Revolutionen auf dem Rasen. Jonathan Wilson

Revolutionen auf dem Rasen - Jonathan Wilson


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Die offizielle Geschichte des Vereins warnt davor, „James’ Beitrag für die in den 1930er Jahren so erfolgreiche Mannschaft Arsenals zu unterschätzen. Er war schlicht und einfach die Schlüsselfigur.“ Er bewegte sich überlegt und war äußerst geschickt darin, Räume zu finden, um dort den Ball zugespielt zu bekommen – am liebsten schnell aus dem Rückraum. Dazu besaß er die Kreativität und die Technik, den Ball dann ebenso schnell an die Stürmer weiterzuverteilen. Joy erklärte ihn zum „intelligentesten Spieler, mit dem ich zusammenspielte. … Auf dem Platz hatte er die Gabe, zwei oder drei Spielzüge im Voraus zu denken. Er drehte viele Spiele dadurch, dass er sich geschickt nahe des eigenen Strafraums positionierte und urplötzlich einen wirkungsvollen Pass in die Schwachstelle des Gegners schlug.“

      1930 gewann Arsenal den FA-Pokal. Ganz wie Chapman versprochen hatte, hatte man also fünf Jahre nach seiner Verpflichtung den ersten Titel geholt. Das W im Angriff war mittlerweile fester Bestandteil, und das neue System hatte nun klare Konturen. Die nominellen Verteidiger deckten die Flügelstürmer anstelle der Halbstürmer, die Außenläufer standen gegen die gegnerischen Halbstürmer anstelle der Flügelstürmer, der zum zentralen Verteidiger gewordene Mittelläufer kümmerte sich um den Mittelstürmer, und beide Halbstürmer standen fortan tiefer: Das 2-3-5 war zu einem 3-2-2-3 geworden, zum W-M-System. Dieses erhielt seinen Namen durch die Grundposition der Spieler auf dem Spielfeld, die einem W bzw. M glich. Deutlich zu sehen ist dies in der grafischen Darstellung von Arsenals Aufstellung im FA-Finale.

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       Arsenal London – Huddersfield Town 2:0, FA-Pokalfinale, Wembley-Stadion, London, 26. April 1930.

      

      Trophäen und Modernisierung gingen Hand in Hand. Zwar verhinderte die konservative FA die Einführung von Rückennummern und Flutlichtspielen, dafür kam es zu anderen Neuerungen. Arsenals schwarze Stutzen wurden durch blau-weiß geringelte ersetzt, man brachte in Highbury eine Uhr an, und die U-Bahnstation „Gillespie Road“ wurde in „Arsenal“ umbenannt. Die roten Hemden bekamen weiße Ärmel, da man glaubte, dass sie so für die Mitspieler aus den Augenwinkeln besser zu sehen waren.

      Besonders bemerkenswert war aber, dass Chapman seine Spieler am Freitag nach dem Training an einer Magnettafel versammelte, an der er das nächste Spiel mit ihnen besprach und Probleme aus dem vorangegangenen Match analysierte. Hatte er in Huddersfield die Spieler lediglich ermuntert, selbst Verantwortung für ihr Stellungsspiel auf dem Platz zu übernehmen, so gehörten solche Diskussionen bei Arsenal zu den festen Bestandteilen der wöchentlichen Routine. „Er brach mit alten Traditionen und war der erste Trainer, der Spiele methodisch anging“, erläuterte die Daily Mail.

      Es funktionierte. Arsenal gewann 1931 und 1932 die Meisterschaft in der Liga und verlor das Pokalfinale von 1932 nur durch ein äußerst umstrittenes Tor. Arsenal kam in seinem Spiel, so Glanville, „der Präzision einer Maschine nahe“. Das rasche Umschalten von Verteidigung auf Angriff und die schnörkellose, funktionelle Spielweise spiegelten in gewisser Weise den Art-Déco-Stil der Westtribüne und der Ostfassade des Arsenal-Stadions in Highbury wider. Der Vergleich mit einer „Maschine“ erinnert zudem an die „Wohnmaschine“ – ein moderner Wohnhaustyp – des Architekten und Designers Le Corbusier. In ähnlicher Weise beschrieb der amerikanische Lyriker William Carlos Williams ein Gedicht als „eine Maschine aus Wörtern. … Wie in jeder anderen Maschine gibt es kein Teil, das überflüssig wäre.“ Arsenals Fußball war also ein Kind seiner Zeit, ein Fußball der Moderne, er entsprach, wie es Joy formulierte, dem Stil des „20. Jahrhunderts: auf das Wesentliche beschränkt, begeisternd, spektakulär, ökonomisch und vernichtend.“

      Vielleicht ist das alles gar nicht so überraschend. Schließlich gehörte Chapman zu den ersten Nutznießern des Forster Education Act von 1870, der eine Schulpflicht bis zum Alter von zwölf Jahren einführte. Das Gesetz eröffnete einer beispiellosen Zahl von Männern aus der Arbeiterklasse die Möglichkeit, die durch den Ersten Weltkrieg entstandenen Lücken im leitenden Bereich zu schließen. Diese neuen Manager und Geschäftsführer machten vielleicht nicht alles anders, waren für Innovationen aber sicher offener als ihre der Tradition verhafteten Vorgänger.

