Kupidos Chronik. Andre Brink
von Fleisch und Häuten, Hörnern und Federn.
Angelockt vom Namen Kupido Kakerlak tauchten mit der Zeit auch Fremde auf, die von sehr weit her, einmal – Gott ist mein Zeuge – sogar den ganzen Weg aus Kapstadt, das fast so weit entfernt ist wie Himmel und Hölle, kamen. In allen Ecken und Winkeln des Landes erzählte man sich Geschichten, die sich überall verbreiteten, so wie nach der Regenzeit das erste Grün die Steppe überzieht (ebenjenes Grün, das ursprünglich das Volk von Kupidos Mutter dazu gebracht hatte, diesen Landstrich Koup zu nennen).
Und immer wieder verblüffte Kupido sie bei der Jagd. Keiner, der je mit ihm in den Busch gegangen war, kam zurück, ohne sich irgendwie verändert zu haben. Nur einer blieb unbeeindruckt. Und das war Kupido Kakerlak selbst.
Es war gut, die Wüstenluchse und die Löwen und die drei Elefanten erbeutet zu haben. Aber nicht gut genug. Tief in ihm drinnen glomm immer noch die Glut. Wenn ihm nur jemand hätte erklären können, woher das kam. Aber das konnte niemand. Nicht einmal seine Mutter. Nur ein Wesen gab es, das es ihm hätte sagen können, und das war Heitsi-Eibib. Aber von sich aus wollte der nicht davon sprechen, und auf Fragen antwortete er nicht gern. Kupido konnte ihm nicht mehr entlocken als das:
»Wart ab. Alles zu seiner Zeit. Du wirst es erkennen, wenn du es siehst.«
Vielleicht waren es diese Ungeduld, dieser Missmut, die den Umschwung brachten. Wieder einmal fand eine Jagdexpedition statt, vielleicht die größte von allen, weit über das Gebiet des Wilgerbos River und des Sandleegte und sogar der Nuweveld Mountains hinaus, jenseits von Koppiesfontein und Skilpadfontein und Palmietfontein, vorbei am Sak River und den Nontees Mountains, über die Kaiing Hills und den Lat River und den Hartbeest River hinaus bis zum Donderhoek Stream und den orange-braunen Fluten des mächtigen Gariep; dorthin hatten zu jener Zeit erst wenige Weiße ihren Fuß gesetzt. Und auf dem ganzen Weg jagten sie, bis die Wagen zusammenzubrechen drohten. Dort, am Gariep, am äußersten Ende der bekannten Welt, trafen sie auf die Elefanten, eine große Herde von mindestens vierzig oder fünfzig.
»Großer Gott«, rief der Baas. »Das bedeutet womöglich Schwierigkeiten. Was meinst du, Kupido?«
»Wir können klein beigeben, Baas, oder aber es mit ihnen aufnehmen. Schauen Sie sich diese Stoßzähne an. Der Bulle ganz vorn; sie schleifen auf dem Boden.«
»Der Bulle gehört mir. Kannst du ihn für mich erlegen?«
»Ich kann’s versuchen, Baas.«
»Dann hol ihn mir.«
Ganz langsam schlich Kupido sich an; die anderen folgten ihm. In weitem Halbkreis versuchten sie, einen Flecken withaak, also offene Lichtung zwischen sich und den Elefanten, zu lassen. Aber sie merkten nicht, dass sie zwischen die Gruppe vorn – der große und ein paar jüngere Bullen sowie ein paar Kühe – und eine zweite Gruppe gerieten, zu der einige Kälber gehörten.
Langsam, ganz langsam, denn mit diesen Bestien ist nicht zu spaßen.
Kupido kroch noch näher. Der große Bulle wedelte mit den Ohren und reckte seinen langen Rüssel in die Höhe.
»Nimm mein Gewehr«, sagte der Baas und drückte das sperrige Ding Kupido in die Hand. »Du darfst jetzt keinen Fehler machen, Kupido. Ich zähle auf dich.«
»Das mache nicht ich, Baas. Das macht Heitsi-Eibib.«
In dem Augenblick, in dem er das sagte, wusste er, es war ein Fehler. Er hatte den Namen des Großen Jägers ausgesprochen. Doch das ließ sich jetzt nicht mehr ungeschehen machen.
Und genau in dem Augenblick griff der Bulle an. Normalerweise würde man erwarten, dass der Bulle nach ein, zwei Metern stehen bleibt, vielleicht den Rüssel reckt, trompetet, als letzte Warnung Sand hochschleudert. Diesmal nichts dergleichen. Vielleicht weil der Name der Gottheit ohne Sinn und Verstand ausgesprochen worden war; das war die einzig mögliche Erklärung. Der Elefant griff an, kam schnurstracks auf sie zu.
Kupido spürte, wie seine dünnen Beinchen zitterten, doch er wich nicht von der Stelle, so wie beim ersten Mal, als er dem Löwen gegenübergestanden hatte. Weil er glaubte – wusste, im letzten Augenblick würde Heitsi-Eibib eingreifen. Doch diesmal kam der Elefant immer näher, gefolgt vom Rest der Herde. Es war, als rolle Donner über die Ebene. Aufgewühlter roter Staub stieg bis zu den Wolken empor, und die Erde grummelte. Sie spürten, wie sie unter ihren Füßen zitterte.
