H'mong. Gebhard Friebel

H'mong - Gebhard Friebel


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      Beide H’mong schossen gleichzeitig. Der LKW schlingerte mit zerschossenen Vorderreifen in die rechts ansteigende Böschung. Mit unveränderter Geschwindigkeit raste er wieder auf die Strasse zurück.

      Er überquerte sie schleudernd und sauste auf die Leitplanke zu, welche die Strasse vom Abgrund trennte. Er durchbrach sie mit einem dumpfen Knall und verschwand im steil abfallenden Busch.

      Die Insassen des Busses stiegen aus. Sie schauten gebannt in die Tiefe. Der Hang fiel zweihundert Meter fast senkrecht abwärts.

      Der LKW polterte sich überschlagend den Steilhang hinab. Zweimal prallte er auf Felsen auf und riss grosse Gesteinsbrocken mit sich. Infernaler Lärm begleitete eine abwärts donnernde Steinlawine. Mit einer dumpfen Explosion schlug der LKW in einen schmalen Fluss, der die Talsohle durchschnitt. Um ihn herum prasselten Felsbrocken nieder.

      Wütendes Affengeschrei vermischte sich mit dem empörten Kreischen aufflatternder Vögel.

      *****

      Chris atmete durch.

      „Was machen wir jetzt?“ fragte er Ler.

      „Muang Palxxan können wir vergessen. Dieser miese Verräter hat sicher preisgegeben, wo wir die Grenze überqueren wollten. Wir sollten es bei Ban Simano versuchen. Das liegt ungefähr zwanzig Kilometer weiter nördlich. Es wird uns zwar zwei oder drei Stunden kosten. Aber wenn wir den Weg von Norden über Vientiane nehmen, ist es sicherer für uns.“

      „Ich kenne mich hier nicht aus.“

      „Das ist kein großes Problem. Früher war ich hier öfter unterwegs.“

      „Schau im Handschuhfach nach, vielleicht ist da eine Karte.“

      Ler fand eine Straßenkarte, die er aufmerksam studierte. „Viel verändert hat sich hier nicht. In ungefähr einer Stunde werden wir in Don Noun sein. Wir biegen in Richtung Vientiane ab, und verlassen zehn Kilometer vor der Stadt die A 13 in Richtung Dongphusy und Ban Simano. Dann sind wir am Fluss.“ Er blickte hoch. „Dort kann Dein Onkel uns abholen. Er muss auf dem Fluss zehn Kilometer weiter westlich fahren.“

      „Na dann los.“ Chris fuhr vorsichtig an. „Ist Dir klar, dass wir vorhin wahnsinniges Glück hatten. Seit wann wusstest Du, dass Lia Thao uns verraten hat?“

      „Es war reiner Zufall. Als ich von der Toilette kam, war er schon zurück. Er telefonierte und sah mich nicht kommen. Ich hörte, wie er sagte: ‚Ja, elf H’mong und ein Weißer.’ Als er mich erblickte, erschrak er und verstummte.“

      Chris schüttelte den Kopf. „So ein Schwein!“

      „Ich war mir noch nicht sicher. Als der erste Soldat zu Boden ging, hat er den zweiten Soldaten gewarnt. Jetzt war es klar. Bevor ich ihn tötete, habe ich ihn gefragt: ‚Warum?’ Er hat es für Geld getan. Er hat seinen Stamm verraten. Die Geister werden zornig sein. Sehr zornig!“

      *****

      In einem kleinen Wald hielt Chris an der Straßenseite. „Machen wir eine kurze Pause. Du solltest weiterfahren. Ein Weißer, der einen Bus voller Asiaten fährt, ist auffällig. Wir sollten versuchen, andere Nummernschilder zu bekommen. Vielleicht fahndet man nach uns.“

      Die Landschaft wurde eben. Bis zum Horizont erstreckten sich lang gezogene Reisfelder. Rechts und links der Straße standen vereinzelt Häuser.

      Chris schaute auf seine Uhr. „Wann kommen wir nach Vientiane?“

      „Wir sind in Vientiane. Wenn Du ein Stadtzentrum mit Hochhäusern wie in westlichen Hauptstädten erwartest, wirst Du enttäuscht sein. Im Zentrum gibt es kaum Häuser mit mehr als fünf Stockwerken. Hochhäuser wirst Du vergeblich suchen. Auch mitten in der Stadt haben viele Viertel ihren ländlichen Charakter bewahrt.“

      Ler bog an der nächsten Kreuzung in Richtung Dongphusy ab. Rechts sahen sie ein großes Einkaufszentrum.

