Die Frau im Schatten. Bodil Mårtensson
Einkaufstüten Drogen durch den Zoll zu schleusen. Als die Alten unbeschadet die Abfertigung passiert hatten und hinein in das turbulente Hauptgebäude von Knutpunkten gelangt waren, diesem designtechnisch überdimensionierten Shoppingcenter und Verkehrsknotenpunkt der Stadt, war es ein Leichtes gewesen, einen kleinen Tumult zu arrangieren und die arglosen Kuriere mit einem unauffälligen Handgriff ihres überzähligen Einfuhrgutes zu entledigen.
Heute war im Polizeidistrikt von Helsingborg bis auf den üblichen Kleinkram – Diebstahl, Hausfriedensbruch und natürlich Sachbeschädigung – nicht besonders viel los gewesen.
Einige Ladendiebe hatten ihre Fähigkeiten überschätzt und wurden von den Warenhausdetektiven auf frischer Tat ertappt.
Ein Betrunkener hatte erstmalig seine Frau geschlagen und erleben müssen, dass sie sich zur Wehr setzte. Zur selben Zeit hatte ein anderer alkoholisierter Mann zum mindestens zwanzigsten Mal seine eingeschüchterte Lebensgefährtin erbarmungslos misshandelt – diesmal mit tödlichem Ausgang.
Und wie gewöhnlich waren einige Jugendliche mit Graffitispray durch die Stadt gezogen.
Insgesamt also die üblichen Alltagstragödien, die von den Streifenpolizisten routinemäßig abgehandelt wurden. Da aber Personalmangel herrschte, nicht so sehr aufgrund von Einsparungen, sondern eher wegen der ersten Grippewelle des Winters, hatte Hill hauptsächlich Einsätze koordiniert und die zur Verfügung stehende Mannschaft eingeteilt, um die notwendigen Zeugenaussagen entgegenzunehmen.
Den Leuten in der Bürokratie weitergeholfen.
Die Staatsanwaltschaft informiert.
Telefongespräche geführt.
Berichte verfasst.
Er hatte, kurz gesagt, einen richtigen Herumsitztag hinter sich.
Eigentlich sollte ich nach Hause joggen, dachte er und nickte einem Bekannten zu, der sich genau wie er in einem tapferen Versuch, ins Zentrum zu gelangen, aus dem Schutz der Eingangstür gegen den Wind stemmte.
Dennoch dachte er kurz darüber nach, ausnahmsweise das Auto zu benutzen. Für gewöhnlich zog er es vor, das kurze Stück den Bergaliden hoch in Richtung seiner Wohnung in der Rektorsgatan zu gehen und den Wagen auf dem Parkplatz hinter dem Polizeipräsidium abzustellen, wo er relativ sicher stand. Auf diese Weise vermied er es auch, sich am Gerangel um die wenigen Parklücken, die den Anwohnern in seiner engen Straße zur Verfügung standen, beteiligen zu müssen.
Plötzlich flog die Tür hinter ihm auf. Er bekam sie in den Rücken und wurde schonungslos weiter in die winterkalte Wirklichkeit gedrängt.
»Oh, Verzeihung! Bist du das, Joe Hill?« Der Kollege, Polizeiinspektor Ulf Gårdeman, legte entschuldigend die Hand auf seine Schulter.
»Tut mir Leid, das wollte ich nicht. Alles in Ordnung?«, fragte er aufrichtig besorgt.
»Ach, du bist das, alter Rowdy?«, lachte Hill. »Nein, so schlimm war es nicht, keine Angst. Machst du auch Feierabend?«
»Ja«, sagte Gårdeman zufrieden, »wie schön, endlich mal ein bisschen früher Schluss zu machen.«
Hill nickte zustimmend.
»Ich hab auch keine Ahnung, warum es heute so ungewöhnlich ruhig war«, fuhr Gårdeman fort, schauderte und schlug den Mantelkragen hoch. »Es könnte ja sein, dass der erste knackige Frost seine kühlende Hand über die Unterwelt legt. Doch die gewöhnt sich leider rasch, und deswegen ist es wohl am besten, wir nutzen die Ruhe, so lange sie anhält.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden«, meinte Hill. »Gehst du direkt nach Hause?«
»Ja, und zwar schnurstracks«, versicherte Gårdeman. »Muss nur noch kurz ein paar Sachen einkaufen. Ich hab vor, Lena heute Abend mit etwas richtig Raffiniertem zu überraschen, wenn sie von der Arbeit kommt.«
»Mhm, hört sich gut an«, gab Hill fröstelnd von sich, als würde er an etwas ganz anderes denken. »Ja, so oft kommen wir ja nicht in den Genuss«, fügte er hinzu. »Und was planst du Leckeres?«
Ulf Gårdeman war nicht nur ein geschickter Fahnder, den seine typisch schonische Geduld auszeichnete, sondern auch ein Gourmet. Lena behauptete allerdings nachdrücklich, dass er alles andere als jovial und geduldig war, wenn er in der Küche wirbelte. Da trieb er mit starkem Enthusiasmus seine Kochkunst in ungeahnte kulinarische Höhen und war nicht eher zufrieden, bevor das Essen auf dem Tisch stand und die Weinflasche entkorkt war.
