Monkey Mind. Ralph De La Rosa

Monkey Mind - Ralph De La Rosa


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auf Laufrädern mit Energie versorgen muss – und hin und wieder dreht sich einer dieser Hamster zu deiner Überraschung um und sagt etwas Bedeutsames. Manchmal kann es einem so vorkommen, als ob genau das in unserem Oberstübchen vor sich geht. Oder vielleicht ist dies eine bessere Analogie: Der Kernreaktor betreibt den besten Plattenspieler des Universums – einen, der die außergewöhnlichste, überweltlichste und feierlichste Musik spielt, die jemals gehört wurde – und trotzdem hängt die Nadel an einem Kratzer fest. Wir hören immer nur die ersten zweieinhalb Sekunden, aber nie das ganze Lied.

      Ich nenne diese universelle Erfahrung von repetitiven Gedanken »Sprung-in-der-Platte-Bewusstsein«. BUDDHA nannte es den »Affengeist«, denn unsere Gedanken verhalten sich gerne mal wie kleine, boshafte Affen: Sie hopsen von hier nach da, sind schwer zu fangen, und ihnen ist das Chaos egal, das sie hinterlassen. Es ist der ruhelose, wahllose, manchmal überschnelle, manchmal neblige, starrsinnige und wilde Teil unseres Geistes. Es ist die Strömung unseres Geistes, die sich anfühlt wie ein rasender Fluss oder gar wie sechs Flüsse, die uns in verschiedene Richtungen tragen wollen. Sich wie ein Affe zu benehmen bedeutet laut Lexikon »Dinge zu tun, die nicht ernsthaft oder nützlich sind; seine Zeit zu verschwenden«.4 Das Wort »nachäffen« steht umgangssprachlich für Imitation. Das suggeriert, dass wir bei oberflächlicher Wahrnehmung und Erkenntnis nur auf ein bloßes Faksimile des Lebens treffen – oder auf eine absurde Kopie von Realitäten, die sich auf einem tieferen Level unseres Bewusstseins befinden. Oder beides.

      Meine Freundin AMBYR erzählt gerne die Geschichte von einem Restaurant in Indien, das regelmäßig von Affen überfallen wurde. Das war so ein ernstes Problem, dass das Restaurant einen Angestellten anheuerte, dessen alleinige Aufgabe es war, an der Tür zu stehen und jedes Mal kräftig mit dem Stock auf den Boden zu schlagen, wenn ein Affe eindringen wollte. AMBYR aß in diesem Restaurant zu Mittag, hörte die ständigen Stockschläge auf den Boden, als einer der Affen die Verteidigung schließlich doch durchbrach. Alle Mitarbeiter des Restaurants, Köche, Kellner, einfach alle, versammelten sich, versuchten den Affen einzukreisen und zu verjagen. Sie folgten ihm durch die Tür, die jetzt von niemandem mehr bewacht wurde, sodass ein weiterer Affe hereinspazierte. Er ließ sich gegenüber von AMBYR nieder und bettelte sie um Stückchen ihres Fladenbrot an.

      Ob sie sich durch die Vordertür hereinschleicht oder durch eine Seitentür – eine hinterlistige und unermüdliche Kraft, manchmal ein Rabauke, manchmal ein Klassenclown, hat sich in den komplexen Geweben und neuralen Pfaden unseres Gehirns niedergelassen. Ist es da verwunderlich, dass der Monkey Mind weltweit der Feind der Meditierenden ist? Diejenigen, die meditieren, um Ruhe zu finden, empfinden Gedanken oft als ein irritierendes Ärgernis, einen primitiven Unruhestifter, der durch eine Seitentür hereinschleicht. Interessanterweise treibt der Monkey Mind die Menschen in Richtung Meditation und gleichzeitig aber auch davon weg. Während meiner Zeit als Lehrer habe ich immer wieder zwei gegensätzliche Bemerkungen über die abschweifenden Gedanken gehört:

      1. »Mein Kopf ist so voll, ich muss meditieren.«

      2. »Mein Kopf ist so voll, ich kann auf keinen Fall meditieren.«

      FÜR MANCHE VON UNS führt dieses Sprung-in-der-Platte-Bewusstsein allerdings zu größeren Problemen. Die Unfähigkeit, repetitive Gedanken und Grübeleien zu regulieren, wird mit klinischen Diagnosen wie Angststörung, Depression, Zwangsstörung, akute Belastungsreaktion und posttraumatischer Belastungsstörung assoziiert. All diese hier genannten Diagnosen gelten als Risikofaktoren für Selbstmord.6 Ich habe eine Klientin, die, bevor sie zu mir kam, die schlimmsten Ausprägungen ihrer Zwangsstörung überwunden hatte. In jeder Situation generierte ihr Gehirn ein Bild des schlimmstmöglichen Resultates und spulte diese Gedanken in Endlosschleife ab. Diese lähmende Neigung folgte ihr wie ein Schatten.

