Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
reden Sie keinen Unsinn! Essen Sie lieber!«
»Und nach meinem Verstande, Ew. Wohlgeboren,« sagte der Gärtner Jefrem, den Samowar auf den Tisch setzend, »hat diese Schweinerei niemand anderes als Nikolaschka gemacht.«
»Sehr möglich,« sagte Psekow.
»Wer ist denn dieser Nikolaschka?«
»Der Kammerdiener des gnädigen Herrn, Ew. Wohlgeboren,« antwortete Jefrem. »Wer anders, als er? Ein Räuber ist er, Ew. Wohlgeboren, ein Säufer und Liederjahn, daß Gott bewahre! Er brachte dem gnädigen Herrn immer den Schnaps hin, er legte ihn zu Bett . . . Wer soll es denn sein, wenn nicht er? Und einmal, wenn ich es wagen darf, Ew. Wohlgeboren zu melden, hat er im Kruge renommiert, daß er den gnädigen Herrn totschlagen wird. Wegen Akuljka war das, wegen eines Frauenzimmers . . . Er hatte so ein Soldatenweib . . . Dem gnädigen Herrn hatte sie gefallen, und er hatte sie zu seiner Person emporgehoben; nun und dieser . . . natürlich, war wütend . . . Eben liegt er betrunken in der Küche . . . Weint und lügt, daß der gnädige Herr ihm leid thäte . . .«
»Das stimmt, wegen der Akuljka kann man schon wütend werden,« sagte Psekow. »Sie ist zwar ein Soldatenweib, eine Bäuerin, aber . . . Nicht umsonst hatte Mark Iwanitsch ihr den Namen Nana gegeben. Sie hat so etwas, was an die Nana erinnert . . . so etwas Anziehendes . . .«
»Ich habe sie gesehen . . . Ich weiß . . .« sagte der Untersuchungsrichter, sich in sein rotes Taschentuch schnaubend.
Djukowski wurde rot und senkte den Blick.
Der Amtshauptmann begann mit dem Finger auf der Untertasse zu trommeln.
Der Kreishauptmann hustete und suchte etwas in seinem Portefeuille.
Nur auf den Doktor allein schien die Erwähnung Akuljkas und Nanas durchaus keinen Eindruck gemacht zu haben.
Der Untersuchungsrichter befahl, Nikolaschka zu holen.
Nikolaschka, ein junger, langer Bursche mit pockennarbiger Nase und eingefallener Brust, in einem abgelegten Rock seines Herrn, trat in das Zimmer und verbeugte sich vor dem Untersuchungsrichter bis zur Erde. Sein Gesicht war verschlafen und verweint. Er selbst war betrunken und stand kaum auf den Beinen.
»Wo ist der gnädige Herr?« fragte ihn Tschubikow.
»Ermordet, Ew. Wohlgeboren.«
Nachdem er dieses gesagt, begann er mit den Augen zu zwinkern und fing an zu weinen.
»Daß er ermordet, wissen wir. Wo ist er aber jetzt? Wo ist seine Leiche?«
»Man sagt, daß er zum Fenster herausgeschleppt und im Garten vergraben worden sei.«
»Hm . . . Die Resultate der Untersuchung sind schon auf der Küche bekannt . . . Schlimm. – Wo warst Du denn, mein Lieber, in der Nacht, als der gnädige Herr ermordet wurde? Am Sonnabend also?«
Nikolaschka hob den Kopf, streckte den Hals aus und begann zu denken.
»Das kann ich nicht sagen, Ew. Wohlgeboren,« antwortete er. »Ich war betrunken und erinnere mich dessen nicht mehr.«
»Alibi!« flüsterte Djukowski lächelnd und sich die Hände reibend.
»So . . . Nun, und woher kommt denn das Blut unter dem Fenster des gnädigen Herrn?«
Nikolaschka hob wieder den Kopf und verfiel wieder in Gedanken.
»Denke schneller!« sagte der Kreishauptmann.
»Gleich. Das Blut ist von einem Strunt, Ew. Wohlgeboren! Ich schlachtete ein Huhn. Ich schlachtete es ganz einfach, wie gewöhnlich, das Huhn aber riß sich los und lief davon . . . Daher kommt auch das Blut . . .«
Jefrem bezeugte, daß Nikolaschka in der That jeden Abend Hühner schlachtet und zwar an verschiedenen Stellen. Daß ein halbgeschlachtetes Huhn im Garten umhergelaufen sei, habe niemand gesehen, die Möglichkeit könne aber allerdings nicht bestritten werden.
