INSEL DER URZEIT. Rick Poldark

INSEL DER URZEIT - Rick Poldark


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»Komm, so schlimm ist es nun auch wieder nicht.«

      Peter hob eine Augenbraue. »Nicht so schlimm? Wir sind schuld daran, dass ihre Kinder, ihr Stolz und ihre Freude, ihr allerliebstes Herzblut, bald als Doktoren der Paläontologe in die Welt hinausziehen.«

      Tracey hakte sich bei ihm unter. »Bleib einfach bei mir, dann wirst du gut klarkommen. Lass uns unsere frischgebackenen Absolventen verabschieden.«

      Peter, der bei Traceys Geste ein wenig errötet war, ließ sich von ihr mitten in die Menge führen. Sein Gesicht glühte, was zum Teil von der körperlichen Nähe zu Tracey kam, vor allem aber davon, dass er sich Schulter an Schulter und durch enge Türen hindurch vorwärts geschoben, wie Vieh fühlte, das zur Schlachtbank geführt wurde. Er fragte sich, warum es immer wieder Menschen gab, die offenbar nicht in der Lage waren, ein Deo korrekt anzuwenden.

      Es war nicht so, dass Peter nicht Lebewohl zu seinen Studenten sagen wollte. Er liebte sie, und er liebte es, sie zu unterrichten. Problematisch waren nur die Eltern, die nicht so recht wussten, was sie über ihr erwachsenes Kind sagen sollten, das es mit der eher exotischen Qualifikation als Paläontologe schwer haben würde, einen anständig bezahlten Job zu finden. Er fühlte sich dann immer beinahe schuldig. Glücklicherweise gab es in diesem Jahrgang nur vierzehn Absolventen. Angefangen hatten sie mit siebzehn, aber drei von ihnen hatten das Promotionsstudium abgebrochen; einer nach dem Ende des ersten Jahres und die anderen beiden nach dem Zwischenexamen.

      Sie betraten nun den Saal, der voller Absolventen, ihren Familien und den Dozenten von den verschiedenen Fakultäten war. Sein Plan war eigentlich gewesen, sich eine ruhige Ecke zu suchen und sich von denen, die ihn kannten, finden zu lassen, doch Tracey hatte offenbar andere Vorstellungen.

      Sie packte ihn wieder am Arm. »Na los. Lass uns sie suchen.«

      Es hatte keinen Sinn, dagegenzuhalten, also ließ sich Peter mit Lämmergeduld durch den Raum ziehen.

      Tracey zeigte nach rechts. »Schau mal, da ist Lucy. Komm, wir gratulieren ihr.«

      Lucy lächelte, als sie die beiden näherkommen sah und ging ihnen entgegen. Im Schlepptau hatte sie ihre Eltern und einen gelangweilt wirkenden jüngeren Bruder, der es irgendwie schaffte, unbeschadet mit starrem nach unten auf sein Smartphone gerichteten Blick durch den überfüllten Raum zu laufen.

      »Herzlichen Glückwunsch, Lucy!«, sagte Tracey und umarmte sie strahlend.

      Die Begegnung zauberte ein breites Lächeln auf die Gesichter der Eltern. Der Bruder im Teenageralter sah kurz nach oben und widmete sich dann sofort wieder seinem Handy. Peter trat vor. »Herzlichen Glückwunsch, Lucy.«

      Diese lächelte und öffnete ihre Arme, um ihn zu drücken, aber Peter streckte stattdessen unbeholfen seine Hand aus. Dadurch touchierte er eine ihrer Brüste.

      Seine Hand zuckte zurück, als hätte sie etwas extrem Heißes berührt. »Hoppla! Das tut mir leid.«

      Jetzt war sie es, die ihre Hand ausstreckte und seine schüttelte. Das Lächeln ihres Vaters wirkte nun etwas weniger freundlich.

      »Mom und Dad … das sind Tracey und Peter. Peter hat meine Doktorarbeit betreut.«

      Lucys Vater streckte zuerst seine Hand aus und Peter schüttelte sie, dann gab er ihrer Mutter die Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. und Mrs. Gottesman.«

      Mrs. Gottesman zog ihre Schultern nach oben, während sie etwas zu sehr lächelte. Sie wirkte unsicher, und als ob sie nicht wüsste, was sie als Nächstes sagen sollte. »Lucy war für Monate wie besessen von ihrer Arbeit. Es scheint ein ziemlich anspruchsvolles und spannendes Projekt gewesen zu sein.«

      Peter nickte lächelnd. »Es war äußerst mutig von ihr, als Studienobjekt die Zahnanatomie von Theropoden zu wählen. Sie hat die Grundlage für ein leicht anwendbares System entwickelt, mit dessen Hilfe sich Fundstücke auf Basis der entsprechenden Taxonomie bezüglich der Gesamtkronenlänge, der Basenlänge und Breite, der Basisform, Apex-Position und der Größe der Kerbverzahnung einzelnen Spezies zuordnen lassen.«

