Monkey Mind. Ralph De La Rosa

Monkey Mind - Ralph De La Rosa


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Geschehnisse, die wir nicht ändern können, die gar nicht passiert sind oder niemals passieren werden.

      Wie ein geschäftiger Bienenschwarm summen die Gedanken durch unseren Kopf; das raubt uns Energie und zehrt an unseren Ressourcen. Wenn wir meinen, den Aus-Knopf endlich gefunden zu haben, entpuppt er sich rasch als Schlummertaste, und zehn Minuten später ist dasselbe Summen wieder da. Es ist dieselbe verkratzte Schallplatte, die uns am Tag die Kräfte raubt und uns nachts um den Schlaf bringt. Die Amerikanische Akademie für Schlafmedizin nimmt an, dass 30 bis 35 Prozent der US-Bürger und -Bürgerinnen mit Schlaflosigkeit kämpfen und dass für einen bedauernswerten Teil, 15 bis 20 Prozent, dieser Zustand länger als drei Monate anhält.11 Die Hauptgründe für die durchwachten Nächte sind Stress und eine Flut an Sorgen, meist rund um unsere Alltagsthemen wie Arbeit, Familie, Schule, Finanzen und so weiter.12 Wir greifen zu Schlaftabletten, damit unser ständig plappernder Geist endlich Ruhe gibt. Neun Millionen Amerikaner und Amerikanerinnen nehmen heutzutage Schlaftabletten.13 Für die meisten gehört das zum Abendritual, doch die Ursache ihrer Schlaflosigkeit gehen sie damit nicht an. Sobald die Medikamente abgesetzt werden, sind sie nachts wieder wach.

      Hinzu kommt, dass die Anforderungen an den Einzelnen in beispielloser Weise anwachsen, besonders bei uns im Westen. Wir müssen in viel mehr Bereichen Verantwortung übernehmen und dabei neue Rollen noch besser ausfüllen; im Beruf wird eine unfassbare Flexibilität von uns erwartet und, dass wir ständig auf dem Laufenden sind inmitten der bereits jetzt unüberschaubaren, weiter wachsenden Social-Media-Welt (also genau auf dem Feld, auf dem wir gleichzeitig unsere Aufmerksamkeitsspanne verkürzen) – und ein Ende dieser Ansprüche ist nicht in Sicht.

      Hatten die Generationen vor uns eine vergleichbare Liste mit Ansprüchen, die alle abgearbeitet und erfüllt werden sollten? Auf jeden Fall waren die Menschen vor nicht allzu langer Zeit einfach nicht erreichbar, wenn sie nicht zu Hause oder an ihrem Schreibtisch waren. Sie konnten auch nicht in Echtzeit auf zwölf verschiedenen Apps von jemandem kontaktiert werden, der in der nächsten Stunde, wenn nicht gar Minute, eine Antwort erwartet. (Interessant dazu zu wissen: Jedes Mal, wenn unser Handy ertönt, steigt unser Blutdruck. Das Vibrieren und Klingeln führt zu einer kleinen, aber trotzdem signifikanten emotionalen Achterbahnfahrt, jeden Tag, jederzeit.14) Die Umstände sind neu, Reizüberflutung selbst und anhaltende Ablenkungen aber sind uralte Probleme. Der BUDDHA hätte dir schon vor über 2500 Jahren von dem erzählen können, worüber KILLINGSWORTH und GILBERT heute schreiben: »Nichts kann dich mehr verletzen als ein untrainierter Geist, und nichts kann dir mehr helfen als ein gut trainierter Geist.«

      Psychologen und Therapeuten wissen schon länger, dass unsere Wahrnehmung unser Wohlbefinden beeinflusst; viele Therapiemethoden setzen genau hier an. Ich bin spezialisiert auf eine der bekanntesten evidenzbasierten Behandlungsmethoden bei Traumata von Kindern und Jugendlichen, der »traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen« (kurz: TF-CBT, von Trauma-Focused Cognitive Behaviour Therapy). Diese Methode hat sich aus der traditionellen kognitiven Verhaltenstherapie entwickelt. Sie besagt ganz kurz zusammengefasst, dass unsere Probleme bei unseren Gedanken beginnen. Deshalb setzt diese Therapieform darauf, dass Patienten und Patientinnen lernen, ihr Denken zu verändern. Das Ziel dabei ist, die oft starken symptomatischen Auswirkungen des Traumas zu reduzieren. Dafür zeigen Therapeuten und Therapeutinnen den Kindern und Jugendlichen vor allem, wie sie ihre Gedanken und Erlebnisse neu ordnen und umschreiben können, egal wie überwältigend ihre Erfahrungen auch gewesen sein mögen. Ich halte das für eine ausgezeichnete Methode, um jungen Menschen dabei zu helfen, ihren Weg aus den Selbstvorwürfen und dem ausweichenden, überemotionalen und übervorsichtigen Denken zu finden (im Falle von Kindern spiegeln sich all diese Gedanken in ihrem Verhalten wider). TF-CBT gibt ihnen die Möglichkeit, aus einer fragmentarischen, traumatischen Erfahrung ein einheitliches, positives Narrativ zu entwickeln.

