Fluch der verlorenen Seelen. Darina D.S.

Fluch der verlorenen Seelen - Darina D.S.


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gehen würden. Amalia hatte diese bis dahin noch nicht gesehen und sie ahnte Schreckliches.

      Der Gedanke an ein weiteres Waffentraining mit den dreien machte sie so nervös, dass sie dem restlichen Unterricht nicht mehr folgen konnte. Vielleicht lag es zusätzlich am Gefühl, sich ständig übergeben zu müssen – vor allem nach dem Hackbraten, der ihre plötzliche Heißhungerattacke befriedigen hätte sollen. Im Nachhinein wahrscheinlich nicht ihre beste Idee. So saß sie völlig unkonzentriert im Klassenraum, schaute sich andauernd fast schon paranoid um und wurde zu allem Überfluss von einem nicht enden wollenden Schluckauf geplagt. Als endlich die erlösende Klingel ertönte, sprang sie auf und stieß dabei ein Gemisch aus Hackbraten und Sekt auf. Apathisch und sich den Bauch haltend schlurfte sie die Treppen hinunter. Sie erspähte die anderen in der Eingangshalle und hoffte, dass ihr niemand ansah, wie schlecht es ihr ging.

      »Amalia ist alles in Ordnung? Du siehst so grün aus im Gesicht«, fragte Yato und ihre Hoffnung zerplatzte wie eine Kaugummiblase. Sie nickte nur teilnahmslos und wünschte sich eine dunkle Ecke, in die sie kriechen konnte. Amalia schielte zu Freya, die mittlerweile wieder wie das blühende Leben aussah. Was zur Hölle …? Das konnte doch nicht wahr sein! Sie sah aus wie ausgekotzt und Freya stand vor ihr wie eine Rose in voller Blüte. Amalia verdrängte ihr Selbstmitleid und wackelte den anderen hinterher. Nur keine hektischen Bewegungen, so lautete ihr Motto. Kalter Schweiß rann ihren Rücken hinab, als sie in Zeitlupe an der Bibliothek vorbeitrottete und kurz danach bei den anderen vor einer grünen Holztür stehen blieb. Amalia runzelte die Stirn. Irgendwie war ihr diese Tür bis dahin nicht aufgefallen, obwohl das dunkle Grün doch sehr ins Auge fiel. Julien kramte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss auf.

      Amalia glaubte, in einer Folterkammer gelandet zu sein. Prüfend ließ sie den Blick durch den Raum schweifen. An den Backsteinwänden hingen Streitäxte, Morgensterne, Eisenketten und Schilde. Mehrere große mit Schlössern versehene Holztruhen standen auf dem Boden. Direkt vor ihr ragten zwei schwarze, ebenfalls mit Schlössern gesicherte Schränke, doppelt so hoch wie sie selbst, auf. Der Raum hatte keine Fenster, lediglich eine weitere Tür, und seine Atmosphäre wirkte durch den goldenen Lichtschein der filigranen Wandlampen noch unheimlicher. Amalia schluckte merklich; sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass der Raum ihr Unwohlsein noch steigern konnte. Eigentlich dachte sie, dass es nichts Schlimmeres als das Gemisch aus Sekt und Hackbraten gäbe, doch auch Frau lernt nie aus.

      Die schlechten Lichtverhältnisse strengten Amalias Augen an und allmählich begannen sie zu tränen. Nur mühsam konnte sie verfolgen, wie Julien zu den großen Schränken lief und diese aufschloss.

      »Nehmt eure Waffen, wir gehen ins Besprechungszimmer«, bestimmte er.

      Ohne Widerrede traten Freya und Yato an die Schränke heran. Yato holte ein Gewehr heraus, Freya eine speerähnliche lange Waffe und Julien nahm sein Schwert, das Amalia noch von ihrer ersten Begegnung in der Psychiatrie kannte.

      »Es wird Zeit, dass Amalia alles über die Akademie, den Orden und deren Zweck erfährt«, entschied Julien und ging zu der blauen Tür, um sie aufzuschließen, den Schlüssel ließ er stecken.

      »Das ist zu früh. Warum soll sie das alles jetzt schon erfahren?«, wandte Freya ein.

      Amalia hingegen sah dies ganz anders, sie wollte durchaus alles wissen.

      »Wir haben einen neuen Auftrag und Collin möchte, dass wir Amalia mitnehmen«, antwortete Julien kühl.

      Amalia fiel die Kinnlade hinunter. Auftrag? Was? Panisch suchte sie Blickkontakt mit Julien, aber der hatte sich bereits umgewandt und trat in den Raum. Freya wollte etwas sagen, doch Yato reagierte schneller, legte ihr die Hand auf die Schulter und verneinte kopfschüttelnd. Freya wusste es: Wenn Collin etwas befahl, war das Gesetz. Stillschweigend folgten sie Julien, jedoch brodelte es in jedem Einzelnen.

      Amalia erkannte die Uneinigkeit in dieser Angelegenheit in ihren Gesichtern. Sie wollte nicht der Grund für Streitigkeiten zwischen ihnen sein; das war sie oft genug in ihrer Pflegefamilie gewesen.

