Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow

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wohin wollt Ihr? Tschubikow, wohin?«

      Der Untersuchungsrichter spuckte aus und ging zum Badehaus hinaus. Ihm folgte mit gesenktem Haupte Djukowski. Beide bestiegen sie schweigend den Charabancs und fuhren ab. Noch niemals war ihnen der Weg so weit und langweilig erschienen, wie diesmal. Beide schwiegen. Tschubikow zitterte den ganzen Weg vor Wut, Djukowski verbarg sein Gesicht im Kragen, als fürchtete er, daß die Dunkelheit und der Sprühregen auf seinem Gesicht die Beschämung lesen könnten.

      Zu Hause angelangt, fand der Untersuchungsrichter bei sich den Doktor Tjutjujew vor. Der Arzt saß am Tisch und blätterte seufzend in der ›Niwa‹.

      »Was nicht wieder alles los ist!« sagte er, den Untersuchungsrichter mit einem trüben Lächeln begrüßend. »Wieder Österreich! . . . Und auch Gladstone gewissermaßen . . .«

      Tschubikow warf seinen Hut unter den Tisch und erbebte.

      »Teufelsskelett! Laß mich in Ruh! Tausendmal habe ich Dir gesagt, daß Du mir nicht mit Deiner Politik kommen sollst! Hab' was anderes im Kopf! – Und Dir«, wandte sich Tschubikow an Djukowski, die Fäuste ballend, »Dir . . . verzeihe ich das nie im Leben!«

      »Aber . . . das schwedische Zündholz! Wie konnt ich denn wissen!«

      »Daß Du an Deinem Zündholz erstickst! Gehe und ärgere mich nicht, sonst mache ich aus Dir weiß der Teufel was! Daß ich Deinen Fuß hier nicht sehe.«

      Djukowski fuhr zusammen, nahm seinen Hut und ging.

      »Ich geh und sauf mich voll!« beschloß er, als er zum Thor hinaus war und schlenderte betrübt dem Wirtshaus zu.

      Als die Frau Amtshauptmann aus dem Badehause zurückkehrte, fand sie im Salon ihren Mann.

      »Wozu war der Untersuchungsrichter hier?« fragte der Mann.

      »Er war gekommen, um zu sagen, daß Kljausow gefunden sei. Er war garnicht ermordet. Im Gegenteil, er lebt und ist gesund . . . Stelle Dir vor, man hat ihn bei einer fremden Frau gefunden! . . .«

      »Ach, Mark Iwanitsch, Mark Iwanitsch!« seufzte der Amtshauptmann, die Augen zur Decke erhebend. »Habe ich Dir nicht gesagt, daß Liederlichkeit zu nichts Gutem führt! Nein, wolltest auf mich nicht hören!«

      Der Löwen- und Sonnenorden

       Inhaltsverzeichnis

      In einer der diesseits des Urals gelegenen Städte hatte sich das Gerücht verbreitet, daß ein persischer Würdenträger namens Rachat-Chelam angekommen sei und im Hôtel »Japan« Wohnung genommen hätte. Dieses Gerücht machte auf die Einwohner keinen besonderen Eindruck, man begnügte sich damit, zu wissen, daß ein Perser da sei. Nur das Stadthaupt, Stepan Iwanowitsch Kuzin, wurde nachdenklich, als er vom Syndikus des Stadtamts von der Ankunft des Orientalen erfuhr, und fragte:

      »Wohin reist er denn?«

      »Ich glaube nach Paris oder London.«

      »Hm! . . . Also ein hohes Tier?«

      »Weiß der Kuckuck.«

      Als das Stadthaupt aus dem Bureau nach Hause gekommen war und zu Mittag gegessen hatte, verfiel er wieder in Gedanken, und diesmal grübelte und dachte er bis zum Abend. Die Ankunft des persischen Würdenträgers beschäftigte ihn stark. Es schien ihm, daß das Schicksal selbst ihm diesen Rachat-Chelam geschickt hätte, und daß jetzt der richtige Augenblick gekommen sei, seinen sehnsüchtigen, leidenschaftlichen Wunsch zu verwirklichen. Kuzin besaß nämlich zwei Medaillen, den Stanislausorden 3. Klasse, das Abzeichen des Roten Kreuzes und das Abzeichen der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Außerdem hatte er sich noch eine Berlocke anfertigen lassen – eine goldne Flinte gekreuzt mit einer Guitarre –, die er an der Uhrkette zum Knopfloch der Uniform heraushängen ließ; von weitem sah die Berlocke etwas außergewöhnlich aus und konnte recht gut für ein Ehrenzeichen gehalten werden.