Bis zum allerletzten Augenblick schreckte Kupido nicht zurück. In dem verzweifelten Glauben, Heitsi-Eibib käme ihm zu Hilfe. Wie auch sonst immer. Er musste einfach eingreifen.
Tat es aber nicht. Und da wusste Kupido, es war aus und vorbei. So fühlte sich also Sterben an.
8. Wieder zu Hause
Erst im allerletzten Augenblick gelingt es Kupido, beiseitezuspringen; er wirft sich seitwärts in ein Dornengebüsch. Aus ein paar Gewehren wird gefeuert. Leute schreien. Die Elefanten trompeten.
Auch der Baas springt. Aber nicht schnell genug und nicht weit genug. Der Elefantenbulle packt ihn mit seinem riesigen Rüssel und schleudert ihn in die Luft wie ein altes Fell. Als er wie ein schwerer fallender Ast auf dem Boden auftrifft, macht das ein Geräusch, dass sich einem der Magen umdreht. Unmittelbar darauf schwenkt der Elefant unglaublich schnell für so ein Riesentier herum und beginnt, mit seinen Füßen so groß wie Baumstümpfe auf dem Körper, der nur noch aus zerbrochenen Knochen besteht, herumzutrampeln.
Erst jetzt erinnert Kupido sich an die Flinte. Er packt sie mit beiden Händen, reißt sie an die Schulter, zielt nach oben – der Elefant ragt drohend über ihm auf wie ein Berg – und feuert. Auf eine Stelle hinter dem linken Ohr. Der Rückstoß schleudert Kupido ein, zwei Meter nach hinten, ehe er flach auf dem Rücken landet. Doch er lässt den Bullen nicht aus den Augen. Eine Weile sieht es so aus, als würde nichts weiter geschehen, als würde das Tier die Kugel wie eine Bremse abschütteln. Doch dann, gerade als es den schlaffen, blutenden, staubigen Körper aufheben will, um ihn erneut in die Luft zu schleudern, höher als die Bäume ringsum, geben die großen Beine unter ihm nach. Und jetzt geschieht alles in Zeitlupe. Der Elefant schwankt, taumelt, und dann sackt das riesige Tier in sich zusammen. Direkt auf dem Jäger. Der zum Glück nicht mehr am Leben ist. Jeder einzelne Knochen in seinem Leib ist zerschmettert.
Es ist das erste Mal, dass sie wirklich und wahrhaftig miterlebt haben, wie Kupido einen Schuss abfeuert. Noch dazu einen perfekten Treffer. Das bestätigt nur das Bild, das sie sich schon immer von ihm gemacht haben. Nur dass es diesmal wirklich zu spät war.
Sie hacken die Stoßzähne heraus, um sie mit nach Hause zu nehmen. Sechzig Pfund das Stück, die Waage wird es zeigen. Den Baas legen die Männer in seinem Wagen auf den Haufen Häute von all den Tieren, die sie bis jetzt geschossen haben. Dann kehren sie um, weg vom Gariep, machen sich auf den langen Heimweg.
Nach drei Tagen müssen sie den Mann beerdigen, da der Gestank unerträglich geworden ist. Das Grab ist ziemlich flach, an einer Stelle, wo der Boden nicht so steinhart ist wie anderswo. Dann schichten sie Zweige und Steine auf das Grab, um die Schakale und Hyänen fernzuhalten. Ein Stapel, der von weitem den Steinhaufen, die im Lauf der Jahrhunderte zu Gedenkmalen an die Leben und Tode Heitsi-Eibibs geworden sind, ziemlich ähnlich sieht.
Das ist der Gipfel- und Endpunkt von Kupidos Leben als Jäger. Doch in seinem Beginn, und das weiß er, war auch schon sein Ende inbegriffen. Nie mehr wieder wird er Heitsi-Eibib vertrauen können.
Ein erstes Zeichen dafür, dass der Gott ihm seine Gunst entzogen hat (obwohl man natürlich nie ganz sicher sein kann), ist, als sie nach dem ausgedehnten Beutezug wieder auf der Farm im Koup eintreffen und er entdeckt, dass seine Mutter aus ihrer schäbigen Hütte verschwunden ist. Keiner hat auch nur die leiseste Ahnung, was mit ihr geschehen sein könnte. Doch nach all den Jahren, in denen sie unablässig davon gesprochen hat wegzugehen, ist es eigentlich keine Überraschung.
Auf der Farm herrscht nach dem Tod des Baas solche Bestürzung, dass keiner auch nur auf die Idee kommt, sie zu suchen. Das heißt, falls sie weggelaufen ist wie in den Jahren zuvor. Wer kann das schon sagen? Vielleicht hat einfach ein Wirbelwind sie mitgenommen. Mit Sicherheit lässt sich