Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow

Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow - Anton Pawlowitsch Tschechow


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entfernen!« sagte der Untersuchungsrichter, als die Thür nach langem Klopfen und Krachen dem Beil und dem Stemmeisen wich. »Ich bitte dieses im Interesse der Untersuchung . . . Wachtmeister, niemand einlassen!«

      Tschubikow, sein Gehilfe und der Amtshauptmann öffneten die Thür und betraten unschlüssig einer nach dem andern das Schlafzimmer. Ihren Augen zeigte sich folgendes Bild.

      An dem einzigen Fenster stand ein großes hölzernes Bett mit einem riesigen Federpfühl. Auf dem zerdrückten Pfühl lag eine verknüllte Decke. Das ebenfalls stark zerknüllte Kopfkissen lag auf der Diele. Auf dem Betttischchen befanden sich eine silberne Uhr, ein silbernes Zwanzigkopekenstück und Schwefelhölzchen. Außer dem Bett, dem Tischchen und einem einzigen Stuhl waren im Zimmer weiter keine Möbel.

      Als der Amtshauptmann einen Blick unter das Bett warf, sah er dort etwa zwei Dutzend leerer Flaschen, einen Strohhut und eine große Pulle Schnaps. Unter dem Tischchen fand man einen mit Staub bedeckten Stiefel.

      Nachdem der Untersuchungsrichter nochmals einen forschenden Blick über des Zimmer geworfen hatte, wurde er dunkelrot und zog die Augenbrauen zusammen.

      »Die Kanaillen!« murmelte er, die Fäuste ballend.

      »Und wo ist denn Mark Iwanitsch?« fragte leise Djukowski.

      »Ich verbitte mir, daß Sie sich einmischen!« sagte ihm Tschubikow scharf. »Untersuchen Sie gefälligst die Diele! – Das ist der zweite Fall in meiner Praxis, Jewgraf Kusjmitsch,« wandte er sich mit gesenkter Stimme an den Amtsrichter. »Im Jahre 1870 hatte ich einen ebensolchen Fall. Sie entsinnen sich übrigens wohl . . . Die Ermordung des Kaufmanns Portretow. Dort war es auch so. Die Kanaillen hatten ihn ermordet und die Leiche zum Fenster hinausgeschleppt . . .«

      Tschubikow trat ans Fenster, zog den Vorhang vorweg und stieß vorsichtig gegen das Fenster. Das Fenster öffnete sich.

      »Es öffnet sich, also war es nicht geschlossen . . . Hm . . . Auf dem Fensterbrett sind Spuren. Können Sie sehen? Hier sind die Spuren vom Knie . . . Hier ist also jemand eingestiegen . . . Man wird das Fenster ordentlich untersuchen müssen.«

      »Auf der Diele ist nichts besonderes zu entdecken,« sagte Djukowski. »Weder Flecke noch Schrammen. Nur ein abgebranntes schwedisches Zündhölzchen habe ich gefunden. Hier ist es! Soviel ich weiß, hat Mark Iwanitsch nicht geraucht, sonst aber pflegte er immer Schwefelhölzer zu gebrauchen und niemals schwedische Zündhölzchen. Dieses Zündholz wird unter Umständen als Beweis dienen können . . .«

      »Ach . . . schweigen Sie doch, bitte!« sagte der Untersuchungsrichter mit einer Handbewegung. »Kommt da mit seinem Zündholz! Ich leide keine Hitzköpfe! Anstatt Zündhölzchen zu suchen, untersuchen Sie lieber das Bett!«

      Nach der Besichtigung des Bettes meldete Djukowski:

      »Weder Blut, noch sonst irgend welche Flecke . . . Auch keine neuen Risse. An dem Kissen sieht man Spuren von Zähnen. Die Decke ist mit einer Flüssigkeit begossen, die den Geruch von Bier und den nämlichen Geschmack hat . . . Das Gesamtaussehen des Bettes läßt die Annahme zu, daß sich ein Kampf auf demselben abgespielt hat.«

      »Ein Kampf, das weiß ich auch ohne Sie! Ich frage Sie nicht nach dem Kampfe. Anstatt nach dem Kampf zu suchen, sollten Sie lieber . . .«

      »Der eine Stiefel ist hier, während der andere fehlt.«

      »Nun, und was ist denn dabei?«

      »Das, daß man ihn erwürgt hat, während er sich die Stiefel auszog. Er hatte nicht Zeit, den anderen Stiefel auszuziehen, als . . .«

      »Na, jetzt legt er los . . . Und woher wissen Sie denn, daß er erwürgt worden ist?«

      »Die Spuren der Zähne auf dem Kissen. Das Kissen selbst ist stark verknüllt und liegt 2½ Arschin weit vom Bett . . .«

      »Geschwätz! Gehen wir lieber in den Garten. Anstatt hier zu stöbern, sollten Sie lieber im Garten nachsehen . . . Hier werde ich auch ohne Sie fertig.«

      Im Garten wandte sich die Untersuchung vorerst dem Grase zu. Das Gras unter dem Fenster war zerdrückt. Auch ein Distelstrauch unterm Fenster, ganz nah an der Wand, war zerdrückt. Djukowski gelang es, an demselben einige gebrochene Zweige und ein Stückchen Watte zu entdecken. Auf den oberen Köpfen fand man einige dünne Härchen dunkelblauer Wolle.