»Alibi!« lächelte Djukowski. »Und was für ein blödsinniges Alibi!«
»Hast Du mit Akuljka was zu thun gehabt?«
»Wer ist ohne Sünde . . .«
»Und der gnädige Herr hat sie Dir abspenstig gemacht?«
»Nein. Akuljka hat mir der Herr hier, Herr Psekow, Iwan Michajlitsch, abspenstig gemacht, und der gnädige Herr hat sie dann Iwan Michajlitsch abgenommen. So war die Sache . . .«
Psekow wurde verlegen und begann sich das linke Auge zu reiben.
Djukowski sog sich mit den Augen an ihm fest, bemerkte seine Verlegenheit und zuckte zusammen. Er sah, daß der Inspektor blaue Hosen anhatte, die er früher übersehen hatte. Die Hosen erinnerten ihn an die blauen Fädchen, die er am Distelstrauch gefunden.
Auch Tschubikow warf einen verdächtigen Blick auf Psekow.
»Kannst gehen!« sagte er zu Nikolaschka. »Und jetzt gestatten Sie mir eine Frage, Herr Psekow. Sie waren natürlich den Abend von Sonnabend auf Sonntag hier?«
»Ja, um zehn Uhr aß ich mit Mark Iwanitsch zu Abend.«
»Und nachher?«
Psekow wurde verlegen und stand auf.
»Nachher . . . nachher . . . Ich weiß wirklich nicht,« stammelte er. »Ich hatte damals viel getrunken . . . Ich erinnere mich nicht mehr, wo und wann ich eingeschlafen bin . . . Was stieren Sie mich denn alle so an? Als wenn ich ihn ermordet hätte!«
»Wo erwachten Sie denn?«
»Ich wachte auf . . . in der Gesindeküche auf der Ofenpritsche . . . Alle können das bezeugen . . . Wie ich auf den Ofen gekommen bin, weiß ich nicht . . .«
»Regen Sie sich nicht auf . . . Kannten Sie Akuljka?«
»Dabei ist nichts besonderes . . .«
»War sie von Ihnen an Kljausow übergegangen?«
»Ja . . . Jefrem, bringe noch Pilze! Wünschen Sie Thee, Jewgraf Kusjmitsch?«
Es trat ein drückendes, peinliches Schweigen ein, das ungefähr fünf Minuten währte. Djukowski schwieg und wandte nicht den stechenden Blick von dem bleichen Gesicht Psekows. Das Schweigen unterbrach der Untersuchungsrichter.
»Man wird wohl in das große Haus hinübergehen müssen, um dort mit der Schwester des Verstorbenen, Marja Iwanowna, zu sprechen. Vielleicht kann sie uns irgend einen Hinweis geben . . .«
Tschubikow und sein Gehilfe bedankten sich für das Frühstück und begaben sich nach dem herrschaftlichen Hause. Die Schwester Kljausows, Marja Iwanowna, eine fünfundvierzigjährige Jungfrau, trafen sie vor einem altertümlichen Heiligenschrein betend an. Als sie in den Händen der Gäste die Portefeuilles und Mützen mit Kokarden bemerkte, erbleichte sie.
»Ich muß vor allem um Verzeihung bitten, daß wir Sie sozusagen in Ihrer Andacht stören,« begann mit einem Kratzfuß der galante Tschubikow. »Wir kommen zu Ihnen mit einer Bitte . . . Sie haben natürlich schon gehört . . . Es existiert der Verdacht, daß Ihr Herr Bruder gewissermaßen ermordet.. Das ist nun mal Gottes Wille . . . Dem Tode entgeht niemand, weder König noch Bauer. Können Sie uns nicht mit irgend einem Hinweis, einer Aufklärung zu Hilfe kommen? . . .«
»Ach . . . fragen Sie mich nicht!« sagte Marja Iwanowna, noch bleicher werdend und das Gesicht mit den Händen verdeckend. »Ich kann Ihnen nichts sagen! Nichts! Ich bitte Sie! Nichts . . . Was kann ich . . . Ach, nein, nein . . . nicht ein Wort über meinen Bruder! Wenn ich auch sterbe, sage ich nichts!«
Marja Iwanowna begann zu weinen und ging ins andere Zimmer hinaus. Der Untersuchungsrichter und sein Gehilfe sahen sich an, zuckten die Achseln und retirierten sich.
»'n Teufelsfrauenzimmer!« fluchte Djukowski, als er aus dem großen Hause trat. »Augenscheinlich weiß sie etwas und verheimlicht es . . . Und auch das Stubenmädchen machte so ein Gesicht . . . Wartet, ihr Teufel! Werden schon alles herauskriegen.«
Am