Die Frau im Schatten. Bodil Mårtensson

Die Frau im Schatten - Bodil Mårtensson


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bedeutete unter Polizisten oftmals eher »Seid ihr im Einsatz – und wenn ja, könnte ich dann mitfahren?«

      »Vielleicht«, nickte Hill. »Wohin willst du denn?«

      »Äh, nur bis hoch zum Stortorget.«

      »Okay, aber ich muss erst noch ein paar Details mit Mandén abklären. Warte kurz.«

      Sahlman und Gårdeman warteten im Eingang des menschenleeren Foyers, der eine erwartungsvoll – Letzterer ungeduldig.

      So was Blödes, dachte Gårdeman. Gerade jetzt, wo ich das abendliche Menü bis ins kleinste Detail geplant habe – und zwar so ins Detail, dass mein Magen bereits knurrt!

      An der Rezeption bekam Hill ein paar Unterlagen und einige kurze Instruktionen von Mandén, nickte ihm zu und trabte zurück zur Tür.

      »Tut mir Leid, Knut«, sagte er und klopfte dem Kollegen flüchtig auf die Schulter. »Wir müssen genau in die entgegengesetzte Richtung – nach Råå raus. Und wir haben es eilig! Aber man sieht sich!«

      Gårdeman schloss sich Hill an und fischte gleichzeitig sein Handy aus der Tasche. Es war wohl am besten, Lena vorzuwarnen, dass es auch heute wieder spät werden könnte. Ohne Genaueres über den Fall zu wissen, beschlich ihn so eine Ahnung, dass er gut daran täte.

      Die zwei waren bereits auf dem Weg zur Garage, bevor Knut begriffen hatte, dass er tatsächlich stehen gelassen worden war.

      Er zuckte mit den Achseln, rückte den Mantel zurecht, schlug den Kragen hoch und zog die sandfarbenen Rindslederhandschuhe an. Da musste er wohl oder übel zu Fuß gehen.

      Übel nicht etwa deshalb, weil sein Ziel so verdammt weit entfernt vom Präsidium lag, das auf seinem strategischen Eckgrundstück mit sechs Stockwerken aus braunroten Ziegeln hochragte und gleichsam über den südlichen Zubringer der Stadt bis ins Zentrum und zum Stortorget hinüberspähte.

      Nein, es war nur so, dass es ihn im Moment rein gefühlsmäßig zu sehr aufreiben würde, durch die Geschäftsstraßen zu schlendern. Wenn er nun zufällig etwas richtig Schickes entdeckte? Etwas, das ohne Zweifel würdig wäre, seiner Garderobe hinzugefügt zu werden?

      Jetzt – da vollkommene Ebbe in seiner Kasse herrschte!

      Und außerdem fragte er sich, warum Mandén eigentlich gerade ihn in dieser Sache losschicken musste. Hatte er keinen anderen, dem er das Leben schwer machen konnte?

      War wirklich nur er, Knut Sahlman, der einzig denkbare Kandidat für diesen Job?

      Und war das Ganze überhaupt ein Fall für die Polizei?

      Oben in diesem schauerlich kalten Kärnan Gespenster zu jagen!

      17:25:22

      Råå – das einst so bedeutsame Fischerdorf, das in einer blutigen Schlacht nach der anderen den großen Dänen auf der anderen Seite des schmalen Sundes so beständig abgewehrt hatte – schien heute die Wiege von Harmonie und Ruhe zu sein.

      Über die Jahrhunderte konnte man verfolgen, wie die wechselhafte Konjunktur, die vom Heringfang abhing, die Lebensbedingungen des Dorfes diktierte: von vornehmem Wohlstand bis hin zu äußerster Armut.

      Heutzutage war der Ort wieder ausgesprochen wohlhabend, obgleich längst nicht mehr die Fischerei das Geld einbrachte. Das Gold der Yuppies und das Silber der Boutiquen waren verantwortlich für die gefüllten Kassen, und über die stolzen Einkünfte wurde schamlos im Verzeichnis der Steuerzahler höherer Einkommen Rechenschaft abgelegt.

      Doch allen Modernisierungen zum Trotz lebte man hier immer noch ein bisschen wie zur Zeit der Jahrhundertwende. Umgeben von Strandpromenaden und kleinen Läden in überschaubaren Geschäftszeilen aus dunkelrotem oder hellgelbem Ziegel verband die Einwohner des Ortes eine altmodische Vertrautheit.

      Ein Idyll – ohne jeden Zweifel. Aber die Frau, die an diesem Abend auf dem Fahrersitz im Auto draußen in Råå saß, hatte überhaupt nichts Idyllisches an sich. Ihr Oberkörper war in einem schiefen Winkel an den Beifahrersitz gelehnt, und ihr Kopf ruhte auf dessen Nackenstütze.

