Geschichtsmatura. Christian Pichler

Geschichtsmatura - Christian Pichler


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Operationalisierungen des Kompetenzbegriffs in den Domänen bzw. Fächern zu erfolgen […]. Daraus begründet sich weiterhin die Notwendigkeit, bei der Entwicklung von Kompetenzmodellen auf dem Theorie- und Erkenntnisstand der Fachdidaktiken aufzubauen. Fachdidaktiken rekonstruieren Lernprozesse in ihrer fachlichen Systematik und zugleich in der je spezifischen domänenabhängigen Logik des Wissenserwerbs und der Kompetenzentwicklung.“68 Klieme rät dazu, die Konstruktion von Aufgabenformaten als wesentlichen Teil der Theoriebildung zu sehen und schlägt drei Stufen für den Modellbau vor: (1) die Definierung von Teildimensionen (Kriterien für Aufgabenformate); (2) die Konstruktion von Aufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und Bewertungsregeln (schreiben, empirisch prüfen, dimensionieren); (3) die Beforschung der Mess-Ergebnisse (Verteilung der Schüler*innen auf Niveaustufen, Deutung der Entwicklungsverläufe etc.). Schließlich empfiehlt Klieme den Fachdidaktiken, der Erarbeitung systematischer fachlicher Kompetenzmodelle und deren Progressionsbeschreibungen den Kompetenzbegriff von Franz Weinert zu Grunde zu legen,69 was durchgängig geschehen ist.

      Der Begriff „Kompetenz“ ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen. „Competere“ bedeutet „zusammentreffen“, aber auch: „zu etwas fähig sein“. Nach der Definition Weinerts meint der pädagogische Kompetenzbegriff die „[…] bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. […]“.70 Kompetenzen müssen demnach eine praktische Komponente haben, die Kenntnis von Theorie allein genügt nicht. Entscheidend für das Agens ist der Faktor „Bereitschaft“, die Motivation und der Wille zur Anwendung der Fähigkeiten und Fertigkeiten „im Leben“. Mit der Weinert-Formel ist eine Definition gefunden worden, die Kompetenz als ein „generatives Vermögen“ beschreibt und damit originäre kognitive Leistungen in den Fokus rückt. Hans-Jürgen Pandel stellt rückblickend für die Geschichtsdidaktik fest, dass auf dieser Basis „Kompetenz“ als „[…] eine domänenspezifische Problemlösungsfähigkeit“71 hat determiniert werden können, was das Prinzip für das Fach Geschichte annehmbar gemacht hat. Wie Pandel beurteilen die meisten Geschichtsdidaktiker*innen die Weinert’sche Kompetenzformel als jene Veränderung im Diskurs um die Kompetenzimplementierung,72 die die Möglichkeit eröffnet hat, „[…] den Schülern solche domänenspezifische Fähigkeiten zu vermitteln, dass sie mit neuen Ereignissen, neuen Situationen, neuen Kontroversen umgehen können.“73 Die Bedeutung der Betrachtung von Kompetenzen als „Denkinstrumente“ liegt in der damit verbundenen Einsicht, dass historische Bewusstseinsbildung mit dem Schulunterricht weder beginnt noch endet, womit geklärt worden ist, dass die Aufgabe von Unterricht darin besteht, die sich entwickelnde Selbstständigkeit in der Orientierung zu fördern. Daher war der Konsens darüber wichtig, dass der Umgang mit Geschichte seinen Zweck in der Orientierung für die Gegenwart zu finden hat und dass das als dynamisches Konstrukt (neues Wissen, neue Fragen, neue Strukturen) wahrgenommen wird.74

