JURASSIC DEAD. David Sakmyster
Er erschrak so sehr, dass er sein Glas losließ; es ging zu Bruch, als es auf den Boden fiel. »Heiliger Strohsack, ist das etwa …« »Ist es«, bestätigte DeKirk, dessen Stimme kaum kaschierte, wie vergnügt er war. »Einwandfrei konserviert, und er ist nicht der Einzige. Wir haben mindestens zwei weitere Dinosaurier gefunden – andere Spezies, doch sie sind genauso unversehrt.« »Das ist es«, flüsterte Xander fassungslos. Die Kälte, der Flug, die raue See: Das alles war plötzlich vergessen. »Das bedeutet … die Welt.«
6
Während sie den Schiffsbug von ihrem verdunkelten Büro aus mit einem binokularen Entfernungsmesser der nächsten Generation, der sogar über eine Nachtsichtfunktion verfügte, überwachte, beobachtete Veronica Winters den Start des Hubschraubers. Sie wartete mit angehaltenem Atem darauf, zu erfahren, wer wohl so wichtig war, dass man das Wagnis einging, ihn auf DeKirks privaten, streng geheimen Tanker zu fliegen.
Während sie ausharrte und hoffte, einen ersten Blick ins Gesicht des Unbekannten zu erhaschen, falls sich dieser traute, seine Kopfbedeckung bei den extremen Windstärken und Temperaturen abzunehmen, die dort draußen vorherrschten, wünschte sie sich auch, selbst über diese Entfernung hinweg imstande zu sein, seine Identität zu bestimmen. Denn falls nicht, musste sie ihre eigene falsche als Ärztin von Hammond aufgeben, für die zu etablieren ihre Vorgesetzten bei der CIA hart gearbeitet hatten, nicht ohne mehrere heikle Gefälligkeiten zu erweisen. Nachdem sie die vorangegangenen beiden Jahre in deutlich milderen Gefilden wie Marokko oder Monte Carlo verbracht hatte, war Veronica nicht erbaut von dem Gedanken, sich in absehbarer Zeit unwirtlicheren Witterungsverhältnissen aussetzen zu müssen.
Komm schon, geheimnisvoller Fremder, dachte sie. Zeig dein verdammtes Gesicht und erspare mir den Ärger.
Sie fühlte sich auf dieser Mission ohnehin schon zu leicht angreifbar. Als einzige Frau – zumal sie nicht unansehnlich war – mit dreißig Männern allein zu sein, die unter Damenentzug, überschüssigem Testosteron und schlechten Manieren litten, widersprach ihrer Vorstellung von einer lauschigen Zeit. Jeder einzelne dieser Kerle simulierte früher oder später Verletzungen, nur um einen Termin mit der heißen Doktorin zu bekommen, und im Rahmen dieses Auftrags war Veronica sogar in eine Verkleidung geschlüpft, indem sie ihr Aussehen entschärft und sich das Haar geschnitten hatte und ihre Reize unter schrecklich kratzigen, unattraktiven Sweatern verbarg. Allerdings vergeblich; das funktionierte nicht bei einer Besatzung von Flegeln oder jenem andauernd betrunkenen Captain, der sie ständig angaffte. Seit sie in Chile in See gestochen waren, waren erst sechs lange Tage vergangen. Die Antarktis. Veronica kannte das Ziel dank des Geheimdienstes, der sich in einen nur leidlich verschlüsselten Mailverkehr eines Auftragnehmers von DeKirk gehackt hatte. Es handelte sich um einen Paläontologen – ausgerechnet – namens Marcus Ramirez. Wozu der Milliardär einen Fossilienjäger brauchte, konnte sie nicht ergründen, doch die Bestrebungen, ihn wegen irgendeines Vergehens festzunageln, dauerten nun schon zehn Jahre. Sie beruhten auf der Hoffnung, Beweise für eine Vielzahl von Verbrechen auf internationaler Ebene zu erbringen: Geldwäsche, Mädchenhandel, Drogengeschäfte, Kunstraub und Wirtschaftsspionage waren nur einige wenige Möglichkeiten. Eigentlich hätte es nicht so schwierig sein sollen, doch das war es. Der Mann war bereit, tief in die Tasche zu greifen, und unfassbar gut abgesichert. Man sah ihn nur selten in der Öffentlichkeit, obwohl er mindestens zwanzig verschiedenen Gremien angehörte, die größtenteils wohltätig orientiert waren, damit er sich zumindest öffentlich einen Hauch von Rechtmäßigkeit angedeihen lassen konnte. Soweit bekannt pflegte er keine romantischen Beziehungen, hatte sich, so viel Veronica wusste, nichts Unüberlegtes zuschulden kommen lassen, und auch sonst keinerlei Schwachstellen offenbart. Den Fall zu lösen, erschien ihr nahezu unmöglich, und war sie auch mehrmals nahe dran gewesen, war sie der Entlarvung dabei jedes Mal umso nähergekommen, sodass sich die ganze Sache in Wohlgefallen aufgelöst hätte. Damals in Marokko wäre es möglich gewesen, ihn wegen des minder schweren Vergehens der Steuerhinterziehung zu belangen, doch sie hatte es in der Ahnung hinausgezögert, er arbeite auf etwas viel, viel Größeres hin, etwas von globaler Tragweite – höchste Geheimhaltungsstufe und Machenschaften, die für DeKirk eine neue Stoßrichtung bedeuteten: Genetik. Jetzt verfügte er über