Seewölfe Paket 35. Fred McMason
an der Hose ab. „Hoffentlich brauchen sie nicht die ganze Nacht dazu.“
„Du glaubst doch nicht wirklich, daß wir heute in unseren Kojen pennen“, fragte sein Bruder.
„Weiß ich nicht“, brummelte Philip.
Die Göttin war von rund zwei Dutzend singender und tanzender Anbeter umgeben. Die Zwillinge und Clint hörten nur das Klatschen der nackten Füße und den hohltönenden Gesang. Die alten und jungen Männer zwischen den Mauern vollführten einen Lärm, der so laut war, daß die drei Jungen im Versteck befürchteten, die Dörfler würden bald in Scharen erscheinen, um sich das Theater anzuschauen.
„Sie schreien und springen herum“, bemerkte Clint laut und respektlos. „Die werden in der Nacht ganz schön müde sein.“
„Ja und heiser auch“, murmelte Hasard junior.
Sie warteten und schlugen fluchend weitere Mücken tot. Es dauerte mindestens eine Stunde, bis der Gesang leiser wurde und schließlich aufhörte. Mit glücklichen Gesichtern und lachend traten die Pilger nacheinander aus dem Tempel, stiegen die Treppenstufen hinunter und drehten sich ab und zu um. Sie winkten fröhlich zum Tempel zurück und waren schweißüberströmt. Die Farben und die Aschestreifen auf ihren Gesichtern und Oberkörpern waren verschmiert, breite Bäche aus Sehweiß rannen über die braune Haut.
„Das Gold haben sie nicht dabei“, sagte Philip junior leise. „Recht so, ihr Tänzer.“
Zur Sicherheit warteten sie hoch länger als eine Viertelstunde, nachdem der letzte Pilger den Tempel verlassen hatte und den Hügel hinuntergetappt war. Irrwischen stand die Sonne eine Handbreite über den Palmenwipfeln. Über dem Meer erhob sich eine helle Wolkenwand. Die Kette aus Indern und Seewölfen, die von der Schebecke bis zur Siedlung reichte, gelangte zum Stillstand. Offensichtlich waren sämtliche Laderäume geleichtert worden.
Hasard junior schob sich als erster aus den Büschen heraus und streifte die zerquetschten Reste der Mücken von seinen Oberarmen.
„Die Kisten haben sie nicht mitgenommen“, stellte er fest. „Also müssen sie irgendwo im Tempel sein. Sehen wir nach.“
Clint robbte zwischen den untersten Zweigen hervor und war ebenso zerstochen wie seine Kameraden.
„Das hätte ich nicht geglaubt“, meinte der Moses kopfschüttelnd. „Ich wäre an ihrer Stelle mit dem Gold abgehauen. Ganz weit weg.“
„Du bist auch kein tanzender, halb verhungerter Inder oder Ceylonese“, entgegnete Philip und kletterte, jede Deckung ausnutzend, hinter seinem Bruder her.
Sie schwangen sich, die Hände an den Lianen, auf den Pfad entlang der Mauer, liefen zum Eingang und horchten auf Geräusche. Der große Raum im Tempel war leer, Kali hatte ein paar Blumen mehr in ihren sternförmig auseinandergereckten Armen.
Die drei jungen Seewölfe schauten hinter die Statue, in die leeren Mauernischen, neben den Sockel, auf dem die Figur der Göttin stand. Der Tempelraum war leer.
„Wo ist das Gold?“ fragte sich Clinton laut. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte in das runde Gewölbe hinauf. Von den Kisten gab es ebenso wenige Spuren wie von ihrem Inhalt. Die Seewölfe und der Moses blickten einander voller Verblüffung an.
Dann sagte Philip: „Vielleicht haben sie es woanders versteckt. Zwischen den Totenschädeln oder irgendwo draußen. Vergraben kann man vier Kisten auch.“
Einer ging nach rechts, die beiden anderen nach links, und dann fingen sie rund um den Tempel, entlang der Mauern und zwischen den Wurzeln zu suchen an. Aber auch nach einer weiteren halben Stunde hatten sie weder die Kisten gefunden noch ein Zeichen dafür, daß sie vergraben worden waren.
4.
Der große Schirm aus geflochtenen Palmblättern, mit langen Grasfransen an den Rändern, warf keinen brauchbaren Schatten mehr. Die Sonne stand in der vierten Stunde zwischen Mittag und Abend.
