Goodbye, Bukarest. Astrid Seeberger

Goodbye, Bukarest - Astrid Seeberger


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gab. Allein schon deshalb, weil sie alles mit ihnen teilte.

      Sie gewann ihn für sich. Wurde seine Frossjenka. Während er immer öfter wütend auf seine Mutter wurde. Sie blieb weiter niedergeschlagen, obwohl es der Komarowa gelungen war, ihr Arbeit in einer Druckerei zu beschaffen. Vielleicht verstand seine Mutter, was er fühlte. Denn manchmal warf sie ihm einen Blick zu, als wäre sie ans Ende der Welt geraten, während er sich mitten in der Welt befand. Vielleicht gab sie deshalb alle Versuche auf, mit ihm Deutsch zu sprechen.

      Ihm war es egal. Wo er doch Frossjenka hatte und Sascha, der sein bester Freund geworden war, ein schmaler, aufgeweckter Junge mit hellbrauner Igelfrisur und hitzigem Temperament. Sie hatten vieles gemeinsam: tote Väter, schweigende Mütter und Modellflugzeuge.

      Manchmal gingen sie mit ihren Flugmodellen zu den Leninbergen. Wenn es Aufwind gab, flogen die Flugzeuge weit, über die Häuser weg, über den Fluss, vielleicht sogar bis nach Sibirien. Und Dmitri und Sascha rannten den Berg hinunter, mit ausgebreiteten Armen, als könnten sie jeden Augenblick selbst abheben.

      Es ist merkwürdig, sagte Grünhoff, wie das Erinnern funktioniert. Vieles vergisst man. Doch was man noch weiß, ist fest im Gedächtnis geblieben, in allen Einzelheiten. Wie, als er eines Morgens ins Bad gekommen war und die Sonne durch das kleine Fenster schien. Sie beschien die Strümpfe der Mutter und die der Komarowa, die auf einer Leine über der Wanne hingen, lange, dünne beigefarbene Baumwollstrümpfe, die aussahen, als leuchteten sie von selbst. Und in ihm breitete sich etwas aus, ein intensives Glücksgefühl: Er hatte zwei Mütter und einen Freund, mit dem er sein Leben lang zusammenbleiben würde. Und für die Rote Armee lief es gut, Hitlers Wehrmacht aber war auf dem Rückzug. Er kam nicht einmal auf den Gedanken, dass auch das Glück sich zurückziehen konnte.

      Es war an einem sonnigen Apriltag 1944. Sascha und er lagen auf den Leninbergen im Gras. Sein Freund hatte ihm ein Bild der amerikanischen Golden Gate Bridge gezeigt. Und sie hatten beschlossen, Brückenbauer zu werden. Sie würden die größte und schönste Brücke bauen, die es gab. Und dann mit ihrem eigenen Flugzeug darüberfliegen. Als er nach Hause kam, wartete die Komarowa auf ihn. Als er ihr Gesicht sah, verflog seine Hochstimmung sofort.

      Sie wollte, dass sie sich zusammen aufs Sofa im Zimmer mit dem Stalin-Bild setzten. Als sie eine Zigarette aus dem Etui zog, sah er, dass ihr die Hände zitterten. Dann rauchte sie, als könnte jeder Zug ihr Leben retten. Er musste auf seine Hände schauen, um nicht in Panik zu geraten. Sie waren kleiner als ihre, die Hände eines Zwölfjährigen, mit Schmutz unter einem Daumennagel.

      Er versuchte, den Schmutz zu entfernen. Das war besser, als dem zuzuhören, was sie sagte: dass seine Mutter in die Lubjanka gebracht worden war, das Hauptquartier des KGB am Dserschinski-Platz. Er wusste, wer dort hinkam: Konterrevolutionäre, die ins Netz der Geheimpolizei geraten waren und die hinterher bestenfalls in Sibirien landeten, manche aber verschwanden auf der Stelle vom Erdboden. Er konnte nur schwer atmen, der Hals wurde ihm plötzlich eng. Vielleicht ging es der Komarowa genauso. Es klang, als würden ihre Stimmbänder zusammengepresst, als sie sagte, er solle es wie ein Bolschewik nehmen. Er wusste, dass ein Bolschewik nicht weinte. Das Weinen aber kam doch, als die Komarowa ihn in die Arme nahm.

      Hätte es Frossjenka nicht gegeben, wäre er völlig allein gewesen. Von der Familie des Vaters, die in Leningrad lebte, hatten sie nicht das geringste Lebenszeichen erhalten, selbst dann nicht, als die Stadt nach neunhundert Tagen Belagerung durch die Hitler-Wehrmacht befreit worden war. Vermutlich waren sie wie Hunderttausende anderer verhungert. Und die Familie der Mutter konnte er vergessen, sie gehörte der Feindesseite an. Frossjenka aber war da. Sie war seine zweite Mutter. Solange es sie gab, brauchte er sich vor nichts zu fürchten.

      Vielleicht versuchte sie, ihre eigene Haut zu retten. Als sie ihn am nächsten Tag holten, griff sie nicht ein. Als er versuchte, sich an ihr festzuklammern, riss sie sich los und verschwand in ihr Zimmer. Und sie kam nicht heraus, obgleich sie seine verzweifelten Rufe gehört haben musste. Er schrie immer wieder ihren Namen, während man ihn wegschleppte. Erst viel später war ihm der Gedanke gekommen, dass sie vielleicht selber verzweifelt war. Wie soll man sich von jemandem trennen können, dessen Frossjenka man zwei Jahre lang gewesen war?

      An die Zeit, die folgte, erinnerte er sich nur wenig, lediglich Fragmente waren geblieben: dass der Mann, der ihn verhörte, einen blitzenden Goldzahn hatte. Und dass die Zelle, in der er saß, eng und dunkel war. Und dass Schreie zu hören waren, die durch alle Wände drangen. Vielleicht stimmte es ja, was sie sagten: dass er eingestanden hatte, seiner Mutter bei ihrer antisowjetischen Agitation geholfen zu haben. Er erinnerte sich nicht. Auch nicht an die Fahrt nach Sibirien, zur Arbeitskolonie für Kinder. Nur daran, dass er geglaubt hatte ersticken zu müssen, als er, zusammengepfercht mit anderen Kindern, im Güterwaggon saß.

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      Grünhoff verstummte. Er strich mit den Fingern über die Tischfläche, während sich sein Blick in der Ferne zu verlieren schien. So habe er nie zuvor gedacht, sagte er, aber jetzt, wo ich vor ihm sitze, mit dem Wunsch, etwas über Bruno zu hören …

      Da war ihm der Gedanke gekommen, dass Bruno, als er selbst dort im Güterwaggon saß, unterwegs nach Sibirien, noch immer als Pilot in Hitlers Wehrmacht diente. Während er dort eingesperrt saß, flog Bruno im großen, freien Luftraum umher. Hätte eine Rakete der Stalinorgeln nicht sein Flugzeug getroffen, wären sie sich nie begegnet.

      Die Sonne war hinter den Kirschbaum gesunken. Der erstrahlte in vollem Glanz. Grünhoff aber sah es nicht. Man konnte glauben, er sitze noch immer in jenem Waggon. Er wirkte plötzlich ungemein müde. Ich fragte, ob er eine Pause einlegen wolle. Das wäre gut, sagte er. Könnte ich nicht morgen wiederkommen?

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