Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
. . . Bei uns, wissen Sie, ist eine Feder gesprungen«, begann Tschubikow, in den Salon tretend und sich in einen Lehnstuhl setzend.
»Sie müssen . . . gleich überrumpeln!« flüsterte ihm Djukowski zu. »Überrumpeln Sie sie!«
»Wagenfeder . . . Mm . . . Ja . . . Da fuhren wir denn hier an.«
»Überrumpeln Sie sie, sage ich Ihnen. Wenn Sie viel Sprünge machen, schöpft sie Verdacht.«
»Na, also machen Sie, was Sie wollen, befreien Sie nur mich davon,« flüsterte Tschubikow aufstehend und an das Fenster tretend. »Ich kann es nicht! Sie haben die Suppe eingebrockt, löffeln Sie sie auch aus!«
»Ja, eine Wagenfeder . . .« begann Djukowski, an die Frau Amtshauptmann herantretend und seine lange Nase runzelnd. »Wir sind eigentlich nicht dazu gekommen, um . . . aeh – aeh . . . zu Abend zu essen und auch nicht zu Jewgraf Kusjmitsch. Wir sind gekommen, um Sie, gnädige Frau, zu fragen: wo befindet sich Mark Iwanowitsch, den Sie ermordet haben?«
»Was? Was für ein Mark Iwanowitsch?« stammelte die Frau Amtshauptmann, und ihr Gesicht überzog sich plötzlich mit dunklem Rot. »Ich . . . ich verstehe nicht.«
»Ich frage Sie im Namen des Gesetzes! Wo ist Kljausow? Wir wissen alles!«
»Durch wen?« fragt leise die Frau Amtshauptmann, die Djukowskis Blick nicht länger ertragen konnte.
»Belieben Sie, uns zu sagen, wo er ist!«
»Aber woher wissen Sie es? Wer hat es Ihnen erzählt?«
»Wir wissen alles! Ich verlange es im Namen des Gesetzes!«
Der Untersuchungsrichter, durch die Verlegenheit der Frau Amtshauptmann ermuntert, trat an sie heran und sagte:
»Zeigen Sie ihn uns, und wir werden gehen. Sonst aber . . .«
»Wozu brauchen Sie ihn denn?«
»Wozu diese Fragen, meine Gnädige? Wir bitten Sie, ihn uns zu zeigen! Sie zittern, sind verwirrt . . . Ja, er ist ermordet und, wenn Sie es wollen, von Ihnen ermordet! Ihre Genossen haben Sie verraten!«
Die Frau Amtshauptmann erbleichte.
»Gehen wir«, sagte sie leise, die Hände ringend. »Er ist bei mir im Dampfbad versteckt. Aber, um Gottes Willen, sagen Sie es nicht meinem Mann! Ich flehe Sie an! Er würde es nicht überstehen!«
Die Frau Amtshauptmann nahm von der Wand einen großen Schlüssel und führte ihre Gäste durch die Küche und den Flur auf den Hof. Auf dem Hof war es dunkel. Ein feiner Regen sprühte. Die Frau Amtshauptmann ging voraus. Tschubikow und Djukowski schritten hinter ihr durch das hohe Gras einher und atmeten den Geruch wilden Hanfs und des Spülwassers ein, das unter ihren Füßen aufspritzte . . . Der Hof war sehr groß. Bald hörte das Spülwasser auf und die Füße fühlten aufgeackerte Erde. In der Dunkelheit zeigten sich die Silhouetten von Bäumen und zwischen den Bäumen hindurch ein kleines Häuschen mit schiefem Schornstein.
»Das ist das Badehaus«, sagte die Frau Amtshauptmann. »Aber ich flehe Sie an, sagen Sie niemand was davon!«
Als Tschubikow und Djukowski an das Badehaus herangetreten waren, sahen sie an der Thür ein riesiges Vorhängeschloß.
»Nehmen Sie das Lichtende und Zündhölzchen heraus!« flüsterte der Untersuchungsrichter seinem Gehilfen zu.
Die Frau Amtshauptmann öffnete das Badehaus und ließ ihre Gäste ein.
Djukowski zog ein Zündholz auf und erleuchtete den Vorraum. Mitten in dem Raum stand ein Tisch. Auf dem Tisch, neben einem kleinen, dickbäuchigen Ssamowar stand eine Suppenterrine mit kalt gewordener Kohlsuppe und eine Schüssel mit den Resten einer Sauce.
»Weiter!«
Man trat in das nächste Zimmer, in das Dampfbad ein. Dort stand ebenfalls ein Tisch. Auf dem Tisch befanden sich eine große Schüssel mit einem Schinken, eine Flasche Schnaps, Teller, Messer, Gabeln.
