Die Frau im Schatten. Bodil Mårtensson

Die Frau im Schatten - Bodil Mårtensson


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Verrücktem!

      Dort oben in den Sälen der anderen Stockwerke wütete es und verhöhnte, bedrohte und terrorisierte das treue Museumspersonal.

      Aber jetzt hatte jemand die Sache wirklich auf die Spitze getrieben – so konnte es definitiv nicht weitergehen!

      Auch wenn man das Museum vor einer guten Stunde geschlossen hatte, wollte keiner nach Hause gehen, solange die Sache nicht geklärt war.

      Oder wenigstens nicht, bevor die Polizei kam.

      »Ruf an! Ruf jetzt sofort an, bevor er jemanden von uns tötet!«

      Linda spürte, wie die Hysterie ihr die Kehle zuschnürte. Sie versuchte, dem Gedanken an das Messer auszuweichen, das geradewegs auf sie zugeflogen kam, als sie einige Stunden zuvor auf dem Weg in die zweite Etage gewesen war.

      Doch so etwas vergisst man nicht so leicht.

      Ehrlich gesagt hatte sie es kaum wahrgenommen. Sie hatte nur etwas aufblitzen sehen und diesen zischenden Laut gehört – so unangenehm nahe.

      Dann war es unmittelbar neben ihr in der Tür eingeschlagen, und als sie das unheimliche Klirren hörte, dachte sie, dass es auf den Boden gefallen sei. Aber sie war sich nicht hundertprozentig sicher, denn sie war sofort in Panik die Wendeltreppe hinuntergeflüchtet.

      Jetzt legte sie verzweifelt die Fingerspitzen an die bereits schmerzenden Schläfen und drückte fest zu, um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren.

      Bo Jernback begriff, dass er keinen einfachen Ausweg aus dem Dilemma finden würde. Dieses Mal würde es nicht so leicht wie sonst für ihn werden, den Kopf in den Sand zu stecken.

      Er ging zur Kasse, zwängte sich hinter die schützenden Glaswände und nahm den Hörer ab.

      Begann zu wählen – und hielt inne. »Aber was zum Teufel soll ich denn sagen?«, wollte er wissen.

      Plötzlich war Linda wieder vollkommen ruhig und klar. Als ob der bloße Gedanke daran, endlich Hilfe zu bekommen, ihr neue Kräfte verlieh. »Sag, wie es ist, verdammt!«, fauchte sie.

      »Wie es ist? Du spinnst doch!«

      In diesem hitzigen Augenblick traf Anna Stråhed unvermittelt eine Entscheidung: Sie würde wirklich in Rente gehen!

      Wollte sich plötzlich keine Sekunde länger als notwendig hier aufhalten. Gedachte wahrhaftig nicht zu bleiben und zu erleben, wie sich die Tragödie vollenden würde.

      Es konnte ja jeden treffen, einen Touristen, Linda, Bosse – oder sogar sie selbst! Denn das hier würde in einem Unglück enden, davon war sie felsenfest überzeugt. Und sie dachte nicht daran, darauf zu warten!

      Linda stampfte so erbost mit ihrem Stiefel auf den Holzfußboden im Eingangsbereich, dass es schicksalsträchtig im Gebälk krachte.

      Das Echo hallte nach, wand sich über die ziegelgemauerte Wendeltreppe, die Könige und Königinnen früherer Jahrhunderte in ihre Gemächer getragen hatte, aufwärts. Stieß gegen die Rundungen der Wände und setzte sich in Richtung der nasskalten Schlosssäle in den oberen Etagen fort.

      Hörte er sie?, dachte sie atemlos. Der da – in der Dunkelheit da oben?

      »Sag einfach, wie es ist...«, forderte sie den Direktor auf, und ihre Stimme ging in ein schneidendes Falsett über, was Bo Jernback schließlich einsehen ließ, dass er keine andere Wahl hatte.

      »...sag, dass es spukt!«

      16:58:33

      Es war nasskalt und ungewöhnlich frostig für Schonen, als Kriminalkommissar Joakim Hill das Polizeipräsidium verließ und seine Schritte in Richtung der stark befahrenen, hektischen Carl-Krooksgatan steuerte.

      Ein rauher Wind blies ihm entgegen, und Hill fröstelte, kaum dass die Eingangstür hinter ihm zugefallen war. Er schlug den Kragen der Winterjacke hoch und schloss ausnahmsweise den Reißverschluss bis unter das Kinn.

      Es war unwiderruflich Winter geworden.

      In der Stadt spürte man schon den Weihnachtstrubel – eine elektrisierende Spannung, die die Menschen erfasste und in erwartungsvoller Vorfreude auf die Straßen und Plätze zog, als ob das kindliche Gemüt in ihrem Inneren weiterhin existierte und genau wusste, wann es an der Zeit war, hervorzuluken und zur Begrüßung der weißen Jahreszeit frostüberzogene Blüten treiben zu lassen.

