Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht. Marie Brennan

Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht - Marie  Brennan


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kleines Treffen mit einem Gelehrten auf Besuch erwartet, und stattdessen bekamen sie eine Konfrontation mit einem Pack schrecklicher Fanatiker.

      Ich schätze, es herrschte ein gewisses Gleichgewicht, und unsere Ankunft brachte es ins Wanken – weil Hallman mich natürlich erkannte. Das gab ihm frischen Wind in die Segel, ganz zu schweigen von denen der Menge. Lord Gleinleigh rief mir zu, ich solle wieder in den Motorwagen steigen – als hätte ich untätig herumsitzen können! Ich marschierte vorwärts, ehe er darauf kommen konnte, mich mit Gewalt wieder hinein zu verfrachten, und ging dort hinüber, wo der Ärger brodelte.

      Ist dir je aufgefallen, wie grauenhaft dieser Kerl Hallman aussieht? Nein, warte – ich glaube nicht, dass du ihn je selbst gesehen hast, weil du auf See warst, als ich ihn kennengelernt habe. Ich meine nicht, dass er hässlich ist. Es gibt sehr viele Leute mit hässlichen Gesichtern, die völlig angenehm anzusehen sind. Nein, Zachary Hallman könnte auf eine raue Art ziemlich gut aussehend sein, wenn es nicht um die Bösartigkeit wäre, die sich über jede Falte auf seinem Gesicht gelegt hat. Er trat vor und … Tja, ich werde nicht aufschreiben, wie er mich genannt hat, weil ich nicht will, dass du verhaftet wirst, weil du ihn angreifst. Es kümmert mich nicht im Geringsten, was er über mich sagt, aber du hast eine väterliche Verpflichtung, stinkwütend auf jeden zu sein, der deine Tochter beleidigt.

       »Ja, das bin ich«, sagte ich in meinem besten Tonfall von frecher Unbekümmertheit. »Wenn Sie mich entschuldigen, ich habe da drinnen einen Freund, der dringend andernorts gebraucht wird.«

      Lord Gleinleigh versuchte, sich seinen Weg vor mich frei zu rempeln und etwas zu sagen, aber ich duckte mich geschickt um ihn herum. Hallman wählte inzwischen drei Bezeichnungen aus, um Kudshayn zu beschreiben, keine davon schmeichelhaft. Dann sagte er: »Wir wissen, was man mit Kreaturen wie Ihrem Freund macht. Lassen Sie uns sehen, wie es denen gefällt, wenn wir sie als Opfer an ihren heidnischen Sonnengott verbrennen!«

       »Erzählen Sie mir nicht, dass Sie diesen Blödsinn über jene Säulen glauben, die genutzt wurden, um Menschen bei lebendigem Leib zu verbrennen«, sagte ich mit all der Verachtung, die ich aufbringen konnte, weil ich hoffte, dass diese das plötzliche Aufwallen von Angst, dass sie vorhatten, das Gebäude in Brand zu setzen, übertünchen würde. »Selbst wenn die Anevrai das getan hätten – was unter glaubwürdigen Forschern sehr bezweifelt wird –, halten moderne Drakoneer diesen Gedanken für entsetzlich. Sie ziehen einen guten Yakeintopf deutlich vor.«

       Es war jedenfalls etwas in die Richtung. Ich kann mich nicht genau erinnern, was ich gesagt habe, weil ich damit beschäftigt war zu versuchen, mir einen Ausweg aus dieser Pattsituation auszudenken. Die Hadamisten hatten alle die Hände oder Ellenbogen untergehakt, um eine Menschenkette zu bilden, wie eine erwachsene Version des Spiels »Land, Land, wir wollen Soldaten«. Sogar wenn ich es geschafft hätte, die Freundschaftsgesellschaft aufzustacheln, bezweifelte ich, ob wir ihre Reihe durchbrechen konnten. Und mittlerweile hatten wir einen ziemlichen Haufen Zuschauer, aber die schienen alle damit zufrieden zu sein, herumzustehen und miteinander zu tuscheln. Wenn ich doch nur zu Kudshayn hätte durchkommen können …

      Lord Gleinleigh hatte für den Moment den Versuch aufgegeben, Hallmans Aufmerksamkeit zu bekommen, und zischte mir stattdessen zu, dass ich aufhören sollte, närrisch zu sein, und zurück in Sicherheit gehen sollte. Aber dann kam mir eine Idee, und ich grinste Hallman an. »Armer Mann«, sagte ich, wobei mein Tonfall vor Unaufrichtigkeit triefte. »So von der Überlegenheit der Menschheit besessen … dennoch haben Sie nicht gelernt, in drei Dimensionen zu denken. Was nützt Ihre Blockade, wenn mein Freund einfach über Ihre Köpfe hinwegfliegen kann?« Und ich richtete meinen Blick nach oben, auf den Uhrturm über dem Gebäude.

      Sie fielen alle darauf herein, selbst der Graf. Natürlich war Kudshayn nicht aufs Dach geklettert. Du weißt ja, wie er ist. Er würde nie auch nur von etwas so Akrobatischem träumen. Aber Hallman wusste das nicht, und der Rest seiner Gefolgsleute genauso wenig, und so hatten sie alle einen Augenblick lang Panik, weil sie dachten, Kudshayn würde gleich wie der Zorn der Sonne auf sie herabstoßen.

