Kupidos Chronik. Andre Brink

Kupidos Chronik - Andre  Brink


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Reden über Gott und Baas Jesus und jede Menge anderer Leute, von denen keiner je gehört hat, ergeht.

      Diesmal spricht er mit seiner Mutter über die Angelegenheit.

      »Ich möchte auch Worte auf Papier setzen, Ma«, sagt er. »Das ist ein starker Zauber. Was sie Schreiben nennen, hat Leben in sich und kann weiter und schneller rennen, als du je gelaufen bist.«

      »Das wäre dein Tod, Kupido«, warnt sie ihn, so wie immer.

      Doch bei der erstbesten Gelegenheit, die sich bietet, spricht er furchtlos die Frau des Baas an. Sie findet das so komisch, dass sie, wie ihre Schwester auf der Nachbarsfarm, zu lachen anfängt. Doch er bleibt geduldig vor ihr stehen, bis sie ausgelacht hat, und sagt dann: »Wird die Madam mir also das Schreiben beibringen?«

      »Nein«, sagt sie.

      Er spürt, wie alles Leben aus ihm sickert, so wie Spucke im Sand versickert. »Madam!«

      Sie erklärt, für derlei Torheiten habe sie keine Zeit. Sie werde aber ihre großen Töchter Cornelia und Jacoba fragen. Vielleicht könnten die es mal versuchen.

      6. Begegnung mit einem Löwen

      Aber das hält nicht lange vor. Für die beiden Mädchen – Cornelia ist fünfzehn, Jacoba dreizehn – ist es ein Riesenspaß, ihm etwas beizubringen. Für sie ist er wohl so etwas wie der kleine Affe, den sie großgezogen haben, nachdem die Hunde im Busch seine Mutter getötet hatten. Ganze Tage verbrachten sie damit, ihm Tricks und Kunststücke beizubringen, bis er einfach zu aufdringlich und ungebärdig wurde, so dass die Jungen ihn totschlagen mussten. Kupido begreift erstaunlich schnell, was auch immer sie ihm beibringen, und wird seines Eifers wegen allmählich sogar irgendwie lästig. Und er fängt an, seine Pflichten auf der Farm zu vernachlässigen. Also setzt der Baas dem Ganzen bald ein Ende.

      »Was will ein Hottentotte denn mit Lesen und Schreiben anfangen?«, fragt er. »Damit schafft er sich nur Probleme. Eines Tages glaubt er dann gar, er sei ein Weißer, und dann weiß er nicht mehr, wo sein Platz ist. Er soll seine Arbeit machen. Und wenn er so viel Zeit übrig hat, dass er sie für Lesen und Schreiben vergeuden kann – nun, ich weiß genug anderes, um ihn zu beschäftigen. Damit muss Schluss sein, auf der Stelle. Und wenn ihr Mädchen nicht hören wollt, bekommt ihr genauso eine Tracht Prügel wie er. Verstanden?«

      Damit haben die Unterrichtsstunden ein Ende, nicht aber die schier unerträgliche Sehnsucht, die in seiner Brust brennt wie ein Stück glühender Kohle, die da drinnen glimmt und nicht herauskann. Er versucht noch, allein weiterzumachen, aber das ist nicht einfach, und niemand hilft ihm, wenn er nicht mehr weiterweiß. Er hat keine Schiefertafel und keinen Griffel, ganz zu schweigen von Federhalter und Papier, und es ist gar nicht so einfach, die Worte auf den Sandfleck, den er im Hinterhof glattgestrichen hat, zu kratzen. Nein, er gibt nicht auf. Aber das Brennen wird immer schlimmer.

      Außerdem bringt ihn das in Schwierigkeiten, vor allem wenn er eigentlich weit draußen im Grasland die Schafe und Ziegen hüten soll. Es ist eine günstige Gelegenheit, um zu schreiben. Doch wenn es am Spätnachmittag Zeit ist, nach Hause zu gehen, und es fehlt ein Schaf, dann ist der Teufel los.

      Doch selbst das hält ihn nicht davon ab. Auf der Fährte der Geschichten seiner Mutter durchstreift er weiterhin die unfruchtbaren Himmelsstriche der Farm und kümmert sich um seine Schafe und Ziegen. Und dann passiert etwas, das die Gleichförmigkeit der Tage aufbricht. Eines Nachmittags kniet er wie üblich auf einem Sandfleck und versucht, Buchstaben zu formen, als jemand sich neben ihn setzt. Wahrscheinlich ist die grimmige Hitze schuld daran, dass er nur noch verschwommen sieht, weil Schweißtropfen ihm in die Augen kullern und er nicht so recht erkennen kann, wer oder was es ist. Zuerst sieht es aus wie ein Baum. Dann verwandelt es sich in etwas Schattenhaftes. Nach einer Weile, als er es aus den Augenwinkeln noch einmal anschaut, verändert es erneut seine Gestalt. Eine riesige Gottesanbeterin. Nein. Doch ein menschliches Wesen. Ein sehr großer, muskulöser Mann.

      »Wer bist du, dass du dich so an mich ranschleichst?«, fragt Kupido zögerlich.