      Wir müssen jedoch unterscheiden zwischen Bewältigen und Heilen. Wir können zwar unsere Gedanken so verbiegen, dass wir uns Glück einreden, aber dann bringen wir unsere Gedanken bloß unter Kontrolle, gehen den Problemen aber nicht auf den Grund. An unserem Hochgeschwindigkeitszug »Geist« fungieren die Gedanken wie eine Art angehängter Bremswagen. Wenn wir uns wirklich mit dem auseinandersetzen wollen, was an uns tagsüber zehrt und uns nachts überfällt, müssen wir nach vorn zur Lokomotive, genauer gesagt zum Maschinenwagen.

      Psychotherapeuten und -therapeutinnen können uns dabei helfen, uns gedanklich neu zu orientieren und Gedanken umzuschreiben – also den Affen zu trainieren –, und einen ganz ähnlich eindimensionalen Zugang haben oft auch Meditierende: Sie versuchen, den Affen hinauszuwerfen.

      In Meditationskreisen hat BUDDHAs Affen-Metapher bis heute oft einen negativen Touch: Als sei unser denkender Geist eine schmutzige, primitive, niedere Lebensform, die weder Erkenntnisse bietet, noch sonst einen Wert für uns hat; ein Haufen Müll, der an uns klebt (»Bring den Müll endlich raus!«). Doch diese Vorstellung widerspricht einem Grundprinzip der Neurowissenschaft: Das Gehirn kann nicht nichts tun. Es liegt in seiner Natur, ständig in Bewegung zu sein. Stell dir einmal vor, du sitzt am Lagerfeuer und verurteilst es dafür, dass es heiß ist. Klingt absurd und zwecklos, oder? Aber auf eine ganz vergleichbare Art versuchen viele Meditierende, ihren Affengeist im Zaum zu halten.

       Die Antwort liegt zwischen den Zeilen

      WENN WIR AN UNS SELBST ARBEITEN, werden wir häufig hören, dass wir »zwischen den Zeilen lesen« sollen. Und das lohnt sich wirklich! Im Zusammenhang mit dem Thema dieses Buches kann »zwischen den Zeilen« ein Schlüssel gefunden werden. Er entschlüsselt für dich das Geheimnis, wie du den Geist erfahren kannst, und es dir sogar möglich sein kann, ihn unter deine Fittiche zu nehmen. »Zwischen den Zeilen« wird manchmal sogar das »dritte Ding« genannt. Wir wissen, dass es für eine Erfahrung immer zwei Dinge, nämlich ein Subjekt und ein Objekt braucht (zum Beispiel ich und LED ZEPPELINS III). Das Dritte aber liegt zwischen dem Subjekt und dem Objekt – es bestimmt ihre Beziehung (in diesem Fall, meine unsterbliche Verehrung für diese Platte). Es kann natürlich viel subtiler sein als das, so subtil, dass wir es kaum bemerken (wie es so oft der Fall ist mit uns und unseren Gefühlen). Aber wir haben eine Beziehung zu allem, was wir erleben, und die Qualität dieser Beziehungen ist ausschlaggebend für die Beschaffenheit unserer Gefühle, Gedanken, Aussagen, Handlungen und Erkenntnisse.

      Stellen wir uns vor, du besuchst mit einem Freund einen Workshop. Dein Freund freut sich sehr, dass du die Workshopleiterin endlich kennenlernen wirst. Er hat bereits viele ihrer Kurse besucht und dir schon oft davon erzählt, wie großartig sie ist und wie sich dank ihr sein Leben verändert hat. Du setzt dich auf deinen Platz, und sobald die Workshopleiterin den Mund aufmacht, ist dir klar: Du kennst sie aus der Schulzeit. Sie hat damals einen deiner besten Freunde ziemlich übel gemobbt. Das triggert dich ganz schön, du spürst Wut, Verbitterung. Du versuchst, dir einzureden, dass diese Frau sich geändert haben könnte, aber es gelingt dir nicht. Du ärgerst dich weiter. Jedes ihrer Worte wirkt auf dich wie das Kratzen von Fingernägeln über eine Tafel. Am liebsten würdest du die Veranstaltung verlassen, aber es gibt keine Möglichkeit, sich unbemerkt hinauszuschleichen. Nach etwa der Hälfte des Vortrags lässt du vor deinem inneren Auge Szenen deiner Lieblingsserie ablaufen, um dich zu beruhigen. Am Ende des Workshops dreht sich dein Freund zu dir um und schwärmt: »Das war wieder so aufschlussreich! Ich glaube, ich werde mich zum Vertiefungsseminar anmelden.« Du kannst seine Begeisterung nicht nachvollziehen und versuchst mit weiteren Erinnerungsbildern deiner Lieblingsserie, deine Wut und Verbitterung abzuschwächen.

      Du und dein Freund habt am gleichen Workshop teilgenommen, die exakt gleichen Ideen, die exakt gleichen Worte gehört, aber eure Wahrnehmungen hätten verschiedener nicht sein können. Es gab allerdings einen Unterschied: eure Beziehung zur Lehrerin.

      Stell dir nun vor, du gehst nach Hause und informierst dich im Internet über sie. Du schreibst ihr eine E-Mail, in der du klipp und klar darlegst, was während des Vortrags in dir vorgegangen ist. Zu deiner Überraschung bekommst du bereits nach einer Stunde eine Antwort, in der sie sich vielmals entschuldigt und dich fragt, ob ihr euch auf einen Kaffee treffen könnt. Du stimmst zu. Bei eurem Treffen entschuldigt sie sich erneut für ihr damaliges Verhalten. Sie erzählt dir von dem Missbrauch, dem sie in ihrem


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