»Aber wo ist denn . . . er? Wo ist der Ermordete?« fragte der Untersuchungsrichter.
»Er ist auf der oberen Schwitzpritsche!« flüsterte die Frau Amtshauptmann, immer noch bleich und zitternd.
Djukowski nahm das Lichtende und kletterte zu der oberen Pritsche hinauf. Dort erblickte er einen langen menschlichen Körper, der regungslos auf einem großen Daunenpfühl lag. Der Körper schnarchte leise . . .
»Man hält uns zum besten, hol's der Teufel!« schrie Djukowski. »Das ist ja garnicht er! Hier liegt irgend ein lebendiger Laban. – He, wer sind Sie, daß Sie der Teufel hole?«
Der Körper zog pfeifend die Luft in sich herein und begann sich zu regen.
Djukowski stieß ihn mit dem Ellbogen.
Der Körper streckte die Hände in die Höhe, reckte sich und hob den Kopf.
»Wer kriecht da herum?« fragte ein heiserer, schwerer Baß. »Was willst Du?!«
Djukowski hielt das Lichtende an das Gesicht des Unbekannten und schrie auf. An der dunkelroten Nase, an dem zerwühlten ungekämmten Haar, an dem pechschwarzen Schnurrbart, von dem die eine Seite schneidig aufgedreht war und frech zur Decke emporstarrte, erkannte er den Kornett Kljausow.
»Sie? Mark . . . Iwanowitsch?! Unmöglich!«
Der Untersuchungsrichter sah zur Pritsche auf und erstarrte . . .
»Ja, das bin ich . . . Und das sind Sie, Djukowski! Was für einen Satan suchen Sie denn hier? Und was ist denn da unten noch für eine Fratze? Nanu, der Untersuchungsrichter! Wo kommt Ihr denn her?«
Kljausow stieg schnell herab und umarmte Tschubikow.
Olga Petrowna glitt zur Thür hinaus.
»Wo kommt Ihr denn her? Trinken wir eins drauf, hol's der Teufel! Tra-ta-ti-to-tom . . . Trinken wir eins! Wer hat Euch übrigens hergebracht? Woher wußtet Ihr, daß ich hier sei? Übrigens – egal! Trinken wir!«
Kljausow zündete die Lampe an und goß drei Gläser Schnaps ein.
»Das heißt, ich verstehe Dich nicht«, sagte der Untersuchungsrichter mit einer ratlosen Gebärde. »Bist Du es, oder bist Du es nicht?«
»Ist gut, ist gut . . . Willst mir wohl eine Moralpredigt halten? Gieb Dir nicht die Mühe! Jüngling, Djukowski, trink Dein Glas! Gaudeamus igitur
. . . Was gafft Ihr? Trinkt!«
»Immerhin kann ich es nicht begreifen«, sagte der Untersuchungsrichter, sein Glas mechanisch austrinkend. »Warum bist Du hier?«
»Warum soll ich denn nicht hier sein, wenn es hier gut ist?«
Kljausow trank aus und nahm ein Stück Schinken als Sakuska.
»Ich lebe bei der Frau Amtshauptmann, wie Du siehst. In der Wildnis und Einöde, wie so ein Geist. Trink! Sie that mir leid, mein Bester! Kriegte Mitleid mit ihr und lebe jetzt hier in dem verlassenen Badehause wie so ein Einsiedler . . . Ernähre mich. In der nächsten Woche will ich mich nach Hause packen . . . Es wird schon langweilig . . .«
»Unbegreiflich!« sagte Djukowski.
»Was ist denn dabei Unbegreifliches?«
»Unbegreiflich! Um Gottes Willen, wie ist denn Ihr Stiefel in den Garten gekommen?«
»Was für ein Stiefel?«
»Wir fanden den einen Stiefel im Schlafzimmer und den andern im Garten.«
»Wozu braucht Ihr denn das zu wissen? Geht Euch nichts an . . . Aber trinkt doch, daß Euch der Teufel hole! Habt Ihr mich aufgeweckt, dann trinkt wenigstens! Eine nette Geschichte, mein Bester, war dies mit diesem Stiefel. Ich wollte nicht zu Olja gehen . . . War nicht aufgelegt, weißt Du, etwas angeduselt . . . Sie kommt zu mir unters Fenster und beginnt zu schimpfen . . . Weißt Du, wie die Weiber . . . überhaupt . . . Ich, knall wie ich war, nehme einen Stiefel und schmeiß ihn nach ihr . . . Haha . . . Schimpf nicht, mein Schätzchen! Sie kletterte zum Fenster herein,