Amos. Rainer Kessler

Amos - Rainer Kessler


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(„die Worte des Amos“), aber diese ist narrativ eingefasst.

      Ausgehend von der Deuterojesaja-Exegese hat Klaus Baltzer die These vertreten, dass ein solcher dramatischer Text auch zur Aufführung gelangt sein könnte.9 Helmut Utzschneider und Stefan Ark Nitsche haben diese Spur weiterverfolgt und erwogen, dass beim lauten Lesen (oder Auswendigsprechen) eines prophetischen Textes der Vortragende Elemente der Performanz verwendet hat.10 Dies ist ein wichtiger Einspruch gegen die Vorstellung, Prophetenbücher seien „eine Sorte Literatur für geschlossene Zirkel“,11 möglicherweise „von Anfang an für das Schriftstudium in gelehrten und frommen Zirkeln“ geschaffen.12 Eine andere Frage ist, inwieweit sich Hinweise auf die „Aufführung“ in den Texten selbst finden lassen. Doch selbst wenn man da wenig fündig wird und auf die kreative Phantasie angewiesen bleibt, versteht es sich, dass jede gute Lesung performative Elemente (Stimmmodulation, Lautstärkevarianz, Mimik, Gestik) enthält.13

      2. Der Aufbau des Buches

      Das Amosbuch lässt sich in vier Teile gliedern.14 Am 1–2 enthält Völkersprüche in Gestalt eines gleichmäßig aufgebauten Gedichts in acht Strophen. In den ersten sechs Strophen werden fremde Völker angesprochen. Darauf folgt eine Strophe über Juda, die ähnlich lang ist wie die sechs Strophen über fremde Völker. Ziel der Komposition ist die achte Strophe, die Israelstrophe. Sie ist ungleich länger und weicht auch formal von den vorhergehenden Strophen ab.

      Teil zwei des Amosbuches sind Kap. 3–6, eine Sammlung kürzerer und längerer Sprüche. Diese Sprüche wenden sich fast ausschließlich an das Nordreich Israel und seine Bewohnerschaft und drohen dieser mit Untergang, Verbannung und Fremdherrschaft. Die Redeeinleitungen mit „Hört dieses Wort, das Jhwh über euch geredet hat“ (3,1) und „Hört dieses Wort, das ich über euch anhebe“ (5,1) gliedern die Sammlung in zwei Teile.

      Im dritten Teil, Kap. 7,1 – 9,6, ändert sich der Charakter der Texte, obwohl zunächst immer noch Amos das Wort hat. Wir finden in Ich-Form einen Bericht des Propheten über fünf Visionen, die er empfangen habe. Eingefügt ist ein weiterer Bericht darüber, wie Amos aus dem Nordreich ausgewiesen und nach Juda geschickt wird (7,10–17), in dem sich der Erzähler erstmals nach 1,2 wieder zu Wort meldet. Nach der kurzen Erzählung finden sich, wie in Kap. 3–6, wieder Worte des Amos (8,4–14).

      Abgeschlossen wird das Amosbuch durch den Passus 9,7–15. Während das Meiste, das wir bis dahin lesen konnten, auf den Untergang Israels hinausläuft, richten sich die Schlussverse auf eine Zukunft, die voller Hoffnung ist. Diese Verse sollen nicht, wie man es oft auslegt, die Botschaft des Amos korrigieren, sondern sie zu Ende denken. Fragen, die sich bei der Lektüre der Amosschrift gestellt haben, werden hier zum Schluss beantwortet.15

      Die vier Abschnitte des Amosbuches beschreiben eine dramatische Bewegung. Sie geht aus von Jhwh, der von Jerusalem aus seine Stimme erhebt (1,2). In den Völkersprüchen dokumentiert er seinen universalen Anspruch, lässt aber sofort erkennen, dass das eigentliche Ziel der Anklagen und Drohungen Juda und ganz besonders Israel sind. Israel steht sowohl in den Worten der Kap. 3–6 als auch in 7,1 – 9,6 fast ausschließlich im Fokus des Interesses. Die Drohung mit Verbannung (5,27; 6,7) und Fremdherrschaft (6,14) und die Ankündigung des Endes, das „zu meinem Volk Israel“ kommt (8,2), markieren den Zielpunkt der Worte. Aber damit ist die Bewegung, die mit 1,2 eingesetzt hat, noch nicht am Ziel. In der Erwartung, dass die Worte des Amos in Juda, wohin ihn der Oberpriester von Bet-El geschickt hat, weiterwirken, eröffnet sich eine Hoffnung, die von der wieder aufgerichteten Hütte Davids (9,11) ausgeht und sowohl die Überlebenden des Nordreichs Israel, die von ihren unterdrückerischen Strukturen befreit werden sollen, als auch den Rest der Völker mit einschließen wird. Erst damit ist das Amosbuch zu seinem Ziel gekommen.

