte doch nur, dass sie eine Überfülle an Tieren erbeuteten, wenn Kupido dabei war. Und nur dann.

      Es konnte geschehen, dass ein Mann, der seit Wochen oder Monaten ununterbrochen auf der Jagd war, ohne auch nur ein klein wenig Glück zu haben, schließlich zum Baas kam und ihn, den Hut in der Hand, bat, ihm Kupido auszuleihen, damit er etwas nach Hause bringen und so seine Frau und seine Kinder vor dem Verhungern bewahren könne. Man einigte sich dann auf einen Preis – so und so viele Schafe, so viele Säcke Weizen, so viel Feuerholz, so viel Seife, so und so viele Felle – und dann zog Kupido mit dem


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