Die Frau im Schatten. Bodil Mårtensson
glaube, ich komme mit zu dir.«
»Okay, du bist willkommen, aber was wird Cathi dann sagen?«
»Nein, ich mache nur Spaß, aber es klingt unverschämt gut.«
Sie stapften über den asphaltschwarzen Parkplatz vor dem Lebensmittelladen. Es war bereits völlig dunkel, und die Scheinwerfer der Autos blendeten sie, während die Fahrer auf der Jagd nach möglichst nahe am Eingang gelegenen Parkplätzen hin und her rangierten.
»Vielleicht schauen wir auch bei Petri Pumpa rein, wenn Catharina Dienstschluss hat, und essen etwas französisch Angehauchtes«, fuhr Hill fort, nachdem er angefangen hatte, in kulinarischer Hinsicht zu fantasieren. »Wie auch immer, wird es ein richtig angenehmer und entspannter Feierabend. Wie oft hat man das schon in diesen modernen Zeiten?«
Im Eingangsbereich zum Supermarkt war es eng. Menschen mit übervollen Einkaufswagen wollten raus, und frierende Kunden drängten nach drinnen.
Warme Luftzüge entwichen zwischen zwei konkurrierenden, in den automatischen Türen stecken gebliebenen Einkaufswagen, in die Nacht. Hill und Gårdeman mussten also draußen warten und empfingen fürs Erste nur einen äußerst schwachen Hauch von der verheißungsvollen Wärme im Inneren des Supermarktes.
»Verflixt!«, brummte Gårdeman irritiert.
Aber was sollte man machen? Bestimmte Streitigkeiten waren ganz einfach nicht Sache der Polizei.
Endlich entschloss sich einer der mürrischen Kontrahenten, nachzugeben und dem anderen den Vortritt zu lassen. Gleich würden sogar die beiden Kollegen innerhalb der Schleuse sein – drinnen in der freundlichen, lebensbejahenden Atmosphäre des Konsumtempels.
In diesem viel versprechenden Augenblick klingelte Hills Diensthandy. Er wühlte in der Tasche danach, aber die eiskalten Finger bekamen das Plastik zuerst nicht zu fassen.
»Teufel auch«, fluchte er leise. »Gerade jetzt!« Aber es könnte ja durchaus Catharina sein.
»Hill hier«, meldete er sich schließlich, immer noch auf der Eingangsschwelle.
Es war Mandén, Dienst habender Inspektor der Spätschicht und somit Leiter der Verbrechensbekämpfung des Präsidiums.
»Hallo, Joe«, witzelte er zur Begrüßung.
»Sicher, aber was gibt’s? Ich bin auf dem Nachhauseweg.«
»Nun nicht mehr«, verkündete Mandén.
»Verdammt«, sagte Hill und biss die Zähne zusammen, während er die Neuigkeiten erfuhr. »Okay«, sagte er nach einem Augenblick verdrossen, klappte das Handy zu und steckte es zurück in die Jackentasche.
Die strahlende Weihnachtsfreude in seinen Augen war erloschen, doch Gårdeman, der seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt hatte, merkte nichts und ergriff die Chance, einen Fuß in das verführerisch lockende Warenhaus zu setzen.
Hill fasste Gårdeman am Arm und hielt ihn zurück.
»Sorry«, sagte er und meinte es ehrlich. »Das war Mandén – du kannst das Gratin heute Abend vergessen.«
Sie fühlte sich in der Dunkelheit wohl, war in den vergangenen Monaten gleichsam eins und Freund mit ihr geworden. Hatte gelernt, sich in der schwarzen Nacht zu orientieren, in der das Leben wieder einen Sinn bekommen hatte.
Es war so, dass die Gedanken leichter und zielgerichteter flossen, wenn sie nicht vom verwirrenden Schein des Tageslichts auf der Netzhaut gestört wurden. In der Dunkelheit wurde alles auf einmal bedeutend klarer, und sie hatte den Eindruck, in ihrem beschützenden Schatten größer und mächtiger zu sein.
Sie hatte gelernt, den unzuverlässigen Kanten der Pflastersteine auszuweichen, die Unebenheiten des Bodens wahrzunehmen und ihre Schritte danach auszurichten. Das Mondlicht war ihr einerseits zum Freund und andererseits zum Feind geworden, und sie hatte sich von den knorrigen Stämmen und dem Astwerk der Bäume und ihrer undurchdringlichen Dichte decken lassen.
Sie war ein Kind der Nacht geworden, und sie beherrschte deren besondere Gesetze bis zur Vollendung. Das war eine absolute Notwendigkeit gewesen, eine unbedingte Voraussetzung, um ihre Pläne erfolgreich umzusetzen.