      Mrs. Gottesmans Lächeln verblasste nun. Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich zu Verlegenheit, in das sich kurz darauf möglicherweise auch ein Hauch Antipathie mischte. Sie räusperte sich und legte ihren Arm um Lucy. »Wir sind sehr stolz auf sie.«

      »Ja«, fügte Mr. Gottesman hinzu. »Jetzt hat sie beste Aussichten auf einen Job als Zahnärztin für Dinosaurier.« Sein Tonfall war eher sarkastisch als humorvoll.

      Peter gelang es, für Lucy ein Lächeln hervorzubringen. »Meinen Glückwunsch. Du hast wirklich sehr hart dafür gearbeitet.«

      Tracey umarmte Lucy noch einmal. »Glückwunsch!«

      Die Gruppe trennte sich nun und Peter und Tracey liefen hierhin und dorthin, um sich ähnlichen Interaktionen mit den anderen Absolventen und ihren Familien zu stellen. Sie standen gerade bei den Eltern von Mark Baker, als Peter bemerkte, dass Petra Vasiliev allein und ziellos durch den Raum lief.

      Er wollte seinem derzeitigen Gespräch nicht unbedingt entfliehen, denn immerhin schien Marks Vater einigermaßen interessiert an dem ganzen Thema zu sein und zeigte sich begeistert über die Abschlussarbeit seines Sohnes. Aber zu sehen, wie Petra ganz allein und sichtlich verlegen die Menge durchstreifte, berührte ihn irgendwie, denn er wusste ganz genau, wie sie sich gerade fühlte.

      Peter legte eine Hand auf Traceys Schulter, wandte sich jedoch an Mark und seine Eltern als er sagte: »Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment.«

      Er eilte davon und ließ Tracey das Gespräch allein weiterführen. Zielstrebig bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Petra war groß und dünn, trug ein leichtes schwarzes Kleid und hohe Absätze und spielte nervös mit ihren rabenschwarzen Haaren. Sie schien sich äußerst unwohl in ihrer Haut zu fühlen, was ungewöhnlich für sie war.

      Als sie sah, wie Peter sich ihr näherte, schenkte sie ihm ein schelmisches Lächeln und zuckte mit den Schultern.

      »Herzlichen Glückwunsch«, brachte Peter hervor, ohne zu wissen, was er als Nächstes sagen sollte.

      »Danke.«

      Er sah sich um. »Wo sind denn deine Eltern?«

      »Sie konnten nicht kommen.«

      »Wirklich? Das tut mir leid.«

      »Kein Problem. So was passiert eben.«

      Peter hatte Mitleid mit ihr. Sie tat so, als ob es keine große Sache wäre, aber es war eine große Sache. Man bekam schließlich nicht jeden Tag eine Promotionsurkunde.

      Sie sah sich im Raum um. »Stört es dich, wenn wir für einen Moment rausgehen? Diese Masse von Menschen macht mich ganz verrückt.«

      Peter stimmte ihr absolut zu. Er sah sich über die Schulter nach Tracey um, die jedoch nicht zu sehen war. »Na klar, sicher. Lass uns rausgehen.«

      Während er Petra nach draußen folgte, fragte er sich, warum ihre Eltern nicht gekommen waren. Petra hatte nie viel von ihrer Familie erzählt. Sie war ihm ein Rätsel geblieben. Äußerlich sah sie aus wie ein Goth-Mädchen, aber unter der Oberfläche lag ein scharfer analytischer Verstand. Sie interessierte sich vor allem für das Raubtierverhalten der Tyrannosaurier, womit sie perfekt zu Peter passte – zumindest rein akademisch gesehen.

      Als sie draußen waren, holte Petra eine Zigarette hervor, die sie zwischen ihre Lippen steckte, und dann ein Feuerzeug. Sie entzündete eine Flamme, hielt sie an die Spitze ihrer Zigarette und schützte die entstehende Glut mit einer hohlen Hand, deren Fingernägel schwarz lackiert waren, vor dem Wind.

      Peter ließ seinen Blick über den Vorplatz schweifen. Er war fast leer, bis auf Einzelne, die dem Empfang offenbar frühzeitig den Rücken gekehrt hatten. Alle anderen waren noch im Saal. »Was hast du als Nächstes vor? Wirst du dir einen Job suchen?«

      »Nein, das hat noch Zeit.«

      »Was hast du dann vor?«

      »Ich weiß es noch nicht. Vielleicht reise ich nach Europa. Ich wollte immer schon nach Prag.«


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