JURASSIC DEAD. David Sakmyster
als CIA-Agentin hatte jedoch durchaus ihre Vorteile, und so kam es, dass Veronica, nachdem sie sich zu beiden Seiten auf dem Flur umgesehen hatte, einen Dietrich aus dem Arztkoffer nahm, den sie stets bei sich trug.
Innerhalb von zehn Sekunden hatte sie die Verrieglung überlistet, die Tür geöffnet und sich hineingeschlichen. Dann drückte sie sie vorsichtig hinter sich zu.
Xanders Quartier bestand aus einer Schlafkoje von zehn Quadratfuß mit einem dazugehörigen Bad, das sie als Erstes inspizierte. Im Hauptraum standen ein Einzelbett, ein einfacher Schreibtisch und eine Kommode. So wie es aussah, reiste der Mann mit leichtem Gepäck und kam für wenig mehr her als zum Schlafen, aber selbst das vermutlich nicht allzu lange. Veronica blickte in die Schubladen der Kommode – völlig leer. Dann sah sie einen Seesack am Fuß des Bettes und kramte darin herum, aber dieser enthielt nur Kleidung, und die Taschen waren ebenfalls leer. Der Schreibtisch verfügte über eine einzelne, niedrige Schublade; sie ging hinüber und zog sie auf.
Darin lag zugeklappt ein weißes MacBook Air.
Ein Lächeln stahl sich in ihr Gesicht, als sie das Gerät auf den Tisch legte und öffnete, um es einzuschalten. Sofort musste sie ein Passwort eingeben, womit sie gerechnet hatte, doch da sie bei der CIA einige grundlegende Hacker-Tricks gelernt hatte, startete sie das System im Sicherheitsmodus neu und wies sich dann Administratorrechte zu, umging so die Passwortabfrage völlig und gewann Zugang in die Stammverzeichnisse.
Biochemiker, dachte sie mit einem herablassenden Grinsen.
Binnen weniger Augenblicke hatte sie Xanders Programme und Dateien vor sich. Es handelte sich um die üblichen Office-Leistungsanwendungen, aber er benutzte teilweise auch Spezialsoftware. Sie runzelte die Stirn, während sie ein paar Namen las: Matlab, Stata, ChemPro, GenTrack und SequenceGuru …
Wozu ist dieses Zeug nur gut? Sie klickte willkürlich ein Icon an.
Der Titel eines der Fenster lautete Genmutation, und darunter befanden sich zwei Datenspalten mit Werten wie Tac-1, Pep-4 und dergleichen.
Veronica hatte an Bord das Gerücht gehört, dass man Dinosaurier aus dem Untergrundsee berge, ging aber davon aus, dass es nur langweilige Knochen waren. Wieso würde Xander oder überhaupt irgendjemand mit Genen arbeiten, wenn sie keine kompletten Urzeitechsen hätten? Wunschdenken? Oder war es ihnen gelungen, sie aus Knochen zu klonen, die noch Mark enthielten?
Plötzlich vibrierte ihr Smartphone, also zog sie es aus der Tasche. Auf dem Touchscreen las sie eine Nachricht, die mit einem roten Ausrufezeichen versehen war: DRINGEND: SCHIFFSÄRZTIN SOFORT AN DECK, VERLETZUNG IN CREW MIT SCHWEREM ARBEITSGERÄT!
Dies war der erste ernste Ruf, den sie seit dem Antritt ihrer Reise an Bord in Südamerika erhalten hatte – genau in dem Moment, als sie allmählich glaubte, Bordärzte hätten es leicht … Mist! Wer hätte gedacht, dass diese Hochseepfuscher wirklich arbeiten müssen? Ihre Identität beruhte auf der Tatsache, dass während der wenigen Tage, die sie hier auf dem Meer verbrachte, statistisch gesehen nichts geschehen würde, was bedeutete, sie bräuchte bloß ein paar Rezepte auf der Krankenstation auszustellen. Soviel dazu.
Beim hastigen Überfliegen der anderen Fenster auf dem Schirm stieß sie auf eine Auflistung von Mikrofotos, die das Innenleben verschiedener Mikroben zeigten – nichts, was Veronica irgendeinen Aufschluss geben würde –, und etwas, das wie eine Röntgenaufnahme aussah, deren Überschrift Querschnitt Kleinhirn nach Injektion lautete, sowie einen von Fachwörtern durchzogenen Text im Blockformat in enger Schriftart, gespickt mit Ausdrücken wie als Kampfstoff verwendet, mesozoische Viruslast, reptilischer Wirt, artübergreifende Ansteckung … Da ihr bewusst wurde, dass sie keine Zeit hatte, sich all das zu merken, machte sie mit ihrem Handy einen Schnappschuss des Bildschirms. Hastig beendete Veronica das Programm und fuhr Xanders MacBook wieder hinunter. Sie legte es in die Schublade und trat zurück, um sich den gesamten Raum anzuschauen und dabei sicherzustellen, dass alles genauso aussah wie vor ihrem Eintritt. Tat es. Dann lauschte sie noch einen Moment lang mit einem Ohr an der Tür, damit sie sichergehen konnte, dass in diesem Moment niemand durch den Flur kam. Die Luft ist rein. Nachdem sie die Tür geöffnet und durch einen Spalt hinausgetreten war, schloss sie sie leise hinter sich. Noch einmal drehte sie am Knauf für den Fall, dass der Riegel nicht ins Schloss gefallen war, ehe sie über den Flur ging, wobei sie auf ihr Handy starrte, wie eine beschäftigte Ärztin, die gerade einen Notruf erhalten hatte.
