Die Frau im Schatten. Bodil Mårtensson

Die Frau im Schatten - Bodil Mårtensson


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Burg nun tatsächlich nichts Besonderes vorgefallen war – warum hatte er dann diese gehörige Stärkung nötig?

      Sahlman konnte sich auf Dauer natürlich nicht selbst belügen. Er konnte versuchen, anderen etwas vorzumachen, aber kaum sich selber. Dort oben im Gästesaal hatte sich etwas ereignet, das ihn tief ins Mark getroffen und vermutlich für immer verändert hatte.

      Als wäre das Leben plötzlich umgeleitet worden – auf ein Nebengleis, von dem aus es in eine unbekannte Richtung unter unklaren Bedingungen und mit völlig widersprüchlichen Vorstellungen weiterging.

      Er war zutiefst in seiner Seele erschüttert.

      Zum ersten Mal in seinem Leben bedauerte er es, niemanden zu Hause zu haben, der auf ihn wartete und mit dem er die Verwirrung hätte teilen können. Jemand, der sich seine idiotische Geschichte angehört hätte, damit er die unwahrscheinlichen Worte laut hätte aussprechen können.

      »Ich habe ein Gespenst gesehen!«

      Aber es wartete leider niemand, außer natürlich seinem geliebten Goldfisch Wanda mit den goldenen Schleiern, doch mit ihm konnte man nicht sprechen! Nein, außer ihm war da nur seine aufgeräumte, aber einsame Junggesellenwohnung, die ihn an einem Abend wie diesem kaum locken konnte.

      »Lädst du mich auf ein Bier ein..., compadre?«, hörte er eine schleppende Stimme sagen. Er fühlte eine schwere Faust auf seiner Schulter. Die robuste Begrüßung eines unbekannten Saufkumpanen.

      An jedem anderen Tag hätte sich Sahlman zu seiner vollen Größe aufgerichtet und den Betreffenden gebeten, sich einen Platz weiter weg zu suchen, am besten am anderen Ende der Stadt. Doch in diesem Fall erschien ihm die aufdringliche Anfrage als außerordentlich willkommene Unterbrechung seiner wirren Gedanken, und Sahlman nahm den Vorschlag bedingungslos an.

      »Klar! Sure, setz dich«, sagte er ebenfalls ein wenig träge. »Welche Sorte Gift bevorzugst du?«

      »Ich werd verrückt, geben Sie wirklich einen aus? Das war das Letzte, was ich von Ihnen erwartet hätte, Schutzmann!«

      Schutzmann?

      Was sollte denn diese idiotische Anrede?

      Sahlman wurde munter, wandte sich um und starrte auf seinen selbst ernannten Gast.

      Der Terminator. Der Mann mit dem eisernen Willen und dem Zeug zum Geschäftsmann, der die Motorradclique Gangsters in Lönnarp anführte. Ein Mann, mit dem sich keiner, der auch nur ein bisschen gescheit im Kopf war, absichtlich anlegen würde. Der allerdings im Augenblick äußerst jovial wirkte.

      Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck stand er schräg hinter Sahlman und zwirbelte seinen rothaarigen Schnurrbart. »Okay, wenn Sie es sagen«, grinste er verschmitzt, schwang ein Bein über den Barhocker neben Sahlman und machte es sich bequem.

      Er roch nach Leder und Öl wie nicht anders zu erwarten war.

      Sahlman blieb stumm. Was sollte er auch sagen?

      »Na?«, fragte der Terminator. »Was ist denn mit Ihnen los? Sie sehen ja völlig fertig aus, verdammt. Sind Sie vom Personalabbau im Corps betroffen, oder haben Sie sich nur den Mantel versaut?«

      Sahlmans Vorliebe für peinlich korrekte Kleidung war demnach sogar außerhalb der Mauern des Polizeigebäudes Gegenstand der allgemeinen Erheiterung, was ihm nicht besonders gefiel, vor allem nicht jetzt.

      »Hören Sie mal, immer ganz sachte«, brauste er auf. »Wenn Sie nützliche Informationen anzubieten haben, bleche ich für Ihr Bier. Ansonsten rate ich Ihnen, sich unauffällig zu verziehen.«

      »Hoppla, hoppla!«, sagte der Terminator verwundert. »Das war ernst gemeint. Sagen Sie mir, womit kann ich Ihnen helfen?«

      Er war heute Abend wirklich gut drauf – gutmütig, neugierig und... beharrlich. Wie auch Gårdeman besaß er die Fähigkeit, Leute dazu zu bewegen, sich ihm anzuvertrauen.

