Die Frau im Schatten. Bodil Mårtensson
vorne drängte, um einen Blick auf das, was sich in einiger Entfernung bei dem Auto abspielte, zu erhaschen.
Die Menschen fühlten sich angezogen, obwohl das Ganze etwas kolossal Abstoßendes an sich hatte.
Spannend und unheimlich zugleich, bot sich ihnen ein Schauspiel sondergleichen, und das auch noch in unmittelbarer Nachbarschaft. Hier ging etwas vor sich, dass das Fernsehen nicht bieten konnte.
Ein waschechtes, reales Abenteuer!
Hill dachte, dass sie sehr schön war.
Gårdeman dachte genau dasselbe.
Trotz einer unnatürlichen Verzerrtheit – das Signum des plötzlichen Schmerzes und des Todes – muss sie mit ihren unglaublich hübschen und reinen Zügen zweifellos sehr anziehend gewesen sein.
Das wohlgeformte Gesicht mit der geraden Nase und den sinnlichen Lippen war von fülligem, blondem Haar eingerahmt. Nicht, dass es ihren Tod mehr oder minder tragisch gemacht hätte, doch es war eine Tatsache. Die junge Dame war auf eine sonderbare Weise attraktiv gewesen. Nur zu jung, um einfach so zu sterben.
Hill merkte, wie dieses Gefühl ungewollt von ihm Besitz ergriff, als er sich vorsichtig ins Auto beugte, um sie näher zu betrachten. Er würde sich nie an den Tod gewöhnen. Ein ums andere Mal war er ihm erneut zuwider. Sicherlich ein Handikap in seinem Beruf, aber so war es nun einmal. Eine abgrundtiefe Trauer erfasste ihn, sobald er mit ihm konfrontiert wurde.
Was er sah, als er die Taschenlampe ins Coupé richtete, machte die Sache nicht leichter. Der Sicherheitsgurt hielt den Körper in einem festen, verkehrssicheren Griff – obgleich er kaum reichte.
Sie musste mindestens im achten Monat gewesen sein!
»Ulf, guck mal hier!«, entfuhr es ihm.
Gårdeman war schnell neben ihm, verstand aber nicht sofort, was Hill meinte, denn es war dämmrig im Coupé, und die Frau war in einen kostspieligen, dicken Pelz gehüllt.
Hill richtete die Taschenlampe besser aus, und auf einmal wurde die Wölbung ihres Bauches deutlich sichtbar.
»Oh, verdammt auch!«
Gårdemans hilfloses Fluchen vermischte sich mit dem Geräusch weiterer herannahender Sirenen, die durch die Dunkelheit des Winters drängten. Man sah bereits den Schein rotierender Blaulichter in der Ferne.
Neue Akteure waren auf dem Weg zur Bühne, und das Schauspiel entwickelte sich in eine immer fantastischere Richtung. Das Publikum hielt den Atem an, als Krankenwagen und Notarzt um die Kurve des Landskronavägen bogen. Die Wagen schienen von innen heraus zu leuchten, als sie in ihrem signalgelben Glanz heranglitten und auf die Absperrung zu rollten.
»Das Kind«, rief Hill in die Kälte, »vielleicht kann man das Kind retten! Hol den Arzt, schnell!«
Er wusste kaum, ob er das überhaupt selbst glaubte oder einfach nur hoffen wollte.
Irgendwo hatte er gehört, dass es funktionieren könnte... Wenn nicht allzu viel Zeit vergangen war...
Gårdeman lief zum Notarztwagen, rutschte auf einer gefrorenen Pfütze aus, fand die Balance wieder und erreichte den Arzt, der mit stoischer Ruhe seine Notarzttasche aus dem Auto nahm.
Der Tod hatte es nicht eilig.
Vielleicht das einzig Positive daran.
Dass er nicht den geringsten Stress kannte.
»Los, beeilen Sie sich!«, rief Gårdeman.
Der Arzt starrte ihn an, ohne zu verstehen.
»Sie hat ein Kind... einen Fötus, meine ich. Vielleicht kann man ihn retten!«
Der junge Notarzt wurde mit einem Mal ganz munter. »Die Trage!«, rief er dem Rettungspersonal zu, während er zu dem mitternachtsblauen Mitsubishi lief. »Schnell, schnell!«
Der Einsatz des Arztes war plötzlich dringend geworden, so wie er es sich immer gewünscht hatte. Genau deswegen hatte er seinen Beruf gewählt: nicht, um Totenscheine auszustellen und sich geschlagen zu geben, sondern der Möglichkeit wegen, Wunder zu vollbringen.
