Seewölfe Paket 35. Fred McMason
Seewölfe und die Crews der anderen Schiffe. Sandbänke, einzelne Landzungen und Gebüsch verhinderten die Sicht.
„Wenn er nicht bald beidreht, rammt er seinen Kiel in den Schlamm“, sagte nach einer Viertelstunde der Moses.
„Geschieht ihm ganz recht“, antwortete Hasard.
Auch die bewaffneten Portugiesen und Spanier auf dem Steg und entlang der Steuerbordseite der Schebecke wurden von der Sonne geblendet, wenn sie in die Richtung blickten, in der die Galeone segelte. Die Galeone kreuzte im Westen vor Mannar-Island, ging über den anderen Bug und stampfte in der Brandung.
Hasard sagte nachdenklich: „Der Kapitän kennt das Fahrwasser. Ich denke, sie suchen eine Bucht, um den Anker fallen zu lassen.“
„Stimmt“, erklärte sein Bruder. „Den schönen, abwechslungsreichen Hafen von Mannar steuert er nicht an.“
„Er versucht, nach Süden zu gehen“, sagte Clint schließlich. „Wahrscheinlich will er in einer besseren Bucht als in dieser hier die Nacht abwarten.“
„So würde ich auch verfahren“, sagte Philip.
Die ersten auslaufenden Wellen leckten über den Schlick. Die Brandungswogen waren höher und brachen sich gischtend. Die Sonne brannte auf die Segel und den weißen Stander mit dem roten Kreuz darin.
Hasard lachte, schlug sich auf die Schenkel und sagte voller Freude: „Wenn ich nicht halb blind bin – das ist ein Niederländer.“
Ein Windstoß ließ die Segel killen und bewegte die Flagge. Farben und Formen schienen durcheinanderzuwirbeln. Hasard senkte den Kopf und überlegte, ob er wirklich eine holländische Flagge gesehen hatte, und was die Ankunft des Schiffes zu bedeuten hatte.
Ein Vorteil oder ein Nachteil – ein weiterer Nachteil – für die Seewölfe?
Bisher war er ziemlich sicher gewesen, was er zu tun hatte. Jetzt breitete sich in seinen Gedanken eine lähmende Ratlosigkeit aus. Während er verzweifelt nachdachte und nach einem besonders guten Einfall suchte, entfernte sich die Galeone und steuerte eine Bucht an, deren Ausdehnung für die drei Seewölfe nicht genau zu erkennen war. Mannar war einwandfrei nicht das Ziel dieses Schiffes.
Schließlich wußte Hasard junior, was sie unternehmen mußten. Leise beriet er sich mit dem Bruder und Clint. Je länger sie über ihren Plan sprachen, desto sicherer waren sie, daß er auch durchzuführen war.
Philip Hasard Killigrew hockte im Schatten, den das Schanzkleid warf, auf der Back. Er hielt den Kopf in beide Hände gestützt, seine Augen waren dunkel von verhaltener Wut. Am meisten störte ihn die Gewißheit, daß er vorläufig zum Warten gezwungen worden war. Erst während des höchsten Standes der Flut konnte die Schebecke um neunzig Grad gedreht werden oder freikommen. Dann erst würde Al Conroys Culverinen den Portus und Dons die gebührende Antwort auf die beispiellose Frechheit geben können.
Die wenigen Seewölfe, die sich an Deck befanden, wurden von fast dreißig Kerlen bewacht und bedroht. Die Dons und Portus trugen Helme und Halbrüstungen, schußbereite Musketen, doppelläufige Pistolen, Degen und schwere Säbel. Daß unter Deck mindestens die doppelte Anzahl feuerbereiter Schußwaffen bereitgehalten wurde, wußten die Bewacher nicht.
Die Drehbassen waren in die Waffenlast verbracht worden. Die Schebecke bot, notgedrungen, einen überaus friedlichen Eindruck, der noch dadurch verstärkt wurde, daß der Essensgeruch von der Kombüse her in der Nachmittagshitze träge entlang des Rumpfes zog.
„Mir ist auch nichts eingefallen“, versuchte Ben Brighton den Kapitän zu beruhigen. „Deine Söhne und der Moses sind an Land. Du weißt, daß sie für jede Überraschung gut sind.“
Sie sprachen leise miteinander, während Dan O’Flynn auf der Kuhl an seinen Karten und Berichtigungen zeichnete und schrieb.
