Geschichtsmatura. Christian Pichler

Geschichtsmatura - Christian Pichler


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bieten formativ ausgerichtete Messverfahren die Chance, didaktische Entwicklungen anzuregen. Sie müssten vor allem ein „vertieftes, konzeptuelles Verständnis“45 überprüfen und mittels qualifizierter Rückmeldung („sparsames Lob, nicht viele Hinweise, keine Kritik“46) einen persönlichen Nutzen für Schüler*innen und für Lehrer*innen erkennbar machen. Uwe Maier verweist auf Beispiele, die eine merkbare Weiterentwicklung des Unterrichts belegen, wenn die Schulpartner klug in den Prozess integriert werden. Haupteffekt sei stets eine deutlichere Hinwendung der Lehrer*innen zu den Lernbedürfnissen ihrer Schüler*innen gewesen, sodass sich in diesen Fällen die Standardtestung als „hoch effektive ‚Unterrichtsintervention‘“47 erwiesen habe. Beschränkt sich der Prozess jedoch auf das Testen, sodass der Eindruck entsteht, er diene als „Instrument der Rechenschaftslegung auf Schulebene,“48 würde die Kompetenzmessung zu einer bürokratischen Übung degenerieren. Testbasierte Schulreformen müssten daher Modelle bieten, die nicht als „technisches Instrument der Schulsystemsteuerungsstrategie“49 empfunden würden, sondern die Ebene pädagogischen Agierens erreichen, die didaktische Handlungsspielräume (Auswahl der Inhalte und Verfahren) weitet. Wenn das gelingt, können Kompetenzen und Standards als „Transformationsriemen“ fungieren50 und letztlich „[…] zu einer Revolution in der Kultur der schulischen Leistungsmessung“51 führen. Resümee: Es ist nicht auszuschließen, dass den hohen Erwartungen an die Kompetenzorientierung im Unterricht nicht entsprochen werden kann und sie ein Idealtypus bleiben. In diesem Fall würde eine Verbesserung der Unterrichtsqualität ausbleiben. Die größere Gefahr ist aber, laut Herzog: „Falls wir sie (eine funktionierende Kompetenzorientierung und Standardisierung, C. P.) NICHT haben sollten, weil es in absehbarer Zeit nicht gelingen wird, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Kompetenzmodelle zu entwickeln, ist nicht auszuschließen, dass uns – vielleicht schneller, als uns lieb sein könnte – amerikanische Verhältnisse drohen.“52

