Monkey Mind. Ralph De La Rosa
weiß, dass sie Fehler gemacht hat, und erzählt, dass sie sich seitdem auf ihre Heilung konzentriert und ihr Leben radikal verändert hat. Deshalb arbeitet sie heute als Lehrerin (das ist nicht autobiografisch, ich schwöre es!). Sie fragt dich, ob du die Kontaktdaten des Freundes von damals hast, weil sie sich persönlich bei ihm entschuldigen möchte. Jetzt verstehst du, weshalb diese Frau wirklich außergewöhnlich ist. Eure Beziehung hat sich verändert, und du wünschst dir, du hättest dich mehr in das Seminar eingebracht. Unter Umständen meldest du dich sogar für das nächste an.
Ich glaube, die Beziehung zu deinem eigenen Geist ist der Beziehung zu anderen Menschen ziemlich ähnlich. Was wäre, wenn die Areale deines Monkey Minds genauso sind wie die Lehrerin in der Geschichte? Verschiedene Aspekte unseres Charakters haben uns verletzt, und am liebsten würden wir sie dafür bestrafen oder sie für alles Mögliche verantwortlich machen, nehmen uns aber nicht die Zeit, in diesem Moment eine Beziehung mit unseren Gedanken aufzubauen. Wenn wir die Motivation einer Person verstehen und erkennen, was sie durchgemacht hat, wirkt sie oft viel menschlicher auf uns, und es fällt uns schwer, sie zu verurteilen. Unseren Monkey Mind können wir auf eine ähnliche Art und Weise kennenlernen. Gleiches gilt für die Ängste, die Zwänge, die Rachegelüste, die Missverständnisse, die Sorgen, das Verlangen und die Sehnsüchte, die uns antreiben – etwas, das wir im Laufe dieses Buches noch intensiver und genauer betrachten werden.
Die drei Arten von Beziehung
YONGEY MINGYUR RINPOCHE STAMMT AUS NEPAL und ist ein junger und charismatischer Lehrer aus der tibetisch-buddhistischen Tradition. Er stammt aus einer Familie angesehener spiritueller Lehrer. Erleuchtung gehört sozusagen zum Familienbetrieb. Obwohl er zwischen bekannten Lamas aufgewachsen ist, hatte MINGYUR RINPOCHE eine angeborene Panikstörung, die er mithilfe von Meditation überwinden konnte. Er spricht oft über die drei Arten von Beziehung, die wir mit unseren Erfahrungen eingehen können. Lassen wir es zu, dass unsere Erfahrungen über unsere Gefühle, Gedanken und Handlungen bestimmen, werden sie unser Chef. Bekämpfen wir unsere Erfahrungen oder versuchen sie wegzuschieben, werden sie unser Feind. Begegnen wir unseren Erfahrungen hingegen mit Neugier, Offenheit oder sogar Güte, werden sie uns zum Freund oder Verbündeten. MINGYUR RINPOCHE meint, dass wir die Qualität der Beziehung zu unseren Erfahrungen durchaus beeinflussen können. Auf dieses Konzept der Beziehungsarten werden wir immer wieder zurückgreifen. Die Vorstellung, dass wir die Beziehung zu unseren Erfahrungen bewusst verändern können, wirkt auf den ersten Blick überraschend simpel und hat doch weitreichende Konsequenzen.
Die Psychologin CAROL DWECK vertritt eine ähnliche Ansicht, die sie im Begriff »Wachstumsmentalität« zusammenfasst.15 DWECKs Formulierung gibt hier bereits den entscheidenden Hinweis: Die Wachstumsmentalität als Perspektive fordert uns dazu auf, negative Lebenserfahrungen als Möglichkeit des Lernens, der Entwicklung und der Erkenntnis zu verstehen. Diese Herangehensweise erkennt an, dass jede unserer Lebenserfahrungen entweder zu Klarheit und Befriedigung oder zu Verwirrung und Verzweiflung führt. Der Unterschied liegt nicht in den äußeren Umständen, sondern in unserer Einstellung. Ich nenne das »die Verantwortung für das eigene Glück übernehmen«. Normalerweise ist unsere Vorstellung ganz einfach: Wenn etwas Gutes passiert, sind wir glücklich, passiert etwas Schlechtes, sind wir unglücklich. Ist jemand nett zu uns, fühlen wir uns wertvoll, behandelt uns jemand schlecht, fühlen wir uns wertlos. Ist jemand respektlos, werden wir wütend und so weiter.