Zu Gårdemans Verwunderung traf der junge Arzt lange vor ihm am Auto ein. Das Krankenwagenpersonal wartete fröstelnd auf seine Anweisungen und hatte bereits mit professioneller Geschwindigkeit eine Trage ausgeklappt.
Hier ging es jetzt um verzweifelt kurze Sekunden. Innerhalb der Vorschriften selbstverständlich, geschriebene Gesetze und ethische Regeln durften nicht außer Acht gelassen werden.
Der Arzt war schon überzeugt, als er ihrer gewahr wurde. Die Frau im Auto schien keine, wie auch immer gearteten Lebensfunktionen aufzuweisen. Trotzdem sah er sich gezwungen, die übliche Routineuntersuchung durchzuführen.
Er ließ die Fingerspitzen über den Hals der Toten gleiten. Wie vermutet, fand er keinen Puls, kein Lebenszeichen. Nur eine Eiseskälte, die auf frappierende Weise die Nacht um sie herum widerspiegelte.
»Kein Puls«, sagte er mehr zu sich selbst. »Niedrige Körpertemperatur. Vermutlich unter 15°C.«
Hill war etwas zur Seite gegangen, um ihn in Ruhe seinen Job machen zu lassen, verfolgte die Prozedur aber aufmerksam, während er noch immer auf ein Wunder hoffte.
Der Arzt leuchtete mit einer starken Taschenlampe in die weit geöffneten Augen. »Die Hornhaut erweist sich eindeutig als trüb«, stellte er trocken fest.
Dieses Leben war also unwiederbringlich erloschen.
Dann steckte er die Stöpsel des Littmannstethoskops in die Ohren, zwang seine eiskalten Finger um die Membran und führte sie an den Körper der Frau.
Zwischen den Ösen des Pelzes fand er eine Öffnung, und er setzte sie direkt unter ihrer linken Brust auf.
Weder Hill noch Gårdeman wagten zu atmen.
Es war, als ob sie dem kleinen, ungeborenen Leben, das dort drinnen in seiner zunehmend ungastlichen Umgebung vielleicht immer noch zu überleben versuchte, Raum geben wollten – Raum zum Atmen.
Die Stimmung schien sich auf die wachsende Anzahl von Zuschauern zu übertragen. Obwohl die Menschen viel zu weit vom Auto entfernt standen, um mitzubekommen, was sich dort abspielte, warteten sie dennoch in atemloser Stille.
Das Rettungspersonal stand weiterhin in Bereitschaft neben der Trage. Die Decken waren schon ausgebreitet, bereit, zu umhüllen und zu wärmen. Selbst der Fahrer stand bereit – gewillt, mit Vollgas zurück in die Stadt zur Intensivstation und einem posthumen Kaiserschnitt zu fahren.
Der Wagen stand im Leerlauf hinter ihnen, und das Signal auf seinem Dach warf dramatisch sein blaues Licht in rotierenden Kaskaden auf die unschuldigen Gärten der umliegenden Villen.
Immer im Kreis herum tanzte es und sandte seinen unwirklichen Schein über die Szenerie, während der junge Arzt mitten in der Umklammerung des Todes nach Leben suchte. Er konnte nicht wissen, ob sich das Kind inzwischen gedreht hatte und bereits mit dem Kopf nach unten lag.
Das Herz konnte sich also überall befinden.
Eine Sekunde.
Nichts.
Eine weitere Sekunde – nichts.
Er bewegte die Membran weiter über den immer stärker auskühlenden Bauch der Frau. Systematisch und in geometrischen Mustern führte er sie Zentimeter für Zentimeter über den leblosen Leib.
Mit keiner Miene verriet er, was seine Hände fühlten. In dieser Hinsicht war er längst ein gewiefter Pokerspieler.
Hill war gezwungen zu atmen.
Gårdeman schaute ihn an, sah wieder eine Sekunde vorbeifliegen und wandte den Blick unmittelbar zurück zum Arzt.
Der beließ das Stethoskop auf einem bestimmten Punkt und horchte intensiv. Die Augen schienen jetzt ein wenig zu leuchten. In einem letzten Versuch, irgendein entscheidendes Nebengeräusch zu erhalten, drehte er den Kopf des Stethoskops von der Membran auf den Trichter. Mit sicherer Hand hielt er die doppelten