      Denk an KEN BALDWIN, dessen depressive Gedanken ihn glauben ließen, dass sein ganzes Leben sei »irreparabel geschädigt«. Diese Gedanken führten dazu, dass er über die Golden Gate Bridge lief, über das Geländer kletterte und ins Wasser sprang. Später erzählte er, dass er in dem Moment, als seine Hand das Geländer losließ, erkannte, dass all seine Probleme »durchaus reparierbar« waren – bis auf die Tatsache, dass er gerade gesprungen war. Irgendwie gelang es ihm im freien Fall, sich einmal um 180 Grad zu drehen (er war mit dem Kopf voran gesprungen), die Füße zu strecken und seinen Körper so stromlinienförmig wie möglich zu halten, um den Aufprall zu lindern. KEN BALDWIN brach sich fast jeden Knochen in seinem Körper, aber er überlebte, um von dieser Geschichte zu erzählen. Er überlebte, um sich für mehr Selbstmordaufklärung und -prävention einzusetzen.7 Die zentrale Rolle, die seine Gedanken bei seinem Selbstmordversuch spielten, ist klar. Er war gefangen in einem falschen mentalen Narrativ der Hoffnungslosigkeit, das ihn beinahe das Leben gekostet hätte.

      Natürlich ist es nicht immer so schlimm. Wir erleben Momente, in denen die Klaustrophobie des Monkey Minds abflaut und uns erlaubt, uns offener, wärmer und verbundener zu fühlen, und sogar transzendent. Wir kommen mit einer neuen Seite in uns in Kontakt, oftmals ohne es zu merken, wenn wir zum Beispiel einen wunderschönen Sonnenuntergang betrachten, wenn uns eine Darbietung rührt, wir Sport machen, kreativ werden oder uns einem Projekt widmen, bei dem alles zu fließen und zusammenzukommen scheint. Wir erleben diesen viel natürlicheren Zustand beim Orgasmus, wenn wir eine Aufgabe bewältigt haben oder aus ehrlichem Mitgefühl handeln – in all den Momenten also, in denen wir unser übliches Verständnis von uns selbst zurücklassen und in einer reinen, gegenwärtigen Erfahrung ankommen. Wir könnten sogar so weit gehen und sagen, dass wir unser wahres (oder immerhin wahrhaftigeres) Selbst in diesen Momenten erahnen können – ein Selbst, das leise, aber ganz begeistert gegenwärtig ist in wahrer Lebendigkeit. In diesen Momenten zeigen sich Fähigkeiten, die sonst hinter den lenkenden oder defensiven Modi unserer Person, hinter dem Autopilot-Modus, verborgen sind.

      Es kann vielleicht so aussehen, als ob wir dieses Gefühl der Offenheit, Neuartigkeit, Freude, Erkenntnis oder Ruhe erst entwickeln müssten. Nach Ansicht der Buddhisten sind wir dieses Selbst jedoch bereits und sind es schon von Beginn an gewesen. Die Vorstellung, dass wir diese Ausdehnung an anderen Orten suchen, während sie doch darauf wartet, in unserem Inneren gefunden zu werden, ist schrecklich. Es ist nicht etwas, auf das wir aktiv zugehen, sondern etwas, das wir finden, wenn unser ganzes Gerenne nachlässt. Unser tiefstes Selbst ist das, was übrig bleibt, wenn wir endlich mit den andauernden Bemühungen aufhören, jemand sein zu wollen.

      DAS ERSTE MAL AN SELBSTMORD DACHTE ICH mit acht Jahren und ab da praktisch täglich, bis ich im Jahr 2004, mit 28, endlich eine kompetente Behandlung bekam. Mein Vater hatte meine Familie mittlerweile schon zweimal verlassen, ich war gemobbt und öffentlich bloßgestellt und so schlimm körperlich misshandelt worden, dass ich eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt hatte, und ich hatte mehrere Todesfälle in meinem Umfeld erfahren (unter anderem den Tod meines Vaters, enger Freunde und einer Frau, die starb, als sie direkt neben mir schlief). Ich schrammte nur knapp an der Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung vorbei, als ich in Behandlung kam. Daran war nichts »verrückt«, es war nur die Art und Weise, wie mein Monkey Mind von Erlebnissen geprägt worden war, die ich nicht verschuldet hatte. Ich versuchte alles, um die Depression und Wut loszuwerden: LSD, Ecstasy, Special K, Trommelkreise, Hare Krishna, AMMA, Reiki, Christentum, Wicca, Wandern, Whiskey, Punk, Politik, Partys. Ich probierte es auch mit der herkömmlichen Methode, es an jeder Person in meinem Umfeld auszulassen, und hinterließ eine Spur aus Kummer. Mit jedem Versuch, endlich einen Ausweg zu finden, ließen die unaufhörlichen und schmerzlichen Gedanken, mit denen ich lebte, nur kurzzeitig nach, wenn überhaupt. Ich begann, alles und jeden zu hassen. Mich hasste ich am allermeisten. Ich stürzte ab und kam an einen Punkt, an dem eine tägliche 150-Dollar-Dosis Heroin und Kokain in meinen Venen die einzige Möglichkeit war, den Kampf in mir zu besänftigten.

      Wie KEN BALDWIN hatte auch ich Glück. Außer Menschen in meinem Leben, die mich nicht aufgeben wollten, fand ich außerdem eine Klinik für Drogentherapie, Walden House, wo ich mich für sechs Monate behandeln lassen konnte, ohne etwas dafür zu zahlen.

      Während dieser Zeit entdeckte ich die Achtsamkeitsmeditation für mich. Ich begann meine Praxis in einer Gruppe namens »Urban Dharma« (heute: »Against the Stream«), unter Leitung von VINNY FERRARO von der Organisation »Mindful Schools«.


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