      Nun ist es ja bekannt, je mehr einer Orden hat, umsomehr möchte er noch welche haben, und so wünschte sich denn das Stadthaupt schon lange, den persischen Löwen- und Sonnenorden zu erhalten. Sein Wunsch war brennend und unbezwingbar. Er wußte, daß man, um diesen Orden zu bekommen, weder zu kämpfen noch eine Wohlthätigkeitsanstalt zu dotieren, noch sich im Gemeindedienste hervorzuthun brauchte, sondern daß dazu nur eine günstige Gelegenheit nötig war. Und jetzt schien es ihm, daß diese Gelegenheit gekommen sei.

      Am andern Tage gegen Mittag legte er sich alle seine Ehrenzeichen an, hing sich die Amtskette um den Hals und fuhr nach dem Hôtel »Japan«. Das Schicksal begünstigte ihn. Als er das Zimmer des persischen Würdenträgers betrat, war dieser allein und nicht beschäftigt. Rachat-Chelam, ein riesiger Asiate mit einer langen Bekassinennase und hervorstehenden Augen, saß im Fez auf der Diele und kramte in seinem Koffer.

      »Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich es gewagt habe, Sie zu inkommodieren«, begann Kuzin lächelnd. »Ich habe die Ehre, mich vorzustellen: erblicher Ehrenbürger und Ritter hoher Orden, Stepan Iwanowitsch Kuzin, das hiesige Stadthaupt. Ich hielt es für meine Pflicht, in Ihrer werten Person sozusagen dem Vertreter einer befreundeten und nachbarlichen Monarchie meine Ehrerbietung zu bezeugen . . .«

      Der Perser wandte sich um und stammelte etwas in sehr schlechtem Französisch, das wie das Klappern auf einem Holzbrette klang.

      »Die Grenzen Persiens«, fuhr Kuzin in seiner vorher einstudierten Begrüßungsrede fort, »befinden sich in enger Berührung mit denjenigen unseres weiten Vaterlandes, und daher veranlassen mich die gemeinsamen Sympathien, Ihnen sozusagen unsere Solidarität auszudrücken.«

      Der persische Würdenträger erhob sich und stammelte wieder etwas in seiner hölzernen Sprache.

      Kuzin, der überhaupt keine fremden Sprachen kannte, schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er nicht verstehe.

      »Wie soll ich nur mit ihm sprechen?« dachte er. »Man müßte eigentlich gleich nach einem Dolmetsch schicken, aber die Sache ist etwas peinlich und läßt sich in Zeugengegenwart nicht gut abmachen. Der Dolmetsch würde es dann in der ganzen Stadt herumtragen.«

      Und Kuzin suchte sich einige Fremdwörter ins Gedächtnis zu rufen, die er aus den Zeitungen kannte.

      »Ich bin das Stadthaupt . . .« stammelte er, »das heißt Lord-Mayor . . . Municipale . . . Oui? Comprenez?«

      Er wollte durch Worte oder mimisch seine soziale Stellung bezeichnen, wußte aber nicht, wie er es machen sollte. Ein an der Wand hängender Stich mit der deutlichen Unterschrift »Die Stadt Venedig« half ihm aus seiner Verlegenheit. Er wies mit dem Finger auf die Stadt und dann auf seinen Kopf, woraus sich seiner Meinung nach die Phrase, ergab: »Ich bin das Stadthaupt.«

      Der Perser begriff nichts, lächelte aber und sagte: »Gutt, musje . . . Gutt . . .«

      Eine halbe Stunde später klopfte das Stadthaupt den Perser bald auf das Knie, bald auf die Schulter und sprach:

      » Comprenez? Oui . . .? Als Lord-mayor und Municipale . . . biete ich Ihnen eine kleine Promenade an . . . Comprenez? Promenade . . .«

      Kuzin wies mit einem Finger auf Venedig und stellte mit zwei Fingern einherschreitende Beine dar.

      Rachat-Chelam, der von den Medaillen des Stadthaupts nicht die Augen wandte und offenbar bereits vermutete, daß er die wichtigste Person der Stadt vor sich hatte, verstand das Wort » Promenade« und entblößte liebenswürdig seine Zähne.

      Darauf zogen beide ihre Paletots an und verließen das Zimmer. Unten an der Thür, die zu dem Restaurant »Japan« führte, fiel es Kuzin ein, daß es nicht übel wäre, dem Perser etwas vorzusetzen. Er blieb stehen und sagte, auf die Tische weisend:

      »Nach russischer Sitte könnte man jetzt mal . . . Purée . . . Entrecôte . . . Champagne und so weiter . . . Comprenez

      Der Würdenträger begriff, und nach einer Weile saßen beide in einem der


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