      Genau dann stürmte ich auf ihre Reihe los.

      Ich wählte meine Ziele sehr sorgfältig: eine Frau mittleren Alters und einen hageren Kerl, der wahrscheinlich als Sekretär arbeitet. Du wärst stolz auf mich gewesen, Papa. Ich habe mich an mein Ju-Jutsu-Training erinnert. Natürlich bin ich furchtbar aus der Übung, also habe ich nicht versucht, über sie zu springen, aber ich habe mich direkt unter ihren Händen durchgerollt, während sie abgelenkt waren, so sauber, wie es nur geht, und ich dachte, dass alles genau so gelaufen sei, wie ich es geplant hatte.

      Nur dass ich auf meinen Rocksaum trat, als ich hochkam, weil ich mir eines meiner respektableren Kleider angezogen hatte, da ich nicht erwartet hatte, mich mit hadamistischen Demonstranten befassen zu müssen. Er riss, und ich stolperte, und dann packte mich der Sekretär in etwas, das er wahrscheinlich für einen Schwitzkasten hielt. Also warf ich ihn über meine Hüfte, doch mittlerweile hatte Hallman bemerkt, was ich da tat, und brüllte, dass alle mich aufhalten sollten.

      Ich kann dir nicht wirklich erklären, wie ich auf dem Boden geendet bin – es ist alles etwas verschwommen. Ich tat mein Bestes, um mich zusammenzurollen, wie ich es gelernt habe, aber das hilft nur wenig, wenn ein halbes Dutzend Leute einen angreifen. Ich wäre k. o. gegangen, wenn die Freundschaftsgesellschaft nicht eingeschritten wäre.

      Meine Hand auf die Sonne, ich hatte absolut nicht vor, einen Krawall anzuzetteln. Der Plan war, dass ich ins Gebäude gelangen und Kudshayn meine Idee erläutern würde, über den Uhrturm zu entkommen. Er ist hoch genug, dass er einen guten, langen Gleitflug geschafft hätte, und ich dachte, er könnte mich entweder tragen, oder falls er glauben sollte, dass das seine Flügel zu sehr belasten würde, mich im Gebäude zurücklassen, während Lord Gleinleigh und er davonkommen würden. Das Warten hätte mich nicht gestört. Aber stattdessen stolperte ich über meinen Rock und wurde ausgebremst, und dann beschloss irgendein ritterliches Mitglied der Freundschaftsgesellschaft, dass er nicht danebenstehen und zusehen konnte, wie eine hilflose junge Dame ganz unten in einem Menschenhaufen endet, und, tja … die Sache geriet etwas außer Kontrolle.

      Aber zumindest bedeutete das, dass ich es schaffte, mir krabbelnd meinen Weg aus diesem ganzen Chaos zu bahnen (wobei ich einen schockierenden Anteil meines Rocks zurückließ) und auf die Tür zu zu taumeln, woraufhin sich diese lang genug öffnete, dass sich ein Paar klauenbewehrter Hände herausstrecken und mich nach drinnen zerren konnte.

       Natürlich war es Kudshayn. Sobald ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, warf ich meine Arme um ihn und rief: »Dank der Sonne, dass du in Sicherheit bist!«

       Er befreite sich von mir und bemerkte: »Deine Nase ist gebrochen.«

      (Sie war nur ein bisschen gebrochen. Aber keine Sorge: Lord Gleinleigh ließ ohnehin seinen Leibarzt auf mich schauen, also werde ich, sobald die Schwellung und blauen Flecken weg sind, meine Heiratsaussichten überhaupt nicht beschädigt haben. Sofern welche bestehen.)

       Ich tastete sie behutsam ab – aber, wie sich herausstellte, nicht behutsam genug. Gebrochene Nasen tun arg weh! Meine Stimme war so belegt, als hätte ich eine furchtbare Erkältung. »Ich bin gekommen, um dich hier rauszuholen.«

       Kudshayn warf einen Blick an mir vorbei auf das Chaos, das durch das kleine Fenster in der Tür zu sehen war. »Ich verstehe … was schlägst du vor, wie das zu schaffen ist?«

      Ehe ich das mit dem Dach erklären konnte, fing der Stationsleiter an, mit den Armen zu winken und darauf zu beharren, dass wir sofort weggehen sollten – fuhr fort, zu winken und zu beharren, sollte ich sagen, weil ich den deutlichen Eindruck hatte, dass er das schon getan hatte, seit die Probleme begonnen hatten. Er hatte offensichtlich nie im Leben einen leibhaftigen Drakoneer vor sich gehabt und war mehr als nur ein wenig nervös, als ihm eine zwei Meter große, humanoide Drachenkreatur gegenüberstand, deren Schwingen, obwohl sie höflich gefaltet waren, ständig gegen die Bänke in der dicht vollgestellten Halle rumpelten. Im Vergleich dazu zählte eine halberiganische junge Frau, aus deren Nase Blut strömte, als


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