      3. Der Prophet in der Autorität Jhwhs

      Fast alles, was Amos sagt, stellt er unter die Autorität Gottes, in dessen Namen er spricht. Das Buch ist durchzogen von Formeln, die das anzeigen: „So spricht Jhwh“ (1,3.6.9 u. ö., insgesamt vierzehnmal), „spricht (der Herr) Jhwh“ (1,5.8.15 u. ö., insgesamt neunmal), „Spruch Jhwhs“ (mit Erweiterungen des Gottesnamens) (2,16; 3,10.13 u. ö., insgesamt achtzehnmal) und „geschworen hat Jhwh ...“ (4,2; 6,8; 8,7). Die Gottesworte selbst sind ferner meist daran erkenntlich, dass Jhwh in der ersten Person spricht.

      In einem rein formal ausgerichteten Kommunikationsschema muss man die Gottesrede einer eigenen, unter der der Prophetenrede angesiedelten Kommunikationsebene zuweisen. Dies sei an Am 1,1–3 illustriert (K = Kommunikationsebene):

      K1 der reale Autor (unbekannt)

      K2 der implizite Erzähler (V. 1 + „Er sagte“ aus V. 2) K3 der Prophet (V. 2) K4 Gott (V. 3 nach „So spricht Jhwh“)

      Im Einzelnen ist die Unterscheidung von Prophetenrede und Gottesrede meist möglich und sinnvoll. Innerhalb der vom Propheten in Ich-Form erzählten Visionen muss man sogar sagen, dass der prophetische Erzähler, wenn er Jhwh reden lässt, diesen regelrecht zitiert: „Es soll nicht sein, sagte Jhwh“ (7,3; vgl. V. 6); „Da sagte Jhwh zu mir: Was siehst du, Amos?“ (7,8; vgl. 8,2).

      Einige Stellen aber sind auffällig. Entweder geht die Prophetenrede unmerklich in Gottesrede über; in 3,1 fängt der Prophet an: „Hört dieses Wort, das Jhwh über euch geredet hat, ihr Israelskinder“, um dann übergangslos mit Gottesrede weiterzumachen: „über den ganzen Volksstamm, den ich aus dem Land Ägypten heraufgeführt habe“. Oder aber es ist nur schwer zu entscheiden, ob an einer Stelle Gott selbst oder der Prophet spricht (z. B. 5,1–2). Dies ist ein Hinweis darauf, dass es zu einfach wäre, den Übergang von K3 zu K4 prinzipiell so zu deuten, dass nun der Prophet Jhwh zitiere.

      Lange galt es in der Exegese als selbstverständlich, die „So spricht Jhwh“-Formel als „Botenformel“ zu bezeichnen. Vor dem Hintergrund einer Wort-Gottes-Theologie verstand man den Propheten als Boten, der die göttliche Botschaft den Menschen übermittelt und dabei vollständig hinter demjenigen zurücktritt, der ihn geschickt hat. Zugespitzt könnte man sagen, der Prophet zitiere, was Gott ihm aufgetragen hat.

      Versucht man dagegen, die Formel in ihrem Kontext als Sprechakt zu verstehen, wie Andreas Wagner das in seiner wichtigen Studie zur kōh ʾāmar-Jhwh-Formel getan hat, bröckelt dieses Bild. Wagner zeigt, dass die Formel kein Zitat eines Jhwh-Wortes ist und dann präterital zu übersetzen wäre, sondern einen deklarativen Sprechakt darstellt, der mit Präsens wiederzugeben ist: Indem der Prophet spricht, stellt er sich unter die absolute Autorität des Gottes, in dessen Namen er spricht. Die Formel drückt – in Wagners eigenen Worten – aus, „dass der Sprecher das nach der Formel Gesprochene in eine Rede des Absenders wandelt (so spricht N.N. hiermit durch Sprecher)“.16 Amos ist kein mündlicher „Briefträger“, der etwas Ausformuliertes weitergibt, sondern verhält sich wie ein diplomatischer Botschafter, der in der Autorität seiner Regierung spricht.

      Indem der Prophet „das nach der Formel Gesprochene in eine Rede des Absenders wandelt“, ist es berechtigt, die Ebenen K3 und K4 zu differenzieren. Man muss aber sehen, dass sie inhaltlich etwas Anderes bedeuten, als wenn der Prophet ein Wort Gottes zitieren würde; der Prophet selbst beansprucht, in der Autorität Gottes zu sprechen.

      4. Die immanente Selbstverortung des Buches

      Das Amosbuch ist in Zeit und Raum klar verortet. Die Überschrift gibt die Regierungszeit der Könige Jerobeam II. von Israel (786–746 v. Chr.) und Usija von Juda (786–736) als Zeit des Auftretens des Amos an. Jerobeam wird dann noch in 7,10, das Haus Jerobeams in 7,9 erwähnt.17 Andere Referenzen auf geschichtliche Ereignisse im Buch lassen sich in dieser Zeit verorten, so die Übergriffe der Aramäer von Damaskus in Gilead (1,3) oder die Verweise auf die (wahrscheinlich assyrischen) Eroberungen von Kalne, Hamat-Rabba und Gat (6,2) oder die eigenen Eroberungen von Lo Dabar und Karnajim (6,13); allerdings wäre ohne den zeitlichen Referenzrahmen der Überschrift keines dieser Vorkommisse aus sich heraus sicher datierbar. Diese Determination durch die Angaben der Überschrift gilt noch stärker für die auffällige Tatsache, dass die ab Mitte des 8. Jh.s alles dominierende


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