      „Fahr bitte langsam um dieses Gebäude herum. Wir suchen eine Tiefgarage,“ bat ihn Chris.

      Auf der Rückseite führte sie eine steile Abfahrt unter die riesige Shopping-Mall. Ein uniformierter Wächter salutierte und reichte durch das offene Fenster ein Parkticket.

      Chris dirigierte Ler zu einen ruhigen Parkplatz neben einem anderen Minibus; weit entfernt von Ein- und Ausfahrt.

      Chris stieg aus. „Wartet hier. Ich bin gleich zurück.“

      Er fuhr mit dem Aufzug nach oben. Zehn Minuten später kam er mit einem Schraubenzieher und einer Zange zurück.

      Er schraubte von beiden Minibussen die vorderen und hinteren Nummernschilder ab und vertauschte sie.

      Als er das zweite Schild an Lia Thao’s Bus fixiert hatte, hörte er hinter sich das Geräusch von Stiefeln.

      Ein Wächter kam auf ihn zu. Er sah in den Bus und betrachtet die zerschossene Heckscheibe. Er stellte sich breitbeinig vor Chris. Mit einem Handzeichen forderte er ihn auf, sich aufzurichten. In barschem Befehlston redet er auf ihn ein und zeigte wütend in Richtung Ausgang.

      Chris blickte suchend in Richtung Fahrersitz. Seine Gedanken rasten. Die Fahrertür stand offen. Panik überkam ihn. Ler war verschwunden.

      Wo war Ler?

      Verzweifelt sah Chris zu dem Wachmann, der ein Sprechfunkgerät in der Hand hielt. Von oben drang Verkehrslärm in die Garage.

      Im selben Moment sah er Ler von hinten um den Minibus herum schleichen. Ein gewaltiger Satz vorwärts ließ Ler gegen den Rücken des Wachmannes prallen. Seine Hände umkrallten dessen Hals. Ein scharfer Ruck riss den Kopf nach hinten.

      Ler richtete sich auf. Der Wächter lag reglos vor ihm. Er schleifte den schlaffen Körper zur offenen Seitentür des Busses. Chris zitterte und beobachtete den H’mong.

      Ler sah ihm in die Augen. „Er hat Dich beobachtet. Er hat Dich angewiesen, mit ihm ins Wachhaus kommen. Er hat Pech gehabt. Es musste sein. Hilf mir, ihn in den Bus zu legen, und dann weg von hier.“

      Chris rührte sich nicht von der Stelle. Ler wuchtete den Oberkörper alleine in den Wagen. Von Innen zerrten eifrige Hände den leblosen Körper in den Fußraum vor der ersten Sitzbank.

      Ein furchtbarer Hieb mit dem Schaft eines der erbeuteten Gewehre traf den Kopf des Wachmannes. Er wurde mit Tüten und Jacken bedeckt.

      Zwei Männer im Bus hielten die erbeuteten Gewehre in der Hand. Die Läufe zeigten auf den Wachmann.

      Ler führte Chris, der wie in Trance neben dem Bus stand, zum Beifahrersitz. Er half ihm hinauf, drückte ihn in den Sitz und schloss die Tür. Er umrundete das Fahrzeug, stieg ein und fuhr langsam los. Am Ausgang bezahlte er, fuhr die steile Auffahrt hinauf, und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein.

      *****

      Chris saß schweigend da, den Blick starr nach vorne gerichtet. Von hinten klopfte ihm eine Hand beruhigend auf seine Schulter. Eine zweite Hand kam über die andere Schulter und hielt ihm eine kleine, offene Plastikflasche unter die Nase.

      Er erkannte den Geruch. Es war der scharfe Schnaps, den er damals am Feuer getrunken hatte. Zitternd griff seine Hand zu. Er nahm einen tiefen Schluck. Es brannte wie damals.

      Er holte tief Luft. Das Leben kam zurück. Er drehte sich nach hinten: freundliche, dankbare Augen ruhten auf ihm. „Danke.“ flüsterte er, „danke!“

      Er sah nach draußen. Sie waren wieder auf dem Land. Vereinzelt standen kleine Häuser abseits der Straße. Ler bog ab in einen schmalen, baumbestandenen Seitenweg.

      Er versenkte den Körper des toten Wachmannes in einem Wasserkanal am Rande des Weges.

      Langsam fuhr er auf die Straße zurück. Die Fahrt ging weiter.

      Die ersten Lampen flammten auf. Die Dämmerung senkte sich friedlich über die fruchtbare Ebene. Reisfelder, von schlanken Baumreihen eingefasst, erstreckten sich bis zum Horizont. Enten und Wasserbüffel bevölkerten Felder,


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