      »Ich bin Heitsi-Eibib«, antwortet der Mann.

      Kupido kriegt einen solchen Schreck, dass er beinahe hintüber fällt. Doch er ist zu benommen, um sich zu bewegen. Wie eine Maus vor einer Schlange sitzt er einfach wie gelähmt da.

      »Hab keine Angst«, sagt Heitsi-Eibib. »Ich habe dir etwas mitgebracht.«

      Er hält etwas zwischen Daumen und Zeigefinger und streckt es Kupido hin – den Zahn eines Löwen.

      »Bind ihn dir um den Hals«, fährt er mit tiefer, leise grollender Stimme fort. »Es wird dich vor allem Übel schützen.«

      Am Tag darauf und an den folgenden Tagen gewöhnt er sich allmählich an den großen Mann. Sie fangen an, sich zu unterhalten. Heitsi-Eibib kann Geschichten erzählen wie niemand sonst auf der ganzen Welt. Langsam versickert Kupidos Angst wie Wasser in trockenem Sand. Und von da an holt Heitsi-Eibib, wann immer ein Schaf oder eine Ziege streunt, sein mit Fett gefülltes Medizinhorn hervor und taucht den dünnen Dorn einer Aloe hinein, so dass nur noch eine Daumenlänge davon zu sehen ist. Den zündet er an und hält ihn in den Wind; wenn Kupido dann dem Rauch folgt, findet er mit Sicherheit das verirrte Tier. Nie wieder bekommt er vom Baas Prügel, weil er eines von den Schafen oder eine Ziege in seiner Obhut verloren hat.

      Von Zeit zu Zeit, wenn er die Nacht draußen im Busch verbringen muss, bringt Heitsi-Eibib ihm bei, was er über die Sterne wissen muss. Gleich nach Sonnenuntergang, so erfährt er, muss er ganz genau hinsehen. In dem Augenblick, wenn der kleine Schwarm der Sieben Schwestern sichtbar wird, muss er so laut singen, wie er nur kann. Das bringt ihm, darauf kann er sich verlassen, Glück. Und er soll immer den Mond hoch achten, denn der ist nicht nur Heitsi-Eibib selber, sondern auch, auf irgendeine geheimnisvolle, verdrehte Art, der gute Gott Tsui-Goab, der zu Anbeginn der Zeit all die Felsen und Steine geschaffen hat, aus denen später die Menschen hervorgegangen sind. Und die Schlangen. Heitsi-Eibib zeigt ihm, dass jede kleine Quelle im Buschland von einer Schlange bewacht wird. Diese Schlange darf man nicht töten, denn dann trocknet die Quelle aus und bringt allem, was daraus sonst Leben schöpft, den Tod. Ist eine Quelle erst einmal ausgetrocknet, kann man genauso gut gleich weiterziehen. Dann ist da nur noch Stein.

      Sobald es ans Jagen geht, nimmt Heitsi-Eibib ihn so richtig in die Pflicht. Mit kleinen Böcken fängt es an – Bleichböckchen, Greisbock, Moschusbock, Steinbock (nie ein Hase, denn diese widerwärtige Kreatur mit ihrer gespaltenen Lippe ist der Todesbote). Die fängt er in kunstreichen Fallen. Dann kommen größere Antilopen: Springbock, Blessbock, Kuhantilope. Die hilft Heitsi-Eibib ihm nach Hause tragen, damit er und seine Leute zu essen haben. Sie wundern sich über den Jungen, aber er verrät ihnen nichts. Er weiß, wenn irgendjemand herausfände, dass Heitsi-Eibib mit ihm auf der Jagd war, käme der Große Jäger nie wieder.

      Eines Tages, damals war er wohl fünfzehn oder sechzehn, trifft er im Busch auf einen Löwen, jenseits des Streifens roter Erde, der von Ameisenhaufen übersät ist und wo ein paar vertrocknete Büsche stehen. Hier kann scheinbar nichts gedeihen, und doch sprießen immer wieder über Nacht neue Sträucher und Unterholz, wo man vorher Holz zum Verfeuern gebrochen hat. Ein Ort ist dies, wo man selbst an einem glühend heißen Tag einen schwachen kalten Lufthauch aus den Büschen wehen spürt. An dem Nachmittag taucht, als er eine verirrte Ziege sucht, plötzlich ein Erdmännchen vor ihm auf. Nicht weiter verwunderlich. Außer dass das Erdmännchen zu sprechen anfängt.

      »Was hast du hier zu suchen?«, fragt das Erdmännchen mit einer für ein so kleines Wesen sonderbar tiefen Stimme.

      »Das geht dich nichts an«, sagt Kupido.

      »Glaubst du

      Urplötzlich steht da plötzlich nicht mehr ein Erdmännchen, sondern eine große Elenantilope.

      »Aber jetzt hast du Angst vor mir, oder?«, fragt die Elenantilope.

      Die Antilope, die vor ihm steht, ist doppelt so groß wie er, aber Kupido kann für seine Größe ganz schön frech sein.

      »Warum sollte ich denn Angst vor dir haben?«, höhnt er.

      Damit hat er


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