Ginjal Chand klatschte in die Hände und sagte: „Wir haben genug gesehen. Gehen wir ins Haus und denken darüber nach, was wir tun können.“
„Noch erkenne ich keinen Vorteil für dich, Herr“, antwortete der Schreiber Arun höflich. „Aber du wirst es mir sicherlich sagen.“
„Wenn es an der Zeit ist.“
Die Sonne blendete unter dem Rand des Schirms, die Hitze nahm wieder zu. Der Diener Sandhu hatte zwar die Bodenplatten mit Wasser bespritzt, nachdem er aus der Hafenbucht zurückgekehrt war, aber die Feuchtigkeit war längst vergangen, aufgezehrt von der Sonnenglut.
Die Neuigkeiten und Nachrichten, die Sandhu von der Bucht mitgebracht hatte, erforderten langes Nachdenken. Der Kaufmann warf einen langen Blick hinüber zum Tempel, der sich scharf gegen den westlichen Horizont abzeichnete.
Die Pilger, deren Gesang bis zur Sonnenterrasse herüber zu hören gewesen war, hatten den Kali-Tempel unter den Bäumen verlassen und befanden sich in der Siedlung. Wahrscheinlich schliefen sie, von ihren rhythmischen Tänzen erschöpft, oder sie erbettelten ein Essen von den Bewohnern.
Chand stieß in seinem Arbeitszimmer die Läden auf und sagte sich, daß kein Mensch je eine solche Menge Silber und Gold gesehen hatte – wenn wirklich jede Kiste einen Teil des Schatzes enthielt. Er gönnte nicht ein Körnchen davon den Fremden, den Portugiesen oder den Spaniern. Aber er konnte die Beute aus ihren Laderäumen auf keinen Fall mit Gewalt herausholen, und es fiel ihm auch keine List ein.
„Ich werde warten, was passiert“, meinte er und hörte vom Dorf das Trillern der Flöte. Praskat Nath, der Schlangenbeschwörer, unterhielt die Leute von den Booten mit seiner tanzenden Königskobra.
Bevor die Flut nicht auflief und das Wasser nicht stieg, würden sich die drei Schiffe nicht bewegen können.
Aber was taten die Männer?
Wieder richtete er seine Blicke zum Hafen. Die Decks der Karavelle und der Galeone waren voller Seeleute. Die Geschütze, feuerbereit und ausgerannt, richteten sich auf das lange, schlanke Schiff. Die Portugiesen und Spanier waren bewaffnet, die Männer spazierten an Deck herum, und neben den Geschützen schwelten Lunten.
Die Bevölkerung hatte sich verlaufen.
Einige Gruppen derjenigen Männer, die vom indischen Festland erschienen waren, hatten sich über die trockenen Teile im Südosten entfernt. Sie waren mit ihrer Beute unterwegs zur festen Küste der kleineren Insel. Ceylon war nicht weit, sie würden es erreichen, ohne von der Flut überrascht zu werden. Schade um das viele Gold und Silber, dachte er – wahrscheinlich waren die Kisten doch gefüllt, denn sonst würden die Gläubigen nicht diese schweißtreibenden Anstrengungen unternehmen.
„Buddha sagt, daß gestohlene Schätze ins Verderben führen“, murmelte er. „Haben die Engländer tatsächlich alles zusammengestohlen? Aus Tempeln? Auf ihrer Fahrt entlang der Küste?“
Die meisten Tempel befanden sich so weit von den Häfen entfernt, daß Seeleute sie erst gar nicht sahen. Oder aber sie waren wirklich Piraten und Tempelschänder.
„Buddha sagt auch, daß man wohltätig und freundlich zu Fremden sein muß“, sagte er und klatschte in die Hände.
Der Schreiber trat ein.
Der Kaufmann befahl: „Richte Sandhu, Rajpal und Nalini aus, sie sollen sich im Dorf umsehen und umhören. Auch die Fremden müssen sie belauschen. Sie sollen zurückkehren und mir berichten, wenn es dunkel geworden ist.“
„Ich schicke sie sofort aus dem Haus, Herr“, sagte der Schreiber.
Die Tür schloß sich hinter ihm. Chand, der die Lehren Buddhas hochschätzte und so gut wie möglich auch befolgte, freute sich darüber, daß Buddhas Zahn dem Räuber wieder abgenommen worden war. Der Weg zum Tempel des Zahns in Kandy war weit und gefährlich, und es würde sehr lange dauern, bis die Reliquien wieder an ihrem angestammten Platz sicher verwahrt war.
Aber Ginjal Chands