Gruppen von Biologen, die zusammenarbeiteten, und Labors in mehreren Dritte-Welt-Ländern beziehungsweise auf Inseln im Atlantik. Dies genoss oberste Priorität, wie Langley bestätigte, die sich beeilt hatten, ihr zu einer neuen Deckung zu verhelfen, nachdem der dringliche Nachrichtenaustausch mit der amerikanischen Basis in der Antarktis abgefangen worden war. Also hatte sie ein Schiff nach Chile genommen und die Rolle der Ärztin auf dem Tanker übernommen. Jetzt stand sie unheimlich knapp vor der Aufklärung. Sie wusste, der Unbekannte war nicht DeKirk, weil er viel zu fit und agil in seinen Bewegungen wirkte. Allerdings legte er sehr wohl den gleichen arroganten und übermütigen Zug an den Tag wie der Milliardär, allerdings auch etwas anderes: Wut. Er ärgerte sich anscheinend darüber, hier zu sein, und da daran kein Zweifel bestand, konnte er weder DeKirk noch einer von dessen Handlangern sein. Es war ein Fremder, jemand Wichtiges und jemand, der … Als der Captain mit zwei Widerlingen auf den Neuankömmling zuging, zog dieser seine Haube vom Kopf und die Schutzbrille hoch. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bevor die Soldaten ihr die Sicht versperrten, doch das genügte ihr bereits. Wie könnte man dieses Gesicht jemals vergessen? Die hohen, hervorstechenden Wangenknochen, am linken eine Narbe wie ein Komma, das widerspenstige, blonde Haar und dieser Blick: kalt und hart wie Stahl. Sein Konterfei war in den Datenbanken jeder Strafverfolgungsbehörde unter den meistgesuchten Verbrechern hinterlegt. Das FBI und die CIA hatten sich zusammengeschlossen, um mithilfe von Interpol nach ihm zu fahnden. Er war ein Gespenst, ein Phantom. Und schlimmer noch: Ein Auftragsmörder! Er tötete weder mit Schuss- noch Stichwaffen, sondern mit seltenen Giften und biologischen Kampfstoffen. Viren waren sein Steckenpferd, und wenn er die Finger im Spiel hatte, könnte Veronicas Befürchtung, es handele sich um eine weltumspannende Kampagne, die mit DeKirks Geldern und Einfluss vorangetrieben wurde, sogar noch unglaublich untertrieben sein. All das verblasste jedoch vor dem eigentlichen Grund dafür, dass sie fast aufschrie, als sie Xander Dyson wiedererkannte. Denn sieben Jahre zuvor hatte er ihren Partner und Geliebten getötet; auf die schlimmstmögliche Weise ermordet. Er war an einem Virus erkrankt und über mehrere Tage hinweg dahingesiecht, was ihm gerade noch genügend Zeit gegeben hatte, um zu ihr zurückzukehren und dann gleich in ihren Armen zu sterben. Dieser Verlust schmerzte Veronica in jeder freien Minute. Jetzt endlich – am unwahrscheinlichsten aller Orte – konnte sie Xander aufs Korn nehmen.
7
Antarktis, amerikanische Bohranlage Montgomery-Alpha
Alex war wieder bei Kräften, wenn auch nicht gründlich ausgeruht, und fand das Sweatshirt seines Vaters viel zu eng, wohingegen ihm die legere Jogginghose genau richtig vorkam. Seine Finger und Zehen kitzelten, während sich die gefütterten Pantoffeln anfühlten wie kleine Geschenke des Himmels. Als er Marcus’ Kommandozentrale wieder betrat, bekam er plötzlich ein erdrückend schlechtes Gewissen. Tony. Der Körper seines Freundes – gebrochen und zerfetzt – lag noch immer dort draußen, ein paar Meilen weiter östlich, und dass sie ihn nicht bergen würden, stand mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, also würde diese Eiswüste auf ewig sein Grab bleiben.
Die Stimme seines Vaters riss ihn aus seinen trostlosen Gedanken: »Alex, nimm Platz und bring dir einen Kaffee mit, wenn du willst, er steht gleich dort in der Ecke.«
Alex trottete darauf zu, blieb aber auf halbem Weg wieder stehen. Das Fenster und die Betriebsamkeit draußen zogen seinen Blick an – gleißende Scheinwerfer, die Kräne auf Hochtouren, Männer, die hin- und herliefen, um Kisten zu sichern und zwei schwere Schneefahrzeuge mit einem Flachbettauflieger zu verkuppeln, der mit dicken Ketten und Geschirren ausgestattet war.
»Ist darauf denn genug Platz?«, fragte Alex.
»Soviel man mir gesagt hat, ja.« Marcus stand auf, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und ging ebenfalls zum Fenster. Er trug nun etwas weniger förmliche Kleidung. Eine Sportjacke aus dunklem Tweed und einen weißen Rollkragenpullover, dazu eine Kakihose und ein Paar Stiefel aus Krokodilleder. Alex konnte sich nicht daran erinnern, sie je an ihm gesehen zu haben, aber natürlich war es lange her, seit er zuletzt Zeit mit seinem Vater verbracht, geschweige denn bemerkt hatte, welche Schuhe der Mann bevorzugte. Wenn Marcus Ramirez seinen Sohn und seine Frau nicht bewusst ignorierte, erging er sich darin, wissenschaftliche Essays zu