      Am Ausgangspunkt des Reformprozesses stand die Erkenntnis, dass Schüler*innen in kongruenten Schultypen, Schulen und Fächern bei gleicher Leistung unterschiedlich beurteilt wurden. Die Ergebnisse von Vergleichsstudien des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in den 1990er Jahren mündeten zunächst in den Wunsch, Standards zu definieren, um die Benotung gleichwertiger zu gestalten.53 Erste Ideen und Konzepte gelangten aber nicht über das Stadium von Anregungen hinaus. Deutlicher als die frühen Studien der Bildungsforschung legten die Ergebnisse empirischer Qualitätstestungen zur Wirkung von Unterricht (TIMMS ab 1995, PISA ab 1997, PIRLS ab 2001, etc.) die Kluft zwischen dem Lehren und den Lernergebnissen offen. Die Auswirkung der öffentlichen Diskussion über die Resultate waren enorm. Sie bekamen den Charakter der Enttarnung eines Verdrängungsprozesses unangenehmer Wahrheiten. Laut Schönemann et all. habe die „desillusionierende Wucht“54 der PISA-Studie vielen vor Augen geführt, dass „die Selbstgewissheit der Deutschen, den erreichten Lebensstandard halten, ungefährdet Exportweltmeister bleiben und Probleme wie Rohstoffarmut und Globalisierungszwänge durch ein höheres Bildungs- und Qualifikationsniveau der Arbeitsbevölkerung kompensieren zu können“, auf tönernen Füßen ruhe. PISA sei nicht nur „kulturell eine Blamage“ gewesen, sondern habe „auch eine ökonomische Lebenslüge“ entlarvt.55 Die Entscheidung der Bildungspolitik messen zu lassen, was Jugendliche eigentlich können, sei daher verständlich gewesen. Bald wurde klar, dass die bloße Kenntnis der Intransigenz von Unterricht und Lernerfolg nichts über die Möglichkeiten zur Verbesserung der Lernergebnisse aussagt. Daher wurden die Fachdidaktiken aufgefordert, gemeinsam mit der Lernpsychologie fachliche Kompetenzmodelle zu erarbeiten, denen Standards, die zu setzen wären. zu Grunde gelegt werden sollten. Deutschland, und in dessen Gefolge Österreich, traten mit dieser Entscheidung in einen Prozess der Theorie-Entwicklung ein, der vom weitgehenden Konsens zwischen Wissenschaft und Bildungspolitik darüber getragen wurde, dass Bildung in Zukunft kompetenzorientiert vermittelt und entwickelt werden soll. Die Basis des nachfolgenden Prozesses war die notwendige Übereinstimmung in der Annahme, dass Kompetenzen vor dem Hintergrund der Erkenntnisse „moderat konstruktivistischer Lerntheorien“56 entwickelbar sind.57 Der Start erfolgte 2002/03 in Deutschland mit der Einigung der Kultusministerkonferenz (KMK) auf die Einführung von Standards als Messgrößen für kompetenzorientierten Unterricht in allen Bundesländern.58 Zunächst galt es die Frage zu klären, welche Art von Kompetenzen gemeint sind und wie Kompetenzentwicklung und -förderung organisiert werden sollen. Eine Arbeitsgruppe um Ewald Terhart hatte im Jahr 2000 bildungswissenschaftliche Standards für die Kompetenzbereiche Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren festgelegt und inhaltlich definiert.59 Sie wurden zur Basis eines neuen Berufsbildes für Lehrer*innen60 und zur Initiierung von Klärungsprozessen in den Fächern, wie mit dem Kompetenzparadigma domänenspezifisch umzugehen sei. Die Diskussionen mündeten in die Erkenntnis, dass fachspezifische Kompetenzsysteme in Kooperation von Fachdidaktiken und Fachwissenschaften zu modellieren seien. Angestrebt wurde die Konstruktion einigermaßen valider Modelle. Der Zeitdruck, das System qualitativ zu stabilisieren, erwies sich als Herausforderung.61 Kompetenzbeschreibungen, Progressionsverläufe und Testungsverfahren wurden den meisten Fächern in sogenannte „Kompetenz-Stufen-Modelle“ eingearbeitet, die die „normative Setzung von Mindest-, Regel- und Optimalstandards“62 festschrieben.63 Die KMK ordnete an, dass die Skalen dem PISA-System zu entnehmen waren, um das Projekt in den internationalen Kontext zu stellen. Vorgegeben wurden eine klare Unterscheidbarkeit von Kompetenzstufen und fachdidaktisch angeleitete, gut verständliche Modelle, damit die Lehrer*innen selbstständig damit umgehen können. Die Vereinbarung über die Beschreibung der Kompetenzstufen war letztlich das Produkt eines Aushandlungsprozesses zwischen Bildungspolitik, Forschung und Schulpraxis. Bei der Standardsetzung legte die KMK für Mindeststandards die Richtlinie fest, dass Schüler*innen zwar das Niveau curricularer Erfordernisse verfehlen könnten, es aber erwartbar sein müsse, dass die vorhandenen Kompetenzen den Übergang von der Schule zur Berufsausbildung gelingen lassen würden. Regelstandards, die zweite Stufe, sollten mit curricularen Standards ident sein, Optimal-Standards (3. Stufe) deutlich über diese hinausweisen und dem System Schule zeigen, wohin es sich entwickeln könnte.64 Diesem Vorgang ist eine Bildungsdefinition zu Grunde gelegt worden, die die Lebenspraxis in den Blick nimmt. Unterrichtsergebnisse sollten zu Handlungen befähigen.65 Parallel zur Modellierung der Kompetenzen mussten Richtlinien zur Testaufgabenerstellung erarbeitet werden, um valide Vergleichsmessungen sicherzustellen. In Deutschland entschloss man sich dazu, professionelle Item-Writer*innen auszubilden, die die Testaufgaben zu schreiben hatten, die Entwürfe sowohl von Fachdidaktiker*innen als auch von Psychometriker*innen auf Reliabilität hin begutachten zu lassen, sie in Pilotstudien zu erproben und die Durchführung der Testungen durch Normierungsstudien zu begleiten. In Österreich beschränkte man dieses Verfahren auf eine limitierte Zahl von „Standardfächern“.66 Bei den übrigen Domänen wurde die punktuelle Kompetenzüberprüfung mittels der Matura-Examina für ausreichend erachtet, um Informationen über die Qualität der Bildungsarbeit zu erhalten.

      Der Psychologe und Bildungsforscher Eckhard Klieme verfasste im Auftrag der KMK 2005 eine Expertise mit dem Ziel, grundlegende Aspekte einer Implementierung von Bildungsstandards in die deutschen Bildungssysteme vorab zu klären. Klieme definiert „Kompetenz“ als eine Größe, die in einer Relation zu Standards zu stehen hat. Aus kompetenzorientiertem Unterricht erwachsene Standards sollten die Alternative zu inhalts- bzw. lernzielorientierten Unterrichtsergebnissen bilden. Der Begriff „Kompetenz“ entstammt der Lernpsychologie und beschreibt Wissensfelder, aus denen sich Bereiche konstituieren lassen. Sie bündeln „intelligentes Wissen“, worunter entwickeltes Problembewusstsein und dessen Vernetzung mit verschiedenen Wissenselementen, meist domänenspezifischen, verstanden wird. Neben dem fachlich-inhaltlichen Gesichtspunkt ist die „Operation“, die Anwendung von Wissen, ein zentraler Baustein im Kompetenzgebäude, weil hier der Aspekt der Fertigkeit (das Können) zum Ausdruck kommt. Fertigkeiten erscheint in unterschiedlichen Ausprägungen, sodass sie gestuft werden müssen. Die Parameter Kompetenz und Niveau seien in Modellen miteinander zu verweben. „Ein Kompetenzmodell beschreibt den Kern des Wissens und Könnens in einer ‚Domäne‘, das im Idealfall kumulativ, in sinnvollen Lernschritten aufgebaut wird […]. Standards


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