11
An Bord des Öltankers Hammond-1, Erebus Point, Antarktis
Nachdem Marcus seinen Sohn umarmt hatte, schaute er auf und sah den Schiffsarbeiter, der als dessen Gefängniswächter fungiert hatte, aus dem angrenzenden Bereich der Ladefläche zurückkehren. Der Mann starrte sie in Erwartung eines Streitgesprächs an, das ihn unterhalten würde, während er den Rest seiner Schicht an dem schäbigen, kleinen Schreibtisch absaß. Marcus zeigte zur Einfahrt und in den Raum hinüber, wo die Kiste stand.
»Lass uns in meine Koje gehen, dort haben wir ein wenig Ruhe und sind unter uns.« Er warf dem Aufpasser einen finsteren Blick zu, bevor er das Gefängnis mit Alex verließ und zu der Stelle zurückkehrte, an dem die Fracht abgestellt worden war. Dort wimmelte es nun vor Arbeitern, die gerade einen gewaltigen, ausgewachsenen Dinosaurier auf eine eigens dazu angefertigte Plattform mit Rollen wuchteten, auf den man ihn in seiner ganzen gefrorenen Pracht legen konnte.
Alex blieb stehen, sobald ihm dieser unwirkliche Anblick ins Auge fiel. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass es ein …«
»Tyrannosaurus Rex ist? Glaub’s ruhig.«
Die beiden beobachteten das Schauspiel noch eine Weile, bis Marcus seinen Sohn weiter winkte. Xander stand etwas abseits und zeigte zu dem improvisierten, groß angelegten Labor, und ein Besatzungsmitglied schob einen Karren, der mit elektronischen Geräten beladen war, in diese Richtung.
Xander schaute zu Marcus hinüber, als er ihn kommen sah, und bedachte ihn mit einem abfälligen Blick, bevor er sich wieder abwandte. Marcus bekam unweigerlich mit, wie ein paar Männer über einen Schwerverletzten auf dem Arbeitsdeck sprachen.
»Dad, wir sollten Abstand von diesem Ding halten.« Alex klang ernsthaft nervös, nicht so, als ob er versuchen würde, Theater zu spielen, und um Aufmerksamkeit zu heischen.
»Beruhige dich. Er ist bemerkenswert gut erhalten, dank der Minustemperaturen des Süßwassersees – aber definitiv mausetot; ein Kadaver seit Jahrmillionen.«
Alex kratzte sich an der Stirn. »Und warum beschleicht mich dann das Gefühl, dass wir in einem Horrorfilm stecken, und einfach niemand nimmt mich ernst?«
Ein Arbeiter packte den Schwanz des Tiers mit ungeschützter Hand und bemühte sich, ihn wieder auf die Plattform zu ziehen, nachdem er hinuntergerutscht war. Wie sich herausstellte, war er zu schwer und zu steif für eine Person, also kam ihm ein Zweiter zur Hilfe, und gemeinsam stemmten sie den widerspenstigen Fortsatz wieder zurück auf die Ablage.
Marcus legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. »Alex. Wir müssen unser Gespräch zu Ende führen. Komm in meine Koje.« Er zeigte zum gegenüberliegenden Teil des Laderaums, der ungefähr so groß wie ein Football-Feld war, denn dort befand sich sein abgetrenntes Quartier. »Jetzt gleich!«
Alex trottete auf die Koje seines Vaters zu. Als sie dort ankamen, forderte Marcus ihn auf, hinter eine Trennwand zu treten und auf einer Pritsche militärischer Art Platz zu nehmen, die ihm als Bett diente. Zum Arbeiten hatte man ihm einen Klapptisch mit einem einzelnen Stuhl zur Verfügung gestellt, und außerdem standen dort ein Transistorradio sowie ein paar Bücher über die Antarktis neben diversen Fachbänden zur Flora und Fauna.
»Nett haben sie es dir hier eingerichtet«, scherzte Alex, während er sich auf der Pritsche langmachte, die Hände hinter dem Kopf verschränkte und hinauf zur Decke schaute.
»Bitte setz dich hin.«
Alex grunzte, weil es ihm Mühe bereitete, sich aufrecht hinzusetzen. »Ach, komm schon, Dad.«
»Alex.« Marcus wollte seine nächsten Worte eigentlich in Ruhe abwägen, konnte sich aber dann doch nicht zügeln. »Halt den Mund hör mir einmal in deinem Leben zu!«
Der Junge war leicht erstaunt angesichts dieses harten