Kupidos Chronik. Andre Brink

Kupidos Chronik - Andre  Brink


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      All das sah sie des Nachts; sie konnte nichts als seufzen. Und versuchen, nicht mehr nachzudenken. Was auch immer geschehen sollte, würde geschehen. Sie schob ihre Brustwarze wieder in den Mund des Säuglings. Während er nuckelte, sprach sie weiter. Gut möglich, dass Leute, die draußen vorbeigingen, stehen blieben, um den Stimmen zu lauschen. Denn bei dieser Frau konnte man nie sicher sein, ob sie Besuch hatte oder mit verschiedenen Stimmen zu sich selber sprach; und hätte man sich die Mühe gemacht zu fragen, hätte man wohl kaum gewusst, was man von der Antwort halten sollte. »Das war Heitsi-Eibib«, hätte sie vielleicht gesagt. »Er ist gekommen, um seinen Sohn zu besuchen.« In einer solchen Nacht konnte man deutlich den tiefen Bass einer Männerstimme erkennen. Genauso gut hätte es aber auch ein Fremder sein können, einer wie der Wanderer, der vor neun Monaten hier verweilt und seinen Samen in ihren Leib gesät hatte. Oder sogar der Adler, der ihn gebracht hatte. Wenn derlei Dinge geschahen, glaubten viele, die Welt sei immer noch so, wie sie in der Zeit vor aller Zeit gewesen war, als alles sprechen konnte: Mensch und Affe, Maus und Gottesanbeterin, Adler und Schlange und Steine, so wie Heitsi-Eibib sie nach dem Gebot Tsui-Goabs gemacht hatte.

      »Und was hat Heitsi-Eibib gesagt?«, fragte einer vielleicht.

      »Er hat gesagt, dieses Kind muss mit viel Umsicht aufgezogen werden, denn es wird ein großer Mann werden.«

      »Schwer zu glauben, wenn man ihn so sieht. Hat er doch kaum die Größe einer Kakerlake.«

      »Das stimmt.« Noch ein Seufzer. »Aber vergiss nicht, am Anfang hat Heitsi-Eibib auch nicht anders ausgesehen. Es steht uns nicht zu, daran zu zweifeln oder darüber zu spotten.« Unbeirrt, gelassen deckte sie dann den erbärmlichen kleinen Gnom wieder zu und erklärte: »Es ist Zeit für dich, zu gehen. Ich erwarte Gäste.«

      Dann warfen die Leute einander vielsagende Blicke zu und schickten sich zum Gehen an. Ein paar lungerten vielleicht noch eine Weile draußen herum. Und drinnen fingen mit Sicherheit wieder die Stimmen an.

      4. Federn für einen Adler

      Mit diesen Stimmen wird Kupido Kakerlak aufwachsen. Denn seine Mutter behält ihn immer bei sich, aus Furcht, ihm könnte etwas geschehen. Bei einem so zerbrechlichen kleinen Ding kann man nie wissen ... Wenn einer ihm im Vorbeigehen einen Schubs gäbe, was würde dann mit ihm geschehen?

      Meistens nimmt sie ihn mit zum Haus des Farmers, wo sie jetzt, nach Jahren der Arbeit zusammen mit den anderen auf den Feldern, Dienstmagd ist. Hier kann er ihr von klein auf beim Fegen und Staubwischen, bei der Wäsche, beim Leeren der Nachttöpfe, beim Bespritzen der Böden mit Spülwasser, damit der Staub sich setzt, bei der Jagd auf Fliegen mit Hilfe eines belaubten Zweigs, beim Verscheuchen der Hühner und Moschusenten und beim Sammeln von Holz für den großen Herd in der Küche zur Hand gehen.

      Manchmal, wenn vor Sonnenuntergang noch zu viel zu tun ist, schlafen er und seine Mutter in der Küche, in der hintersten Ecke beim Herd, wo noch Wärme hockt wie ein großer fauler Hund. An diesen Abenden müssen sie beim Beten dabei sein, das auf das einfache Mahl – Brot und Milch, ein Schöpflöffelvoll Kürbis oder Süßkartoffeln, gelegentlich ein winziges Stück Fleisch –, von dem ihnen die Reste zustehen, folgt. Mit diesem Ritual weiß Kupido nichts Rechtes anzufangen. Er versteht nur, dass es irgendwie etwas mit den Göttern zu tun hat. Dann muss seine Mutter es ihm erklären, obgleich auch sie mehr oder weniger im Dunkeln tappt. So viel wird ihm klar: Dieser Jesus, von dem der Baas spricht, muss mit Heitsi-Eibib verwandt sein, denn auch er ist gestorben und wieder zum Leben erweckt worden. In Kupidos Ohren klingt das gotteslästerlich. Bestimmt würde Heitsi-Eibib den Eindringling, wenn er ihm auf dem freien Feld begegnete, durch einen Hieb mit einem Feuerstein töten.