      Die drei legten ihre Waffen auf einen lang gestreckten, ovalen, hellbraunen Tisch in der Mitte des Raumes, um den sechs Holzstühle herumstanden. Ansonsten befand sich hier nichts weiter als eine Kreidetafel.

      »Setzen wir uns«, sagte Julien, nahm als erster Platz und die anderen taten es ihm gleich.

      Amalia konnte ihren Blick nicht von den Waffen abwenden. Natürlich hatte sie schon welche in Filmen oder Büchern gesehen, aber diese waren anders. Bei Juliens geschwungenem Schwert stach nicht nur die zweifarbige Klinge sofort ins Auge, sondern auch die zwei silbernen Bärentatzen, die das Ricasso umschlossen. Die Parierstange bildete einen nahtlosen Übergang zwischen den Tatzen und dem darüberliegenden Griff mit einem Geflecht aus schwarzem Leder, das ihn umgab. Fasziniert bewunderte sie den runden Knauf, der das Ende formte. In ihm schien sich ein eisblauer Nebel langsam zu bewegen.

      Amalias Augen wanderten zu den anderen Waffen, die ebenfalls solch eigenartige Kugeln hatten.

      »Das ist meine. Sie nennt sich Glefe.« Freya deutete mit dem Zeigefinger auf die lanzenähnliche Waffe. »Kyuu fertigt sie individuell für uns an«, erklärte sie lächelnd. Vermutlich war Freya aufgefallen, wie Amalia die Glefe fixiert hatte. Amalia hatte noch nie solch eine seltsame, altertümlich wirkende Waffe gesehen. Vor allem deren Länge entlockte ihr ein erstauntes Murmeln. Sie überragte sogar Julien, der mit seinen etwa einsfünfundachtzig der Größte in ihrer Gruppe war. Dennoch wirkte sie filigran mit der gebogenen, schwarzen Klinge, deren silberner Umrandung und dem dünnen Stab aus dunklem Ebenholz. Um den Übergang zwischen Stab und Schneide, wo auch eine glasähnliche Kugel fixiert war, hatte Freya ein nachtblaues Tuch gebunden.

      »Sie besitzt noch ein kleines Extra.« Freya nahm die Waffe und drückte mit dem Daumen auf einen unscheinbaren Knopf. Plötzlich fuhr auf der Unterseite eine kurze, zweischneidige Klinge heraus. Amalias Augen weiteten sich überrascht.

      Yatos Gewehr und der Revolver, den er soeben aus seinem Gürtelholster zog und dazulegte, hatten ein rotbraunes Griffstück, einen goldenen Abzug und goldene Zierelemente auf den dunklen Läufen. Bei beiden Schusswaffen befand sich die Kugel im Griff.

      »Amalia«, begann Julien zu erläutern, »wie du bereits weißt, gibt es Menschen wie dich und mich, die in der Lage sind, Geisterwesen wahrzunehmen. Bei den Nightingales und den Jackdaws gab es immer wieder Einzelne, bei denen diese Fähigkeit besonders ausgeprägt war. In ein paar Überlieferungen wird davon gesprochen, dass es Nightingales gab, die ohne ihre Augen sehen konnten. Was dies genau bedeutet, kann ich dir auch nicht sagen. Bei den Jackdaws hingegen besitzen manche die Gabe, die Fähigkeiten der anderen zu erkennen, so wie Collin.« Amalia forderte ihn durch ein Nicken auf, weiter zu erzählen. »Die Nightingale-Familie wollte einen Ort schaffen, an dem ihre Kinder und Kindeskinder sowie alle anderen mit ebensolchen oder ähnlichen Gaben ein sicheres Zuhause fanden und dabei lernten, mit ihren Fähigkeiten umzugehen. So gründeten sie im fünfzehnten Jahrhundert diese Akademie. Sie übernahmen das heruntergewirtschaftete und fast völlig zerstörte Kloster, bauten es neu auf und schützten die Mauern mit einem Siegel, das mit Fuchsfeuer eingebrannt wurde, vor den Groohls.« Mit einem kurzen Blick zu Amalia überprüfte Julien, ob sie ihm noch folgen konnte. »Als immer mehr Groohls auftauchten, deren Kräfte sich beunruhigend schnell entwickelten, wurde ein interner Orden namens Doom Slayer gegründet. Dort fanden sich die mit den stärksten Fähigkeiten zusammen und waren dadurch in der Lage, sich den Geisterwesen zu stellen. Gemeinsam jagten und vernichteten sie die verdammten Seelen und jene, von denen sie Besitz ergriffen hatten.«

      Amalia lief ein unangenehmer Schauer den Rücken hinab. Welche Eigenschaften hatten diese Kreaturen noch und war jede von ihnen anders? Fragen über Fragen stapelten sich in ihrem Kopf.

      »Da die Groohls und verfluchte Seelen nie völlig ausgelöscht werden können, wird der Orden mit seinen Aufgaben und Traditionen bis heute aufrechterhalten. Wir drei bilden eines der fünf Teams der Doom Slayers. Der Kodex des Ordens ist es, die Menschen vor den verdammten und verfluchten Seelen zu schützen und das Gleichgewicht der beiden Welten zu bewahren.« Julien schielte stolz zu Yato und Freya, die gelangweilt Löcher in die Luft starrten. Sie kannten diese Geschichte auswendig.

      »Hat


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