Mit der Zeit war sie ebenfalls eins mit der Kälte geworden – diesem untrennbaren Teil ihrer neuen Freundin Dunkelheit. Sie hatte gelernt, sie ebenso wie die Geräusche und den Duft der Nacht in jeder Minute und Sekunde, in der sie auf der Jagd war, zu genießen. Von ihr erhielt sie alles, was sie jetzt wusste. Sie stand für Kraft als auch für Verschlagenheit.
Für die Durchführung des Plans war genaueste Vorarbeit notwendig gewesen. Jede durchwachte Nacht, die sie in der Dunkelheit verbrachte, hatte ihr Wissen und Einsicht geschenkt, so schmerzlich es ihr auch erschienen war. Den richtigen Moment abzupassen und auszunutzen, hatte ihrer verletzten Seele neue Hoffnung verliehen und ihrem Leben einen Sinn gegeben. Ihre Lebensfreude hatte er ihr ja bereits gestohlen. Ihr unschuldiges Vertrauen missbraucht und ihr gebrochenes Herz verhöhnt – war es nicht genau so?
Aber sie hatte sich entschieden, niemals aufzugeben. Niemals! Sich entschlossen, ihm zu zeigen, wer die wahre Stärke besaß und am Ende die Oberhand behalten würde.
Und nun war es geschehen.
Sie zog den pelzgefütterten Popelinemantel enger um den Körper. Knöpfte ihn mit dem obersten, blank polierten Hirschhornknopf bis zum Hals zu und rückte die Kapuze zurecht.
Doch die feuchte Kälte drängte sich trotzdem unerbittlich auf.
In weniger als einer Woche würde ganz Råå bereits im ersten, verfrühten Weihnachtslicht baden. Dann würde die Nacht nicht mehr ihr allein gehören. Adventsleuchter würden erwartungsfroh in den Fenstern der Häuser erstrahlen, und die konsumhungrigen Menschen würden die abendlich erleuchteten Straßen auf der Jagd nach teuer zu erstehenden Weihnachtsschnäppchen bevölkern.
Es war ihr schon früh klar gewesen, dass alles bereits vorher entschieden sein müsste.
Deshalb hatte sie alles so arrangiert, dass sich die Gelegenheit schon früher ergeben hatte, genau in dem Augenblick, als die Dunkelheit hereinbrach und ihr den Weg wies. Das schwarzblaue Gewand hatte ihr sowohl Schutz geboten als auch Mut eingeflößt – jetzt, wo sie endlich ihr Leben zurückgefordert und Rache genommen hatte!
Das dunkle Gewand umhüllte sie noch immer, als sie sich durch die winterschläfrigen Gassen schlich – schützte und verbarg sie vor den Augen der Welt. Innerlich schien sie schon den klagenden Gesang der Polizeisirenen in der Ferne zu vernehmen.
Kommissar Knut Sahlman war genau in dem Moment, als Hill und Gårdeman blaugefroren ins Polizeipräsidium zurückstiefelten, auf dem Weg nach draußen.
Sahlman machte die Kälte nicht so viel aus, da er in seinen teuren Kamelhaarulster zuverlässig eingehüllt war, und der Stetsonhut im perfekten Winkel über dem rechten Ohr saß.
Er war etwas älter als Hill und Gårdeman, vermutlich irgendwo zwischen fünfundvierzig und fünfzig. Doch er redete nicht gerne über sein Alter und betrachtete sich selbst vorzugsweise als jemanden mit Stil, als einen Lebemann, wenn er das so sagen durfte.
Nach Ansicht vieler machte Sahlman eine viel zu adrette Figur für seinen Beruf. Er wählte alles, was ihn persönlich betraf, mit äußerster Sorgfalt aus. Manchmal war es hart an der Grenze zu lächerlichem Snobismus. Doch man konnte ihm nicht vorwerfen, dass auch nur ein einziges Detail in seiner Aufmachung nachlässig oder uninspiriert wirkte.
Außerdem musste Hill zugeben, dass Sahlman ein verdammt guter Polizist sein konnte. Bei der Auflösung der Rubbellosmorde hatte er nicht nur seine tiefe Mitmenschlichkeit unter Beweis gestellt, sondern auch gezeigt, wozu er fähig war, wenn es wirklich drauf ankam.
Wenn er nur wollte, konnte Sahlman mit Leichtigkeit seine übliche Schlappheit in ungeahnte Energie verwandeln – doch heute Abend hatte er dazu wirklich keine Lust!
Er wollte nicht bis ins Zentrum der Stadt stiefeln, andererseits war die Strecke aber viel zu kurz, um sich die Mühe zu machen, das Auto zu nehmen.
»Tag,