INSEL DER URZEIT. Rick Poldark
zusammengerollte T-Shirts in ihren Koffer. »Ich habe eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben müssen, deshalb kann ich es dir wirklich nicht sagen.«
»Eine Geheimhaltungsvereinbarung? Kommt der Auftrag von der Regierung?«
»Auch dazu darf ich eigentlich nichts sagen. Aber nein, mit der Regierung hat es nichts zu tun.«
»Mary, worauf lässt du dich da gerade ein?«
»Das kann ich dir nicht sagen, aber das Ganze ist wirklich gut bezahlt. Sehr gut bezahlt.«
»Ist deine Uni denn damit einverstanden?«
Mary stopfte jetzt Socken in ihr Gepäck. »Ist sie. Ich habe die volle Unterstützung meines Dekans.«
»Was ist mit diesem netten jungen Professor? Ich dachte, du hättest eine Beziehung mit ihm.«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Mary, du wirst auch nicht jünger. Du bist doch so ein kluges Mädchen. Du musst endlich einen netten Mann in dein Leben lassen. Deine Schwester hat jemanden getroffen, der sehr nett ist …«
»Mom, meine Schwester und ich könnten kaum unterschiedlicher sein. Fran ist immer zu Hause geblieben und hat nichts aus ihrem Leben gemacht.«
Es war also mal wieder eines dieser Gespräche. Es genügte offenbar nicht, dass Mary sich einen Doktortitel erarbeitet und eine Tenure-Track-Position an einer großen Universität errungen hatte. Ihre Mutter hatte nämlich eine Checkliste, auf der ganz andere Punkte standen. Diese drehten sich darum, dass Mary einen netten, jungen Kollegen kennenlernen und sesshaft werden würde, dann sollte sie heiraten und ein paar Kinderchen in die Welt setzen. Was ihre Mutter einfach nicht verstehen wollte, war, dass dies automatisch das Ende ihrer Karriere bedeuten würde, für die sie so lange und so hart gekämpft hatte.
»Mary, du sollst nicht so schlecht über deine Schwester reden. Sie hat alles richtig gemacht.«
»Mom, ich kann jetzt nicht weiter mit dir telefonieren. Ich wollte dir nur kurz Bescheid sagen, dass ich für eine Weile nicht erreichbar sein werde und du dir keine Sorgen machen brauchst.«
»Ich will doch nur, dass du ein gutes Leben hast, mein Liebes.«
»Ich habe ein gutes Leben, Mom. Ich muss jetzt los, sonst verpasse ich meinen Flug.«
»Pass auf dich auf.«
»Das mache ich doch immer. Hab dich lieb. Bye!« Sie beendete den Anruf hastig. Die Gespräche mit ihr wurden immer nerviger und anstrengender. Offenbar dachte ihre Mutter, ihre unaufhörliche Nörgelei würde sie irgendwie nachgiebiger machen. Jetzt war ihr bewusst, was ihr Vater all die Jahre hatte ertragen müssen.
Doch sie war fest entschlossen, sich ihr neues, aufregendes Abenteuer nicht madig machen zu lassen … dessen kleiner Bonus nebenbei darin bestand, dass sie von den anmaßenden Erwartungen ihrer Mutter für eine Weile verschont blieb. Wenn diese nur den Scheck und die Summe darauf hätte sehen können, die jetzt ihr Sparkonto füllte, würde sie vielleicht anders über das Leben ihrer Tochter urteilen.
David Lennox war ihr von den Galapagos-Inseln über das Mindo-Tal an den Westhängen der Anden in Ecuador zur Tiputini-Biodiversity-Forschungsstation im ecuadorianischen Amazonasgebiet hinterhergeeilt und hatte sie schließlich auf dem Rückweg zu den Galapagos-Inseln abgefangen. Jetzt war sie hier und flog in Kürze nach Vietnam, wo ein Hubschrauber sie zu einer der Offshore-Ölplattformen von Vietnam Petrocorps bringen würde. Dort würde ein weiterer Hubschrauber bereitstehen, um sie zu einer unerforschten Insel zu bringen, auf der sie Tierarten katalogisieren sollte, die offenbar für sehr lange Zeit in absoluter geografischer Isolation existiert hatten.
Das war schon immer ihr Leben gewesen … ständig unterwegs von einem Ort zum anderen … und jetzt deutete alles auf einen ganz besonderen Auftrag hin. Poseidon Tech hatte eine beträchtliche Summe an die California State University gespendet, woraufhin sie ohne Probleme von ihren Lehrverpflichtungen entbunden worden war, damit sie an dieser Expedition teilnehmen konnte. Offenbar war diese Sache äußerst dringend.
Ihr Telefon klingelte. »Hallo? Ja, klar… ich bin gleich unten.«
Ihr Fahrer wartete bereits auf sie. Sie zog schnell den Reißverschluss ihres Koffers zu und rollte ihn durch den Raum. Als sie die Tür öffnete, stand plötzlich Lyle im Hausflur. Er trug sein übliches enges schwarzes T-Shirt mit dem V-Ausschnitt. Sein Bizeps spannte die Ärmel. Das T-Shirt schmiegte sich so eng an seinen Oberkörper, dass sie darunter ein echtes Sixpack erkennen konnte.
Als er Mary sah, leuchtete sein Gesicht sofort auf. Er biss sich auf die Unterlippe. »Hi, Mary.«
»Ich habe leider gerade überhaupt keine Zeit, Lyle. Ich muss mich beeilen, sonst verpasse ich meinen Flug.«
»Ich wollte mich nur von dir verabschieden.«
Ihr gelang ein höfliches Lächeln. »Dann mach's gut, Lyle. Viel Glück.«
Er nickte, aber das war anscheinend noch nicht alles gewesen. Es gab offensichtlich noch etwas, was er zu sagen hatte. Seine Augen verrieten es. »Ich würde mich freuen, wenn wir uns wiedersehen könnten, wenn du zurück bist.«
»Ich weiß gar nicht, wie lange ich weg sein werde.«
»Das ist egal. Ich werde auf dich warten.«
Mary runzelte die Stirn. Sie hatte versucht, ihm subtile Hinweise zu geben, und als das nicht funktioniert hatte, weniger subtile. Doch Lyle war entweder störrisch oder einfach nur extrem schwer von Begriff. Sie umarmte ihn kurz. »Pass auf dich auf, Lyle. Ich wünsche dir ein großartiges Leben und alles Gute.«
Er umarmte sie zurück, aber es fühlte sich merkwürdig an. Er trat beiseite und ließ sie vorbeigehen.
Als sie über den Hotelflur zur Lobby ging, konnte sie nicht anders, als sich ein wenig schuldig zu fühlen. Es hatte durchaus Spaß gemacht, mit ihm Zeit zu verbringen, aber ihre Karriere ließ etwas Permanentes im Moment einfach nicht zu. Was sie aber vollkommen in Ordnung fand. Sie wollte alles genau so, wie es jetzt war.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.