Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
Beobachtungen. Sie waren beide ermüdet und schwiegen. Tschubikow liebte überhaupt nicht, unterwegs zu sprechen, der Schwätzer Djukowski aber schwieg dem Alten zu Gefallen. Am Ende des Weges hielt jedoch der Gehilfe das Schweigen nicht mehr aus und begann:
»Daß Nikolaschka an dieser Sache beteiligt ist – non dubitandum est
. Man sieht es ihm an der Fratze an, was er für ein Kerl . . . Das Alibi verrät ihn ganz und gar. Es ist auch kein Zweifel, daß er nicht der Initiator der Sache ist. Er war nur ein dummes, gedungenes Werkzeug. Nicht wahr? Auch der bescheidene Psekow spielt dabei nicht die letzte Rolle. Die blauen Hosen, seine Verlegenheit, das sich vor Furcht auf den Ofen verkriechen nach dem Morde, das Alibi und Akuljka . . .
»Na, wieder die Schleusen geöffnet! Ihrer Ansicht nach ist also jeder, der Akuljka gekannt hat, der Mörder? So ein Hitzkopf! An der Saugflasche sollten Sie lutschen und nicht Untersuchungen führen! Sie haben ja auch der Akuljka den Hof gemacht, also sind auch Sie in die Sache verwickelt?«
»Auch bei Ihnen hat Akuljka einen Monat lang als Köchin gelebt, aber . . . ich sage nichts. In der Nacht auf Sonntag spielte ich mit Ihnen Karten, habe Sie also gesehen . . . Sonst hätte ich mich auch an Sie gemacht . . . Es handelt sich auch garnicht um das Frauenzimmer. Es handelt sich um ein niedriges, gemeines Gefühlchen . . . Dem bescheidenen jungen Manne gefiel es nicht, verstehen Sie, daß nicht er die Oberhand behielt. Eigenliebe, verstehen Sie . . . Wollte sich rächen . . . Und dann . . . Seine dicken Lippen zeugen von großer Sinnlichkeit. Erinnern Sie sich, wie er mit den Lippen schmatzte, als er die Akuljka mit Nana verglich. Daß der Kerl vor Leidenschaft vergeht – ist klar! Also: verletzte Eigenliebe und unbefriedigte Leidenschaft. Das genügt, um einen Mord zu begehen. Zweie wären also in unseren Händen; wer aber ist der dritte? Nikolaschka und Psekow hielten. Wer erdrosselte ihn? Psekow ist schüchtern, leicht verlegen, überhaupt ein Feigling. Leute aber, wie Nikolaschka, verstehen nicht, mit Kissen als Mordwerkzeug zu hantieren; sie arbeiten mit Beilen, Knüppeln . . . Das Erdrosseln hat also ein anderer besorgt, aber – wer?«
Djukowski rückte den Hut in die Stirn und verfiel in Gedanken. Er schwieg solange, bis der Charabancs vor dem Hause des Untersuchungsrichters hielt.
»Heureka!« rief er, das Haus betretend und seinen Überzieher ablegend. »Heureka, Nikolai Jermolaitsch! Ich begreife nicht, wie mir das früher nicht einfiel. Wissen Sie, wer der dritte gewesen?«
»Lassen Sie mich in Ruh! Der Tisch ist gedeckt, kommen Sie zum Abendessen!«
Der Untersuchungsrichter und Djukowski setzten sich an den Tisch. Djukowski goß sich ein Gläschen Schnaps ein, stand auf, warf sich in die Brust und sagte augenfunkelnd:
»Also hören Sie: Der dritte, der gemeinsam mit dem Schurken Psekow am Mord beteiligt ist und der Kljausow mit dem Kissen erstickt hat, – war ein Weib! Jawohl! Ich meine die Schwester des Ermordeten, Marja Iwanowna!«
Tschubikow verschluckte sich am Schnaps und stierte Djukowski verständnislos an.
»Sie . . . sind wohl . . . Sie . . . Ihr Kopf . . . schmerzt Ihnen wohl?«
»Ich bin gesund. Gut, mag ich verrückt sein, aber wie wollen Sie sich Ihre Verlegenheit bei unserem Besuch erklären? Wie wollen Sie sich Ihre Weigerung erklären, irgend eine Aussage zu machen? Nehmen wir an, daß das alles keine Bedeutung hat – gut! schön! – denken Sie aber dann an ihre gegenseitigen Beziehungen! Sie haßte ihren Bruder! Sie gehört zur Sekte der Altgläubigen, er war ein Wüstling, ein Atheist . . . Das also die Quelle des Hasses! Man erzählt sich, daß es ihm gelungen war, ihr einzureden, daß er ein Engel Satans sei! In ihrer Gegenwart pflegte er spiritistische Experimente zu machen . . .«
»Nun, und?«
»Sie begreifen noch nicht? Sie, eine Altgläubige, hat ihn aus Fanatismus ermordet. Und daß sie ihn, das Unkraut, den Wüstling getötet und so die Welt von dem Antichrist befreit hat, hält sie für ein Verdienst, für eine religiöse Heldenthat! O, Sie kennen diese altgläubigen alten Jungfern nicht! Lesen Sie mal Dostojewski! Und was schreiben Leskow, Petscherski! . . . Sie und sie war es, ich wette mein Leben darauf! Sie hat ihn erstickt! O, das geriebene Frauenzimmer! Stand sie nicht deswegen vor den Heiligenbildern, als wir eintraten, um uns zu täuschen? Werd' mich mal hinstellen und beten, dann werden sie glauben, daß ich ruhig bin und sie nicht erwartet habe! Das ist die Methode aller Verbrecherneulinge. Nikolai Jermolaitsch! Mein Lieber, mein Teurer! Übergeben Sie diese Sache mir! Lassen Sie mich dieselbe persönlich zu Ende führen! Mein Lieber! Ich habe sie begonnen, ich will sie auch zu Ende führen!«
Tschubikow machte mit dem Kopf eine abweisende Bewegung und zog die Augenbrauen zusammen.
