INSEL DER URZEIT. Rick Poldark

INSEL DER URZEIT - Rick Poldark


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Bevor sie irgendetwas tun konnte, kam die Bestie direkt neben dem Teil des Flugzeugs zum Stehen, in dem sie sich befanden.

      Es sog die Luft über ihr in seine Nasenlöcher. Seine schwarzen und knopfrunden Waschbärenaugen, die im Schatten scharfer Schädelkämme versteckt waren, bewegten sich wachsam. Seine Zähne waren lang und scharf und schienen fast einen Fuß lang zu sein. Bill formte mit seinen Lippen stumm die Worte: Beweg. Dich. Nicht.

      Die Frau erstarrte mit bis zu den Ohren hochgezogenen Schultern, schluchzte aber leise. Ihr Körper zitterte und ihr regennasses Haar klebte in ihrem Gesicht. Sie biss die Zähne aufeinander und versuchte verzweifelt, aber vergeblich, einen leisen Schrei zu unterdrücken.

      Die Bestie beugte sich daraufhin sofort hinunter und stupste sie mit ihrer Schnauze an. Die vier Zoll langen Krallen an ihren kurzen Vorderbeinen gingen immer wieder auf und zu. Die Frau zuckte kurz zusammen und starrte dann wieder geradeaus, zitternd vor abgrundtiefer Angst und der Kälte des Regenwassers auf ihrer Haut. Aber sie blieb still stehen, während das Tier sie noch ein paar Mal anstupste und mit bebenden Nasenflügeln ihren Duft einsog.

       Oh, verdammt.

      Sie musste den Blick auf Bills Gesicht gesehen haben, denn sie duckte sich, bereit, loszurennen, als das Ding plötzlich seine Kiefer zuschnappen ließ. Ihr Blut spritzte auf die Sitze, und ihre Schreie wurden schnell durch die langen Zähne erstickt, die sich in ihren Brustkorb bohrten und ihre Lunge zerfetzten.

      Bill hatte nicht vor hierzubleiben und zum Nachtisch zu werden. Er sprang von seinem Sitz hoch, rollte sich zur linken Seite des Rumpfes, zog sich aus der Öffnung, die sein Fenster gewesen war, und ließ sich nach unten in den Matsch fallen. Dann rollte er sich unter die gerundete Kante des Rumpfes und versteckte sich dort.

      Er hörte knirschende Geräusche, als die arme Frau, die er mit seinem Ratschlag aus der Populärkultur zum Tode verurteilt hatte, verschlungen wurde. Der Rumpf sank ein wenig tiefer in den Schlamm, und er bewegte sich vorsichtig ein Stück zur Seite, um nicht darunter begraben zu werden. Das Biest musste das Wrack nun wieder mit seinem Fuß festhalten, und es drückte die Überreste des Flugzeuges mit seinem ganzen Gewicht nach unten. Suchte es etwa nach ihm?

      Das Grollen, Knurren und Schnüffeln wurde lauter, und der Rumpf wurde weiter nach unten gedrückt, als das Tier sein Maul in die Sitzreihen zwängte und zweifellos die nächsten Gänge seiner Mahlzeit auswählte.

      Bill wagte es nicht, auch nur den kleinen Finger zu bewegen, denn dieses Ding konnte wesentlich besser sehen, als ihm die Filme glauben gemacht hatten. Alles, was er jetzt tun konnte, war, versteckt im Schatten unter der Krümmung des Rumpfes zu warten, bis dieses Biest sich den Bauch vollgestopft hatte und weiterzog.

      Bian würde es nicht mehr zu ihrer Tochter schaffen, und er betete, dass er überlebte, um seine Frau und seine beiden Jungen wiedersehen zu können.

       Vier Wochen später

      David Lennox schlüpfte in das dunkle Auditorium und achtete darauf, die Tür leise hinter sich zu schließen, um die Präsentation nicht zu stören. Der Raum war zu etwa drei Vierteln gefüllt, was für ein Paläontologie-Symposium gar nicht schlecht war. Natürlich tat es dem Zuspruch der Studenten keinen Abbruch, dass es dabei um das Fressverhalten des Tyrannosaurus Rex ging. Er setzte sich auf einen Platz in der letzten Reihe und beobachtete mit großem Interesse das Podium.

      Ein kleiner Mann mit olivfarbener Haut und schwarzen Haaren war der Redner. Dr. Peter Albanese legte gerade die Ergebnisse verschiedener Ausgrabungen dar. Er klickte mit dem Presenter in seiner Hand und ließ mehrere Bilder und Texte auf einem großen Bildschirm hinter sich auftauchen. »… wie Sie sehen, wurden bei der überwiegenden Mehrheit der Grabungen einzelne Tyrannosaurus-Skelette neben mehreren Triceratops-Skeletten gefunden. Die Triceratops-Knochen weisen grundsätzlich Spuren von Traumata auf, die zu der Zahngröße eines Tyrannosaurus passen. Ein Tyrannosaurus-Fund hat sogar teilweise verdaute Triceratops-Knochen enthalten.«

      Auf der anderen Seite des Podiums stand eine junge Frau, die offenbar auf ihren Einsatz wartete. Sie hatte rote Haare, helle Haut und war attraktiv. David wusste, dass es sich dabei um Dr. Tracey Moran handelte.