Welche der drei Beziehungsarten gestaltet diese Erfahrungen? Dies sind alles Beispiele dafür, wie wir unseren Erfahrungen erlauben, unser Chef oder unser Feind zu werden. Auf den ersten Blick und nach konventionellen Vorstellungen mag das alles völlig logisch erscheinen. Doch mit dieser Einstellung zu leben ist so, als hätten wir eine Fernbedienung mit Tasten für Glück, Unglück, Wert, Wertlosigkeit und Wut – und würden diese dann der Welt in die Hand drücken. Wenn unsere Gefühle so stark von den Umständen abhängig sind, dass wir sie nicht bewusst ausbalancieren können, führt das geradewegs zu Angst und Schmerz. Ähnlich verhält es sich mit dem Glück, das eher durch eine positive Einstellung gegenüber unseren Erfahrungen ausgelöst wird als durch das tatsächliche Geschehen.
55 Prozent der Lotteriegewinner erzählen beispielweise, dass sie der über Nacht gewonnene Reichtum nicht glücklicher gemacht hat.16 Auf der anderen Seite kennen viele von uns Geschichten von Menschen wie TYLER CURRY, der von sich sagt, seine Aidsdiagnose sei das Beste, was ihm jemals passiert sei: »Ich schätze das Leben jetzt viel mehr wert, will jeden Moment auskosten und mir Zeit lassen, die Reise zu genießen … meine Diagnose ist der Katalysator, der mich immer wieder aus meiner Komfortzone holt und Unmögliches möglich macht«, sagt CURRY.17
»Die Wachstumsmentalität bedeutet, dass man die Tasten der Fernbedienung durch ›Lern-Tasten‹ ersetzt«, erklärt meine Freundin ANNA LINDOW, Gründerin von Brave Health, einer innovativen Reha-Klinik für Opioidabhängige. Wenn wir unsere Lebenseinstellung so verändern, dass wir alles als eine Möglichkeit des Wachstums, des Fortschritts und der Heilung verstehen und unsere Erfahrungen zu Lehrern und Freunden werden können, eröffnen sich neue Wege. Wir können unsere Beziehung zum Monkey Mind verändern, indem wir verstehen lernen, warum er so ist, wie er ist, und die Wachstumsmentalität zur Basis der Auseinandersetzung mit ihm werden lassen. Damit öffnet sich eine Tür, die dahin führt, dass sich der Monkey Mind beruhigt, und in der Folge öffnen sich mehr und mehr Türen, die uns zu Selbstverwirklichung und Klarheit bringen. Egal, wie frustriert oder festgefahren wir uns auch fühlen, auch wir können das Treiben unserer Gedanken und unseres Lebens akzeptieren wie TYLER CURRY.
Wir können Gewohnheiten und Feindseligkeiten hinter uns lassen und das unmöglich Erscheinende möglich machen.
2. DIE GROSSARTIGE UNSTIMMIGKEIT
»Es ist nicht so, dass das Universum
uns nicht aufwecken will,
wir sind nur gut darin, schnell
die Schlummertaste zu drücken.«
Brené Brown
Über Wut als Urgefühl und … Textverarbeitungsprogramme
GENAU AB DEM MOMENT, ALS ICH MICH hinsetzte, um an diesem Buch zu arbeiten, ging alles schief. Ich öffnete meinen Laptop, klickte auf mein Textverarbeitungsprogramm und konnte plötzlich nicht mehr auf meinen Account zugreifen. Es folgten stundenlange Telefonate mit einer Armada an unfähigen Kundendienstmitarbeitern, wovon ich die meiste Zeit allerdings in der Warteschleife verbrachte. Meine Odyssee wurde von Kaffeehaus-Jazz und Verkaufsangeboten begleitet, immer wieder unterbrochen von Dialogen mit zu falscher Freundlichkeit ausgebildeten, nur kaum menschlich wirkenden Mitarbeitern.
Am liebsten hätte ich geschrien. Wissen die denn nicht, dass ich gerade mein erstes Buch anfangen will? Hatten sie etwa keine Ahnung von den Problemen, mit denen junge Autoren wie ich zu kämpfen haben? Wie konnten diese Menschen nicht sehen, dass ich einen langen Kampf gegen meinen inneren Schweinehund ausfechten musste, um überhaupt an diesen Punkt zu kommen und mich endlich vor eine leere Seite zu setzen? Ich hatte meine Schallplattensammlung alphabetisch und meinen Kleiderschrank nach Farben geordnet, um diesen einschüchternden Moment zu vermeiden. Und jetzt das.
Mein Herzschlag beschleunigte sich, die Schultern verspannten und die Fäuste ballten sich, meine Beine unter dem Tisch begannen zu zittern, und es fiel mir schwer, mich zusammenzureißen. Natürlich begann auch mein Geist, Karussell zu fahren. Ich hatte paranoide Gedanken und fragte mich, ob das vielleicht ein Zeichen sei. Soll das mit dem Buch einfach nicht sein? Vielleicht spielt mir das Universum einen Streich. Ist vielleicht der Merkur rückläufig? Am meisten Sorgen machte mir, dass ich nach all dem gar keine Lust mehr haben würde zu schreiben. Wechselnde Varianten von »Wieso