      Einige standen Arsenals neuer Spielweise skeptisch gegenüber, vor allem Carruthers, der sich nach der Meisterschaft 1933 wie folgt in der Daily Mail äußerte: „Wenn man daran denkt, dass andere Vereine versuchen könnten, sie nachzuahmen, so fürchte ich, dass sie womöglich ein unglückliches Vorbild abgeben. Es gibt derzeit nur ein Arsenal, und ich kann mir auch kein anderes vorstellen: ganz einfach deshalb, weil kein anderer Klub die Spieler zur Umsetzung dieser Ideen besitzt.“

      Diese Ideen wurden ohnehin nur unzureichend verstanden, wie Roberts’ Berufung durch den englischen Auswahlausschuss für ein Freundschaftsspiel gegen Schottland 1931 zeigte. Er war der erste Mittelläufer im Nationaldress, doch waren die beiden Abwehrspieler Fred Goodall und Ernie Blenkinsop mit dem W-M-System nicht vertraut. Dementsprechend konnte Schottland bei seinem 2:0-Sieg „ein fröhliches Picknick in den offenen Räumen abhalten“, wie sich L.V. Manning im Daily Sketch ausdrückte.

      In Schottland waren die Meinungen ebenso geteilt. Die einen erkannten die Effizienz des moderneren Systems an, andere waren nach wie vor glühende Verehrer des Kurzpassspiels. Dieses erlebte seinen letzten Triumph am 31. März 1928. Eine später als „Wembley Wizards“ oder „Magier von Wembley“ unsterblich gewordene schottische Auswahl verpasste England eine derbe Klatsche. Bei ihrem 5:1-Sieg trafen Alex Jackson dreimal und Alex James zweimal. In seinem Bericht für The Evening News beschrieb Sandy Adamson Jacksons erstes Tor als einen „Slalomlauf, der als klassisches Beispiel seiner Art in die Ewigkeit eingehen dürfte“. Außerdem berichtete er, wie „frohlockende Schotten sich in Katz-und-Maus-Spielchen ergingen. … Der Ball lief von Fußspitze zu Fußspitze. Der verstörte Feind war konsterniert, ratlos und geschlagen. Eine Kombination umfasste elf Pässe, und kein Engländer berührte den Ball, bis [Tim] Dunn den Spielzug mit einem Schuss weit über die Latte beendete.“

      Der Glasgow Herald äußerte sich verhaltener. „Der Erfolg Schottlands“, hieß es im dortigen Bericht, „war vor allem eine erneute Demonstration, dass schottisches Können, schottische Wissenschaft und schottische List den weniger attraktiven und simpleren Methoden des englischen Stils, bei dem man hauptsächlich auf Geschwindigkeit setzt, auch weiterhin überlegen sein werden.“ Doch auch wenn die Außenläufer Jimmy Gibson und Jimmy McMullan und die Innenstürmer Dunn und James auf dem nassen Rasen grandios kombinierten: Im Endeffekt ging es bei diesem Spiel im Rahmen der British Home Championship – einem noch bis 1984 ausgetragenen Traditionswettbewerb – um die berühmte Goldene Ananas. Außerdem war von der angeblich so augenfälligen Überlegenheit des schottischen Stils bei der 0:1-Niederlage Schottlands gegen Nordirland oder dem 2:2- Unentschieden gegen Wales nichts zu sehen gewesen.

      Es ist auch bezeichnend, dass acht Mann aus der schottischen Elf für englische Vereine spielten. Dass sie an das Tempo des englischen Spiels gewöhnt waren, half ihnen ganz offensichtlich. Der Stil war zudem nicht so rückständig, wie manche meinten. Schottlands Mittelläufer Tom Bradshaw hatte eine defensive Ausrichtung und war als Gegenspieler Dixie Deans aufgestellt worden. Auch wenn man nicht mit einem ausgewachsenen W-M-System spielte, war das schottische System doch auch kein klassisches 2-3-5 mehr.

      Auf Vereinsebene setzte sich das W-M-System in Schottland erst nach und nach durch. Der ehemalige Rangers-Spieler George Brown erinnert sich an ein Benefizspiel „etwa um 1930“, bei dem eine Elf aus Spielern der Rangers und von Celtic gegen eine aus Heart of Mid lothian und Hibernian Edinburgh gebildete Elf antrat: „Davie Meiklejohn spielte rechter Verteidiger, ich linker Verteidiger und Jimmy McStay von Celtic Mittelläufer“, sagte er. „Es lief nicht besonders gut für uns, und zur Halbzeit lagen wir mit einem Tor hinten. Also sagte Meiklejohn in der Pause zu McStay: ,Das Zentrum macht uns Schwierigkeiten, weil du zu weit vorne stehst. Wir spielen jetzt mit Jimmy Simpson weiter hinten und entlasten damit die Verteidiger.‘ McStay war mit dem Versuch einverstanden, und am Ende gewannen wir mit einem komfortablen Vorsprung. Von da an spielte er dann das gleiche Spiel bei Celtic.“ Doch genau wie Jack Butler bei Arsenal war auch McStay nicht als Verteidiger groß geworden, und Celtics Durststrecke von neun Jahren ohne


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