      Trotz des weitgehenden Konsenses über die Kompetenztheorie gibt es Kritik von Teilen der Bildungsforschung und der Fachdidaktik an testbasierter Sicherung von Unterrichtsqualität. Sie fokussiert auf Zweifel an der Möglichkeit, didaktische Theorien in die Schulpraxis zu transferieren. Zeitler et all. meinen, Testungen würden zwar Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Unterricht und Lernerfolg geben, die Verbesserung von Unterricht sei aber eine komplexe Angelegenheit, die differenzierte und abgestimmte Maßnahmen erfordere. Hierzu fehlten Hinweise in den Modellen.75 Argwohn resultiert weiters aus der misslungenen Kommunikation der Bedeutung von Kompetenzorientierung und Standardisierung. Uwe Maier kritisiert den im Bildungsdiskurs häufig verwendeten und aus den USA stammenden Begriff „Output“ als „eine kybernetische Metaphorik“ und als „sehr schillernd, technomorph“.76 Wohl wird eingeräumt, dass kompetenzorientierter Unterricht einem Zweck dient und dass das Erreichen des Anspruchs, „kompetente Schüler*innen“ in das Leben zu entlassen, eine Überprüfung der Entwicklung nötig macht, das manifest gewordene Procedere erscheint Maier aber zu technokratisch.77 Werner Heil lenkt den Blick auf die Lehrer*innen und wirft den Proponenten der Kompetenzorientierung vor, Misstrauen gesät zu haben, denn gegen das Anwenden von Begriffen aus der Ökonomie auf „[…] die Schule, die Erziehung und Bildung junger Menschen […] sträubten sich zu Recht nicht nur das pädagogische Empfinden, sondern auch der pädagogische Verstand. Bildung ist keine Ware, die man nach Standards und Warenproduktion messen und bewerten kann.“78 Und er kritisiert die terminologische Abwertung des Begriffs „Lernziel“ zugunsten von „Ergebnis“. Eine weiteres Transferproblem ist der Handlungsdruck, der aus dem „PISA-Schock“ erwachsen ist. Die Behörden würden neue Bildungspläne viel zu rasch in Kraft setzen, ohne dass sich Kompetenzmodelle als ausgereift erwiesen hätten bzw. von Lehrer*innen ausreichend internalisiert worden wären. Auch Schönemann et all., warnen mit Nachdruck vor negativen Auswirkungen überstürzter Bildungsreformen.79 Dieser Position tritt Pandel bei, wenn er feststellt, die hektisch geführte Diskussion nach PISA und die überstürzte Umsetzung kompetenzorientierter Ziele im Unterricht habe „wolkige Formulierungen“80 in manchen Lehrplänen zur Folge gehabt und eine Verwirrung gestiftet, die das Anliegen konterkariere.81 Der Wunsch, Lernen so zu organisieren, dass Schüler*innen ihr Leben besser bewältigen können, drohe aus dem Blickfeld zu schwinden. „Damit war der kompetenzorientierte Unterricht geboren, dessen Geburtsfehler den Blick auf die tatsächliche Qualität des Kindes möglicherweise getrübt haben.“82 Die Folgen seien gravierend. Viele Lehrer*innen würden bereits „bedenkliche ‚Kompromiss(e)‘ „83 eingegangen sein, man habe „[…] das didaktische Potenzial des standardbasierten kompetenzorientierten Unterrichts“84 nicht erkannt.85

      Innerhalb der Geschichtsdidaktik gibt es zudem Bedenken bezüglich der Anwendbarkeit des Kompetenzbegriffs von Weinert in der Domäne. Besonders das als apodiktisch angesehene Erfordernis zu standardisieren wird kritisiert. Schönemann et all. weisen darauf hin, dass Geschichte niemals ein standardisierbares „PISA-Fach“ werden könne, weil internationale Vergleichbarkeit nicht herstellbar sei. Es gebe zu wenige empirische Befunde, als dass Kompetenzerwerb und Lernprogression in ein konsistentes Stufungsmodell münden könnten, und es dürfte kaum gelingen, valide Diagnoseverfahren zu konstruieren. Außerdem stelle der Versuch einer Ökonomisierung der Kategorie „Geschichtsbewusstsein“ ein Antonym zum pädagogischen Anspruch dar, einen individuellen Bildungsbegriff zu konzipieren. „Im Vordergrund steht die kognitive Zurichtung ganzer Schülerpopulationen nach Maßgabe bildungsökonomischer Notwendigkeiten.“86 Die Gruppe regt daher einen Neustart der Kompetenzdiskussion an.87 Demgegenüber hält Hans-Jürgen Pandel das Prinzip der Kompetenzorientierung für theoretisch ausreichend durchdrungen und fundamentiert. Probleme würden sich aber aus dem „geschichtsdidaktische(n) Warenhaus der Kompetenzen“88 ergeben, dessen unübersichtliche Palette von emanzipatorischen über ästhetische und sprachliche, zu emotionalen und logisch-logistischen Kompetenzdefinitionen reiche. Und Pandel kritisiert die Theoriearbeit Jeismanns und Rüsens als unhistorisch. Sie hätten nichts genuin Fachspezifisches entwickelt, sondern allgemeine philosophische Überlegungen auf die Domäne Geschichte übertragen,89 ein Vorwurf, den Bodo v. Borries zurückweist.90 Zwar fehle eine befriedigende Klärung der Schwierigkeitsgrade historischer Denkformen, es sei aber Sache der Fachdidaktik, nicht der Geschichtstheorie, entsprechende Aufgaben aus den Kompetenzmodellen abzuleiten und empirisch zu erproben.91 Werner Heil schließlich hält an Kompetenzdefinition Weinerts die Aspekte „Problemlösen“ und „Bereitschaft“ als für den Umgang mit Geschichte für fragwürdig, denn es könne in einer Domäne, deren Operationen primär mentaler Natur seien, kein Kriterium für Kompetenz sein, ohne Anlass Probleme lösen zu müssen. Der volitionale Gesichtspunkt sei zwar für den Kompetenz-Erwerb von Nutzen, ein Kriterium für verfügen über Kompetenz könne er jedoch nicht sein.92

      2.3.1 Ein langer Weg: Von Inhaltszentrierung über Schlüsselprobleme zu fachlichen Kompetenzen

      Die Kritik namhafter Proponenten der Geschichtsdidaktik mag


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