      Was ihm dabei gefällt, ist das Singen, das die Reden des Baas begleitet. Für Kupido ist Singen wie Regen an einem heißen Tag. Allen Versuchen seiner Mutter, ihn davon abzuhalten, zum Trotz stimmt Kupido in dem Augenblick, wenn der Baas, seine Frau und ihre sieben Kinder zu singen anfangen, mit ein, so laut er nur kann, und singt nach einer eigenen Melodie und eigenen Worten, die er von seiner Mutter gelernt hat:

      O Heitsi-Eibib

      Du, unser Großvater

      Bring mir Glück

      Bring mir Wild

      Lass mich Wurzeln und Honig finden

      Damit ich dich wieder anrufen kann

      Dich, der du unser Urgroßvater bist

      O Heitsi-Eibib!

      Seine Stimme übertönt alle anderen, hell und klar wie eine Rohrflöte, eine Stimme, viel zu groß für den kleinen, spindeldürren Körper. Nach einiger Zeit muss der Baas ihm sagen, dass er den Mund halten soll, denn er stört ihr Einswerden mit Gott. Dann schweigt er still und hebt sich sein Singen für später auf, wenn er wieder mit seiner Mutter allein ist oder durch den Busch streift, weiter noch als bis zu all den vertrauten Felsen und Hügel und Ebenen, dorthin, wo die Welt noch ganz leer ist und darauf wartet, dass ein Wort sich mit seinem Schatten oder seinem Gewicht auf sie legt.

      Noch etwas mag er an diesen Betstunden. Die Tatsache, dass der Mann, der als Vater von Baas Jesus eingesprungen ist, ein Zimmermann war. Denn von dieser Beschäftigung ist er regelrecht besessen, so wie man die Augen nicht vom grellen Schein brennender Kohle, die man anstarrt, wenden kann. Wo immer auf der Farm es etwas zu tischlern gibt, findet er sich mit Sicherheit ein. Der Geruch von Sägespänen verdreht ihm den Kopf, gerade so wie das Karie-Bier, von dem er manchmal, wenn die Arbeiter in Neumond- oder Vollmondnächten im Hof tanzen, heimlich den Bodensatz schlürft. Es genügt, dass er ein Stück Holz in seiner Hand fühlt, seiner Glätte oder Maserung nachspürt, und schon fängt er an zu träumen, zu was es wohl werden mag – dies leicht gebogene Stück wird bestimmt ein Stuhlbein, die zwei dicken Bretter da taugen nicht zu einer Tischplatte, aus diesem in den Hinterhof geworfenen Hartholzstumpf wird sicher die Nabe eines Wagenrads, das auch noch dem holprigsten Boden standhält. Nur selten erlaubt der Baas ihm, bei den Tischlerarbeiten zu helfen, doch das hindert ihn nicht daran, wie verzaubert zuzusehen und alles in den innersten Falten seines Denkens zu horten.

      »Eines Tages«, so erklärt er seiner Mutter, »eines Tages werde ich uns einen Wagen bauen und dann fahren wir fort, nur wir zwei, und niemand wird uns je wieder finden.«

      Verstohlen blickt sie um sich, ob auch bestimmt keiner das gehört hat. »Halt den Mund, Kupido«, schimpft sie. »Wenn der Baas dich hört, schlägt er dich mausetot.«

      »Ich verstehe nicht, wie du einfach hier rumsitzen kannst«, sagt er. »Heitsi-Eibib hat uns nicht nur Hintern gegeben, um drauf herumzusitzen. Sondern auch Füße, um damit zu laufen. Wir müssen gehen.«

      Wenn ihr sein Herumquengeln zu viel wird, erzählt sie ihm, wie oft sie früher versucht hat wegzulaufen, wie sie jedes Mal weiter und noch weiter gelaufen ist und wie der Baas hinter ihr her ist und sie zurückgebracht und sie fast totgeschlagen hat, bis sie keine Kraft mehr hatte, es zu versuchen.

      »Du hättest nicht aufgeben dürfen, Ma«, sagt er.

      »Du hast noch nie die Reitpeitsche dieses Mannes auf deinem Rücken gespürt«, erklärt sie. »Setz du deinen Fuß gar nicht erst auf diese Straße. Es ist die Straße zum sicheren Tod.«

      »Was war das Weiteste, was du gegangen bist?«

      »Weit.«

      »Weiter als diese Farm groß ist?«

      »Viel weiter.«

      »Weiter als bis zu den Hügeln dort?«

      »Verdammt viel weiter.«

      »Und wie sieht es da aus, Ma?«

      »Genauso wie hier. Nur anders.«

      »Wie anders?«

      »Kahl.«

      »Wie kahl?«

      »Einfach kahl. Noch hat sich kein Wort darauf gelegt, um ausdrücken zu können, wie kahl es ist. Also ist es einfach kahl.«

      »Ich will mir das selber anschauen, Ma.«

      »Du


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