      Und das, obwohl es noch nicht einmal Advent war, ja, es bis dahin immerhin noch fast zwei Wochen dauerte.

      Kriminalkommissar Joakim Hill von der Polizei Helsingborg war im besten Junggesellenalter. Mit neununddreißig Jahren würde er zwar bald unleugbar die magische Vierzig passieren – die Schrecken erregende Grenze zwischen unbeschwerten Jugendjahren und dem trägen Erwachsenenleben –, doch das Nahen einer größeren Krise glaubte er noch nicht zu spüren. Andererseits wusste er ja nicht, wie eine Vierzigerkrise sich anfühlte, denn er war nie zuvor vierzig geworden.

      Es passierte manchmal, dass er von seinen Kollegen auf dem Revier scherzhaft »Joe Hill« genannt wurde, was bei seinem Namen unvermeidbar war. Die freundlichen Sticheleien ertrug er meistens mit ebenso freundlichem Gleichmut; außerdem war der Vergleich nicht ganz unberechtigt.

      Joakim Hill war dem jungen Schauspieler Thommy Berggren, der Anfang der Siebziger den alten, schwedisch-amerikanischen Klassenkämpfer Joe Hill unter Bo Widerbergs meisterlicher Regie mit starker Ausstrahlung auf der Kinoleinwand dargestellt hatte, in der Tat nicht unähnlich. Wo dieser allerdings wie selbstverständlich sein Charisma offenbarte und hauptsächlich seiner Natürlichkeit wegen die Aufmerksamkeit seiner Umgebung auf sich zog, benahm sich Joakim unauffälliger und war meistens dankbar dafür, sich weder im Beruf noch privat besonders von der Masse abzuheben.

      Er selbst hielt sich für eine recht stille Natur, und er wendete, im Unterschied zu seinem Kollegen Sahlman, dem Snob des Reviers, weder mehr Zeit noch Geld als nötig für sein Äußeres oder für Vergnügungen irgendwelcher Art auf.

      Joakim Hill war möglicherweise etwas größer als der Durchschnitt und ansonsten weder mager noch dicklich, weder blond noch dunkel, sondern einfach nur – wie er selbst zu sagen pflegte – ganz gewöhnlich aschblond. Hingegen hatte er genau die gleichen sinnlich dunklen Augen wie Thommy Berggren.

      Sein Leben war bisher ziemlich anspruchslos verlaufen. Er wohnte in einer zentral gelegenen, kleineren Wohnung, die er persönlich recht ansprechend fand. Er besaß einen hochwertigen Fernseher mit 84-Zentimeter-Bildschirm sowie ein Videogerät, schaffte es aber nur selten, tatsächlich mal etwas anzugucken. Seine Videosammlung umfasste unter anderem Dirty Harry und eine Anzahl weiterer Clint-Eastwood-Klassiker aus den Siebzigern. Doch wenn er erst einmal in sein Fernsehsofa sank, ging ihm entweder irgendein Fall im Kopf herum, oder er schlummerte selig ein und wachte nicht auf, bevor der Bildschirm nur noch flimmerte und er einsehen musste, dass es endgültig Zeit wurde, in die Falle zu kriechen. In der Speisekammer stand meistens eine Flasche Single-Malt-Whisky – für die Freitagabende, an denen die Arbeit einfach nicht aufhörte, in seinem Kopf herumzuspuken.

      Und dann hatte er natürlich seine alte LP-Sammlung mit Buddy Rich, Bud Powell und selbstverständlich Charlie Parker. Aber er spielte sie nicht mehr so oft, zum einen, weil der Plattenspieler, den er zusammen mit einem Teil der Jazzsammlung von seinem exzentrischen Onkel Akke geerbt hatte, noch mit einem verschlissenen Shure-Tonabnehmer aus den frühen Siebzigern versehen war. Zum anderen aber, weil er sich stattdessen eine handlichere Sammlung der Ausgaben auf CD angeschafft hatte. Wenn er heutzutage in Helsingborg in den Jazzclub ging, dann meist aus fahndungstechnischen Gründen.

      Seine Beförderung auf den jetzigen Posten war zwar erst etwas mehr als zwei Jahre her, doch er hatte in dieser Zeit schon verdienstvolle Polizeiarbeit geleistet. Hin und wieder musste er sich eingestehen, dass der Job auf eine gefährlich schleichende Art und Weise sogar zu seiner wichtigsten Freizeitbeschäftigung zu werden drohte.

      Das Mysterium der Rubbellosmorde hatte er noch im Frühjahr gelöst und sich den Sommer über intensiv und letztlich erfolgreich einem Fahndungsauftrag in Zusammenarbeit mit dem Zoll gewidmet. Es war


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