      Dr. Albanese drückte jetzt erneut auf den Presenter und auf dem Bildschirm hinter ihm erschien eine Aufzählung von Schlussfolgerungen. »Wie die meisten Jäger hat der Tyrannosaurus ein signifikantes Leistungsdifferenzial bevorzugt und deshalb nur erheblich schwächere Beutetiere gejagt, um den zur Nahrungsaufnahme nötigen Aufwand möglichst gering halten zu können.

      Wenn Sie sich die Schädelanatomie genauer anschauen, sehen sie die nach vorn gerichteten Augen, was bedeutet, dass sich die Sichtfelder beider Augen überlappen. Perimetrie-Studien geben die Überlappung im binokularen Bereich bei etwa fünfundfünfzig Grad an. Das ist überaus bemerkenswert, denn das bedeutet, dass die Fernsicht eines Tyrannosaurus besser gewesen ist als die eines Falken. Tatsächlich scheinen die Theropoden über Sehfähigkeiten verfügt zu haben, die denen vieler moderner Greifvögel ähneln.«

      Dr. Moran übernahm jetzt. »Wenn wir zu den Fundstücken zurückkommen, erkennen wir auf den Knochenfragmenten des Hadrosauriers von der jüngsten Grabung Einkerbungen, die vermutlich auf Traumata durch Zähne eines Tyrannosaurus zurückzuführen sind. Zu erkennen sind auch Spuren eines Heilungsprozesses, was bedeutet, dass der Hadrosaurier den Angriff überlebt und sich wieder erholt hat. Wären die Tyrannosaurus Aasfresser gewesen, würden wir keine Anzeichen von Heilungsprozessen finden, sondern nur Markierungen von Traumata.«

      Sie klickte mit dem Presenter, und auf dem Bildschirm erschienen nun Darstellungen einer weiteren Ausgrabung. »Es gibt jedoch immer eine Ausgrabung, die dem Trend entgegenläuft und alle bisherigen Erkenntnisse infrage stellt. Bei dieser speziellen Ausgrabung hat man eine Ansammlung von Skeletten gefunden, die so gruppiert waren, dass ihr Tod zeitgleich aufgrund eines einzelnen Ereignisses wie beispielsweise einer Flut eingetreten sein muss. Jedes dieser Skelette, ob groß oder klein, weist Bissspuren von Tyrannosaurus auf, ohne jegliche Anzeichen von Heilung. Hier sind offenbar die Kadaver gefressen worden. Mit anderen Worten, das Verhalten eines klassischen Aasfressers. Was bedeutet, dass Tyrannosaurus wahrscheinlich sowohl Jäger als auch Aasfresser waren.«

      Dr. Albanese übernahm die Präsentation jetzt wieder. »Es gibt etliche Mythen über Tyrannosaurier, die durch die Populärkultur, vor allem durch Hollywood, propagiert wurden. Am bekanntesten ist vielleicht in einem sehr beliebten Film eine Darstellung, die vermittelt, dass die Sehfähigkeit von Tyrannosaurus auf Bewegungen basierte. Mehrere Studien deuten jedoch darauf hin, dass sein Sehvermögen bis zu dreizehnmal präziser war als das eines Menschen, vor allem was die Fernsicht betrifft, wobei wir hier von bis zu fünf oder sechs Kilometern Sichtweite ausgehen. Die Tiere haben ihre Beute also entdeckt, egal ob sie sich bewegt hat oder nicht.«

      »Vergessen wir nicht ihren massiven Riechkolben«, fügte Dr. Moran hinzu, was bei den Studenten einige Lacher hervorrief. »Sie verfügten also auch über einen mehr als ausreichenden Geruchssinn.«

      Dr. Albanese grinste. »Es gibt in diesem Film auch noch diese Szene, in der ein Tyrannosaurier ein Auto jagt … dabei war es für einen Dinosaurier wie ihn keine sehr gute Idee, schnell zu rennen, denn aufgrund seiner winzigen Vorderbeine wäre er wahrscheinlich nicht wieder hochgekommen, wenn er bei der Jagd gestürzt wäre. Viel wahrscheinlicher ist es also, dass der Tyrannosaurus seine Beute nicht durch die Jagd mit hoher Geschwindigkeit überwältigt hat. Stattdessen war er ein schwerfälliger Riese mit kräftigen Beinen und Kiefern, die dazu geeignet waren, Fleisch von Knochen zu reißen.«

      Dr. Albanese und Dr. Moran trugen ihre Liste von Mythen über den T. Rex weiter vor und erhielten am Ende ihres Vortrags begeisterten Applaus. Es gab noch eine kurze Frage- und Antwortrunde, während der David geduldig wartete. Es wurden Fragen über die Vokalisation bei geschlossenem Maul gestellt, was es dem T. Rex ermöglicht haben konnte, ein Knurren oder Grollen auf niedriger Tonhöhe zu emittieren, ohne dabei sein Maul öffnen zu müssen. Als die Präsentation vorüber war, gelang es Peter, von der Bühne zu entkommen, Tracey war allerdings noch umgeben von einer Schar sie bewundernder Studenten und Gäste.

      David entschied, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und sich vorzustellen. Er ging


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