„Auch für böse Überraschungen“, antwortete Hasard und fuhr in unterdrückter Erregung mit den Fingern durch sein dichtes Haar. „Das Gold ist weg. Bis auf ein paar Lederbeutel in meiner Kammer, die sie nicht gefunden haben. Ich bin sicher, daß wir es mit vier verschiedenen Gruppen zu tun haben.“
„Mit den räuberischen Kerlen von der Iberischen Halbinsel in erster Linie“, stimmte Ben Brighton zu.
„Und mit gläubigen, götterverehrenden Indern und Ceylonesen“, fuhr Hasard fort. „Sie werden das Gold des Padischah ihren Götzen zurückgeben.“
„Und dort klauen es andere“, sagte Ben und stieß ein kurzes Lachen aus. „Im Ernst, Sir: beim Rest handelt es sich um goldgierige, erschreckend arme Rübenschweine.“
„Portus, Dons, Arme und Fanatiker. Eine feine Mischung“, murmelte der Seewolf. „Von den Portus und den Dons können wir mit viel Glück den Schatz wieder zurückholen.“
„Nach einer Seeschlacht, die in diesem lausigen Hafen stattfindet?“ Der Erste drückte in einem Satz die gesamte Tragweite des Mißgeschicks aus. „Jedenfalls hat es viele blaue Flecke, zerbrochene Knochen und Messerwunden gegeben. Aber keinen Toten.“
„Noch nicht. Die Fanatiker scheinen spurlos verschwunden zu sein.“ Ben hatte es aufgegeben, mit dem Spektiv nach den Gruppen zu peilen, die sich schnell zerstreut hatten.
Hasard antwortete: „Ein Teil ist in Richtung des Dorfes abgehauen. Die anderen sind nach Ceylon hinübergewatet.“
„Ischwar Singhs Schatz. Elf Tonnen“, fuhr der Seewolf nach einer Weile fort. „Sein Vertrauen hat ihm und uns nicht viel genutzt. Ich habe nicht die windigsten Vorstellungen darüber, wie wir diese Menge wieder finden und zusammenbringen. Dieser Malindi! Wenn ich den in meinen Fingern hätte …“
„… dann würde ich dir dabei helfen.“ Der Erste schloß seine Finger zur Faust und hob sie. Das ohnmächtige Warten zerrte ebenso an seinem Stolz wie der Ärger darüber, daß sich so kurz vor dem Ziel ein scheinbar harmloser Zwischenfall zu einem solchen Desaster entwickelt hatte.
„Unter Deck gärt es“, sagte er. „Da glimmt eine lange Lunte, dicht am Pulver. Die Arwenacks zittern vor Wut. Sogar Plymmie knurrt ununterbrochen.“
„Kann ich gut verstehen.“ Der Seewolf nickte und blickte hinüber zu den Wachen am Steg.
Zwar zielten die Mündungen der Waffen nicht mehr auf einzelne Seewölfe, aber die Seeleute wirkten nicht im mindesten müde oder schläfrig. Die Gefahr war nicht geringer geworden, wie es jetzt aussah, würden die Portus und die Dons ihre Schiffe nachts keinesfalls unbewacht lassen. Im Gegenteil: sie mußten damit rechnen, daß El Lobo de mar blitzschnell und gnadenlos wieder zupackte.
Hasard sagte nach einigem Nachdenken: „Wir warten erst mal auf die Jungen. Sie wissen wahrscheinlich was an Land vorgefallen ist.“
„Wie ich deine Söhne kenne, warten sie die Nacht ab“, erwiderte der Erste. „Wir werden also noch eine Weile ausharren müssen.“
Die ersten Wellen der auflaufenden Flut zischten schäumend über Schlick und Sand. Die Sonne näherte sich südlich einer aufflammenden Wolkenwand dem westlichen Horizont. Fast ohne die Flügel zu bewegen, segelte eine Schar Marabus über die Bucht. In den Mangroven jenseits des Palmenwaldes trompeteten Kraniche oder andere Vögel, deren Namen die Seewölfe nicht kannten.
Die Stille und die Bewegungslosigkeit, die sich dann ausbreiteten, waren nicht echt. Es war tatsächlich so, als brenne eine Lunte ab, die in ein Pulverfaß führte.
5.
Hasard junior holte tief Luft und spannte seine Muskeln. Dann hob er den Zeigefinger und sagte: „Es gibt genügend Verstecke für uns. Du schleichst dich jetzt dorthin, Clint. Du weißt, um was es geht?“
Er zeigte zu dem ersten Haus des Dorfes, westlich des Tempelhügels und zwei Kabellängen von dem Ziegelbau neben der Weggabelung entfernt. Dort stieg hinter einer braunen Lehmmauer eine dünne Rauchsäule schräg in die Luft.
„Ich weiß“, erwiderte der Moses und