»Wir verstehen auch selbst, schwierige Sachen zu entwirren«, sagte er. »Und Ihre Sache ist, die Nase nicht in Dinge zu stecken, die Sie nichts angehen. Schreiben Sie nach Diktat, wenn man Ihnen diktiert – das ist Ihre Sache!«
Djukowski flammte auf, ging hinaus und schlug die Thür hinter sich zu.
»Ein kluger Kopf, so 'ne Kanaille!« murmelte Tschubikow, ihm nachblickend. »Ein sehr gescheiter Kerl! Nur zur Unzeit hitzig . . . Ich werde ihm auf dem Jahrmarkt ein Cigarrenetui als Dedikation kaufen müssen . . .«
Am anderen Morgen wurde dem Untersuchungsrichter aus dem Gute Kljausowka ein junger Bursche mit großem Kopf und einer Hasenscharte vorgeführt, der sich der Hirt Danilka nannte und eine sehr interessante Aussage machte.
»Ich war etwas angetrunken . . .« sagte er. »Bis um Mitternacht war ich bei der Gevatterin gewesen. Auf dem Heimwege stieg ich in betrunkenem Zustande in den Fluß, um zu baden. Ich bade also . . . plötzlich gehen über den Damm zwei Menschen und tragen etwas schwarzes. »Tju!« schreie ich sie an. Die kriegten einen Schreck und rannten was sie konnten auf die Makarjewschen Gemüsegärten zu. Gott straf mich, wenn da nicht der gnädige Herr geschleppt worden war!«
Abends am selben Tage wurden Psekow und Nikolaschka arretiert und unter Eskorte in die Bezirksstadt transportiert. In der Stadt wurden sie ins Gefängnis gesperrt.
*
Zwölf Tage waren vergangen.
Es war am Morgen. Der Untersuchungsrichter Nikolai Jermolaitsch saß bei sich zu Hause am grünen Tisch und blätterte in den Kljausowschen Akten. Djukowski schritt unruhig, wie ein Wolf im Käfig, aus einer Ecke in die andere.
»Sie sind von der Schuld Nikolaschkas und Psekows überzeugt«, sprach er, nervös an seinem jungen Bärtchen zupfend. »Warum wollen Sie sich denn nicht von der Schuld Marja Iwanownas überzeugen? Haben Sie denn noch nicht genügend Beweise?«
»Ich sage nicht, daß ich nicht überzeugt bin. Ich bin überzeugt, aber . . . ich mag nicht recht daran glauben . . . Es sind keine rechten Beweise da, sondern nur Philosophieen . . . Fanatismus u. s. w. . . .«
»Sie müssen natürlich ein Beil, blutige Betttücher haben! . . . Juristen! Ich werde es Ihnen also beweisen! Sie werden dann schon aufhören, die psychische Seite der Sache so oberflächlich zu behandeln! Ihre Marja Iwanowna kommt nach Sibirien! Ich werde es beweisen! Wenn die Philosophie bei Ihnen nicht anschlägt, so habe ich auch etwas konkreteres . . . Das wird Ihnen zeigen, wie recht ich mit meiner Philosophie hatte! Lassen Sie mich nur etwas herumfahren . . .«
»Was meinen Sie denn damit?«
»Das schwedische Zündholz . . . Das haben Sie wohl vergessen? Ich nicht! Ich werde es herausbekommen, wer das Zündholz im Zimmer des Ermordeten angezündet hat! Es ist nicht Nikolaschka, nicht Psekow gewesen, bei denen bei der Untersuchung solche Zündhölzer nicht vorgefunden wurden, sondern ein dritter, d. h. Marja Iwanowna. Und ich werde das beweisen! . . . Lassen Sie mich nur im Bezirk herumfahren, nachforschen . . .«
»Na, ist gut, setzen Sie sich . . . Wollen wir mit dem Verhör beginnen.«
Djukowski setzte sich an den Tisch und steckte seine Nase in die Akten.
»Nikolai Tetjochow soll vorgeführt werden!« rief der Untersuchungsrichter.
Nikolaschka wurde vorgeführt. Nikolaschka war bleich und dürr wie ein Holzspan. Er zitterte.
»Tetjochow!« begann Tschubikow. »Im Jahre