      »Von welcher Farbe war sein letzter Anzug?« fragte Djukowski Psekow.

      »Von gelber Leinwand.«

      »Sehr gut. Also hatten sie einen blauen Anzug.«

      Einige Distelköpfe wurden abgeschnitten und sorgfältig in Papier gehüllt.

      In diesem Augenblick kamen der Kreishauptmann Arzibaschew-Swistakowski und der Arzt Tjutjujew an. Der Kreishauptmann begrüßte die Anwesenden und begann sofort, seine Neugierde zu befriedigen. Der Doktor dagegen, ein langer und außerordentlich hagerer Mann mit eingefallenen Augen, einer langen Nase und spitzem Kinn, begrüßte sich mit niemand und fragte nach nichts, sondern setzte sich auf einen Baumstumpf und sprach mit einem Seufzer:

      »Und die Serben sind wieder in Aufruhr! Was sie wollen, verstehe ich nicht! Österreich, Österreich, das werden wohl deine Stückchen sein!«

      Die Besichtigung des Fensters von außen ergab absolut nichts; die Besichtigung des Grases und der nächsten Gebüsche dagegen gab der Untersuchung viele wertvolle Winke. Djukowski gelang es zum Beispiel, im Grase einen langen dunklen Streifen zu entdecken, der aus Flecken bestand und sich vom Fenster einige Faden weit in den Garten zog. Der Streifen endete unter einem Fliederbusch mit einem großen dunkelbraunen Fleck. Unter dem nämlichen Busch wurde ein Stiefel gefunden, der mit dem im Schlafzimmer befindlichen ein Paar ergab.

      »Das ist altes Blut!« sagte Djukowski, die Flecken betrachtend.

      Bei dem Worte ›Blut‹ erhob sich der Doktor und warf faul und oberflächlich einen Blick auf die Flecken.

      »Ja, Blut,« murmelte er.

      »Also nicht erwürgt, wenn das hier Blut ist!« sagte Tschubikow mit einem ironischen Blick auf Djukowski.

      »Im Schlafzimmer wurde er erwürgt, und hier hat man ihm aus Furcht, daß er wieder auflebe, mit irgend etwas Scharfem einen Schlag versetzt. Der Fleck unter dem Strauch zeigt, daß er hier verhältnismäßig lange gelegen hat, während sie nach Mitteln suchten, ihn aus dem Garten hinauszuschleppen.«

      »Nun, und der Stiefel?«

      »Dieser Stiefel bestätigt nur meine Ansicht, daß sie ihn ermordet haben, während er sich vor dem Schlafengehen die Stiefel auszog. Den einen Stiefel hatte er ausgezogen, und den andern, diesen hier, hatte er noch zur Hälfte an. Der halbausgezogene Stiefel fiel während des Schüttelns und des Falls von selbst vom Fuß ab . . .«

      »Kolossal gescheit!« lächelte Tschubikow. »Nur immer drauf los! Wann werden Sie es sich eigentlich abgewöhnen, sich mit ihren Raisonnements aufzudrängen? Anstatt zu raisonnieren, nehmen Sie lieber etwas von dem befleckten Gras!«

      Nach der Besichtigung der Gegend und Aufnahme eines Planes derselben begab sich die Gesellschaft zu dem Gutsinspektor, um das Protokoll aufzusetzen und ein Frühstück einzunehmen. Während des Frühstücks wurde ein lebhaftes Gespräch geführt.

      »Die Uhr, das Geld u. s. w. . . . alles ist da,« begann Tschubikow. »Es ist so sicher, wie zweimal zwei vier ist, daß hier kein Raubmord vorliegt.«

      »Und daß der Mord von einer intelligenten Person vollführt worden ist,« schob Djukowski ein.

      »Woraus schließen Sie das?«

      »Ich habe zu meiner Unterstützung ein schwedisches Zündholz, wie solche unter den Bauern der hiesigen Gegend völlig unbekannt sind. Derartige Zündhölzchen verwenden hier nur die Gutsbesitzer, und auch die nicht mal alle. Ausgeführt wurde der Mord übrigens nicht von einer, sondern von mindestens drei Personen: zwei hielten ihn, und der dritte würgte. Kljausow war stark, und die Mörder mußten das wissen.«

      »Was konnte ihm seine Kraft nützen, wenn er, sagen wir, schlief?«


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