      »Tja«, meinte Sahlman griesgrämig, »Sie könnten ja Richtlinien für einen dauerhaften Waffenstillstand zwischen den Gangstern und den Outlaws erstellen. Das würde sicher verdammt gut helfen.«

      »Shit, ich meine... etwas, das innerhalb der annehmbaren Grenzen liegt!«

      »Ach, vergessen Sie’s und sagen Sie einfach, was Sie trinken wollen«, entgegnete Sahlman und tat den Rest der Diskussion mit einer irritierten Handbewegung ab.

      »Sie sind doch nicht verkabelt oder so?«

      »Was soll ich sein?«

      »Wanze, Mikrofon...«

      »Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich Sie hier treffen würde. Außerdem habe ich heute Abend frei – endlich.«

      Der Terminator schaute ihn misstrauisch an.

      »Ich habe es heute nicht auf Sie abgesehen«, versicherte Sahlman.

      »Also dann... dann nehme ich Norrlands Guld.«

      Das Bier kam – mit Schaumkrone und gut gekühlt – in einem großen Seidel, und der Terminator leerte das halbe Glas in einem einzigen Zug. Den im Bart hängen gebliebenen Schaum leckte er so sorgfältig und wollüstig ab, als wäre es die Sahne auf dem Neujahrswindbeutel.

      Dann stieß er einen unvermeidlichen Rülpser aus und wandte sich Sahlman erneut aufmerksam zu. »Na, über welchen Problemen brüten Sie? Schießen Sie los! Meinen Lohn fürs Zuhören habe ich ja schon bekommen.«

      Sahlman schaute ihn kurz an, zuckte mit den Achseln und beschloss, dass es egal war, wem er sein Herz ausschüttete. War schon möglich, dass der Chef der Motorradgang sogar besser geeignet war als seine eigenen Kollegen, die sich eher das Maul darüber zerreißen würden. Denn dieser Rocker hatte vermutlich selbst schon das eine oder andere Erlebnis dieser Art gehabt.

      Er starrte in seinen Gin Tonic. Als er den Alkohol ins Blut steigen merkte, verlor er seine Hemmungen, räusperte sich und kam schließlich zur Sache.

      »Haben Sie jemals etwas... Übersinnliches erlebt?«

      »Tja, nicht dass ich wüsste. Wenn, dann das eine Mal in Skövde, als ich auf einen dienstbeflissenen Bullen traf.«

      »Haha, Scherz beiseite, haben Sie oder nicht?«

      Der Terminator dachte ernsthaft nach. Das Gold aus Norrland half ihm dabei, so gut es ging.

      »Nein.«

      Sahlman seufzte enttäuscht. »Aber angenommen, Sie würden es erleben, wie würden Sie reagieren? Was würden Sie tun?

      Nun seufzte der Terminator. »Tja, eine schwierige Frage. Was zum Teufel würde man dann eigentlich machen?«

      Sie betrachteten ihre Gläser und genehmigten sich, wie auf verabredetes Signal, jeder erneut einen Schluck.

      »Welche Art... übersinnlicher Erscheinungen meinen Sie denn genau?«, wollte der Terminator wissen.

      »Gespenster.«

      »Gespenster?«

      Der Ganganführer schaute seinen zufälligen Trinkbruder erstaunt an, lachte aber nicht.

      Er schien das Thema wirklich ernst zu nehmen, wofür Sahlman aufrichtig dankbar war.

      »Nee, ein Gespenst hab ich noch nie gesehen«, gab der Terminator zu. »Einige Bräute können ja wie solche aussehen, klar..., aber kein richtiges Gespenst, nein. Und Sie?«

      »Ja. Nein. Ich weiß nicht.«

      Sahlman klang ebenso wirr, wie er sich fühlte. Doch der Terminator wollte ihm wirklich entgegenkommen, auch wenn sein flüssiger Lohn fürs Zuhören bereits fast ausgetrunken war.

      »Jetzt erzählen Sie schon!«, forderte er ihn auf. »Fangen Sie ganz am Anfang an – immer schön der Reihe nach. Und dann werden wir sehen, was am Ende herauskommt.«

      Es kostete Sahlman noch zwei Biere und einen weiteren doppelten Gin, bis die ganze Geschichte erzählt war. Unterdessen starrte der Terminator mit hellseherischem Blick auf die Flaschen


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