      Sie starrte vor sich hin in eine unbekannte Ferne, und der offene Mund gab dem Gesicht einen merkwürdigen, leicht verwunderten Ausdruck.

      Sie war tot.

      Leider bestand daran nicht der geringste Zweifel. Außerdem musste alles ziemlich schnell gegangen sein, denn sie hatte es weder geschafft, aus dem Auto zu steigen, noch, die geringste Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Gewiss gab es nicht viele Leute, die sich an diesem nasskalten Abend hier in dem verschlafenen kleinen Vorort von Helsingborg auf der Straße aufhielten, aber irgendjemand hätte doch immerhin auf sie aufmerksam werden müssen, falls sie wider Erwarten die geringste Chance gehabt hätte, nach Hilfe zu rufen. Sollte man zumindest meinen.

      Warum man den Vorfall überhaupt bemerkt hatte, lag einzig daran, dass ein Bewohner von Råå während des Abendspaziergangs mit seinem Hund dankenswerterweise auf sie aufmerksam geworden war, weil sie so verwundert zum funkelnden Sternenhimmel emporgeblickt hatte.

      Seine Aussage war furchtbar umständlich formuliert.

      Er hat sie wiedererkannt, sagte er, obwohl sie noch nicht besonders lange in Råå wohnte. Manchmal hatte er sie im Laden gesehen. Sie war sehr jung – sicher nicht älter als fünfundzwanzig oder achtundzwanzig Jahre –, aber dennoch eine flotte junge Dame.

      Auf so etwas achtete man eben.

      Und träumen dürfte man doch wohl!

      Sie hatte angeblich ein kleines Reihenhaus, glaubte er zu wissen, nicht weit von dort, wo das Auto jetzt am Bürgersteig geparkt war. Ein Reihenhaus, in das sie ziemlich genau vor einem Jahr eingezogen war.

      Erst ging er einfach an dem Auto vorbei. Trottete den Bürgersteig entlang, ohne den glänzend gewachsten, mitternachtsblauen Mitsubishi näher zu beachten. Der Hund musste ja wohl oder übel sein Geschäft machen!

      Erst auf dem Rückweg mit seinem Hund, da schwante ihm nichts Gutes.

      Denn da saß sie noch immer, die hübsche, elegante junge Frau, die er meinte, schon einmal im Supermarkt gesehen zu haben. Hatte sich seit Minuten nicht bewegt. Nicht einmal mit der Wimper gezuckt, seitdem sie vorbeigegangen waren...

      So, als ob sie da saß und direkt ins Paradies schaute.

      Und eine andere Sache, die ihn stutzig machte, war, dass der Hund plötzlich den Schwanz einzog. Der alte schwarze Labradorrüde zog unruhig an der Leine und winselte, als würde er Prügel bekommen.

      Da kapierte der Mann endlich.

      Trotz seines hohen Alters lief er den ganzen Weg zum örtlichen Polizeirevier Söder am Landskronavägen.

      Tja, was sollte man machen? Er besaß kein neumodisches Mobiltelefon – er war ja immerhin nur ein gewöhnlicher Frührentner!

      Und dann rannte er, bis das Herz kaum noch mitmachte, um völlig außer Atem an der geschlossenen und verrammelten Wache anzukommen.

      In diesen schnöden Sparzeiten konnte man sich nur minimale Öffnungszeiten von zehn bis dreizehn Uhr leisten und hoffen, dass sich alle Verbrecher danach richteten. Doch wie aus einer Laune des Schicksals heraus, hatte die Belegschaft des Reviers die restlichen Stunden des Tages auf eine interne Fortbildung im eigens vorhandenen Konferenzraum verwandt. Die Polizeibediensteten waren gerade dabei, die Mühsal des arbeitsreichen Tages zusammenzufassen, als der erschrockene und völlig erschöpfte Alte fordernd gegen Türen und Fenster hämmerte.

      Die Hartnäckigkeit seiner Bemühungen führte schließlich dazu, dass einer der Polizisten die Glastür einen Spalt breit öffnete, um zu hören, worum es ging. Sobald er den Ernst der Lage erfasst hatte, leitete er den Alarm zu Mandén ins Polizeipräsidium weiter.

      Und jetzt waren Hill und Gårdeman vor Ort.

      Der Bereich um die kleine Steinbrücke am Lussebäcken, wo das Auto stand, war bereits abgesperrt und der Verkehr auf eine südlichere Route umgeleitet. Die Mannschaft hier draußen hatte zügig gearbeitet,


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