»Ich dachte an etwas ganz Einfaches«, führte er enthusiastisch aus. »Was hältst du von... Schweinefilet mit frischen Champignons an Sahnesoße und einem knusprig goldenen Kartoffelgratin?«
»Klingt nicht schlecht«, sagte Hill abwesend, denn gerade war ihm eine Idee gekommen.
»An einem solchen Abend muss das Essen sättigen und wärmen«, erklärte Gårdeman. »Die Finessen gehören dem Wochenende. Ich habe übrigens neulich eine brasilianische Rezeptsammlung im Internet gefunden...«
»Ich selbst dachte an einen Hamburger und eine Tüte Pommes«, unterbrach Hill die kulinarischen Ausführungen seines Kollegen polemisch.
»Oh, Mann.« Gårdeman schlug sich die Arme um den Oberkörper, um die Wärme zu halten.
»Da fällt mir ein, ich könnte ja auch nach Lund fahren und Catharina überraschen. Sie hat bis um sieben Dienst. Aber um die Zeit ist der Abend ja noch jung – also, wer weiß?«
Die Ärztin Catharina Elgh aus Lund war völlig unvorhergesehen im Frühling in sein bis dahin so eingleisiges Leben getreten. Gerade als das Grün am zartesten gewesen war und er mit seinen verdammten Rubbellosmorden dagestanden hatte.
Sie war eine der Hauptzeuginnen in diesem Fall gewesen, und Hill hatte es nie so sehr genossen, eine Zeugenaussage aufzunehmen und die Details doppelt zu kontrollieren. Ihre Intelligenz, gepaart mit ihrem durchtrainierten, verführerischen Körper hatten einen höchst stimulierenden Einfluss auf ihn. Außerdem waren ihm ihre Fertigkeiten als Ärztin schneller, als er hätte ahnen können, zugute gekommen. Ein romantisches Abendessen auf der Sundfähre Aurora war völlig anders als geplant abgelaufen, aber immerhin hatte sie ihn hinterher liebevoll und geschickt verpflastert, nachdem ein paar ziemlich brutale Typen geglaubt hatten, ihn auf bequeme Weise zum Schweigen bringen zu können.
Seitdem waren sie einander stetig näher gekommen, und sein Wunschtraum war ebenso sanft wie leidenschaftlich Wirklichkeit geworden. Sie waren jetzt gewissermaßen ein Paar – wenn auch räumlich getrennt.
»Ja, klingt auch gut«, erwiderte Gårdeman ebenso fröstelnd. »Viel Spaß dann!«
Er machte sich auf den Weg zum Lebensmittelgeschäft, dessen erhellte Front sich hinter dem Parkplatz abzeichnete.
»Warte«, sagte Hill, »ich glaube, ich leiste dir Gesellschaft! Ich brauche noch Milch und Butter, bevor ich mich auf den Weg nach Süden mache. Falls sie danach mit zu mir kommt, muss ich ja ein gutes und nahrhaftes Frühstück anbieten können.«
»Klar«, antwortete Gårdeman, »aber beeil dich, bevor wir hier festfrieren!«
Sie duckten sich vor dem Wind und gingen raschen Schrittes voran, um nicht ganz auszukühlen.
Gårdeman war fast gleichgroß wie Hill, möglicherweise geringfügig kleiner und sicherlich etwas fülliger, aber das stand ihm gut. Das meinte jedenfalls Lena.
Er selbst fand, dass die leichten Rundungen ihm ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit und Autorität im Außendienst verleihen würden, und da benötigte man als Fahnder jede Hilfe, die man irgendwie bekommen konnte, besonders, wenn man sich wie Gårdeman auf etwas so Kniffliges wie rivalisierende Motorradgangs spezialisiert hatte.
»Was willst du eigentlich kochen?«, fragte Hill plötzlich und bemerkte zu seiner Verwunderung, dass er selbst ziemlich hungrig war.
Gårdeman wiederholte sein Rezept, da sein verfrorener Kollege offenbar nicht besonders aufmerksam zugehört hatte. »Ja, ich dachte mir etwas Einfaches, ein bisschen Schweinefilet, ein perfektes Kartoffelgratin und dazu frische Champignons an