Lache Bajazzo. Artur Hermann Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Hermann Landsberger


Скачать книгу
Hut in der Hand stand er auf der Strasse, der Wind fegte ihm durchs Haar; er lehnte den Kopf zurück und sah zu dem schwarzbewölkten Himmel, streckte breit beide Arme aus und sagte:

      „Endlich!“

      „Siehst du denn nicht, dass es giesst?“ rief ihm Werner zu. „Setz den Hut auf!“

      Aber Holten schüttelte den Kopf.

      „Die Kleider möchte ich mir vom Leibe reissen!“ rief er, „und mich stundenlang von Wind und Regen durchpeitschen lassen! – Ja, geht es dir denn nicht ebenso?“ wandte er sich an Werner – „Hältst denn du das aus? erstickst denn du da nicht?“

      „Ich kenne es nicht anders,“ sagte Werner, „aber ich sehe ein, du kannst das nicht.“

      „Nie!“ versicherte Carl.

      Sie stiegen in einen Wagen.

      „Wo willst du hin?“ fragte Werner.

      „Lass den Wagen öffnen und dann ins Freie!“

      „Undenkbar! bei dem Wetter!“ erwiderte Werner, „du holst dir den Tod!“

      „Dann irgendwo anders hin! Nur fort von hier und unter Menschen, die sich geben, wie sie sind.“

      Werner lächelte.

      „Das gibt es nicht.“

      „Dann in eine Spelunke!“ rief Carl. „Meinetwegen unter Dirnen und Verbrecher! aber Naturlaute muss ich hören.“

      Und Werner überlegte, stieg in den Wagen und rief dem Chauffeur zu:

      „Zum schwarzen Ferkel!“

      Zweites Kapitel

      Im schwarzen Ferkel

      Der Wind peitschte den Regen an die Wagenfenster. Die Tropfen liefen in langen Strähnen die Scheiben entlang, so dass man nicht erkennen konnte, wo man sich befand. Das grelle Licht, das plötzlich aufblitzte, kam vom Friedrichstrassenbahnhof her, unter dem das Auto eben hindurchraste. Rechts und links spritzte es aus den Pfützen die Wagentüren hinauf, und ein paar Weiber liefen kreischend mit hochgeschürzten Röcken über den Damm. Dann verschwand die Helle wieder; man sah hier und da die Bogenlampen der grossen Hotels, deren Licht wie der Schein des Mondes hinter Wolken verschwamm.

      Mit unverminderter Geschwindigkeit ging es über die Weidendammerbrücke, man streifte das Rad einer Droschke, die ins Wanken kam. Die Insassen schrien auf, der Kutscher schimpfte niederträchtig und ein Schutzmann, der triefend unter einer Laterne stand und in seinem langen Mantel aus Gummi wie ein Seehund glänzte, wühlte in der Tasche seines Rockes, aus der er mit gewichtiger Miene sein Wachtbuch zog.

      Das Auto fuhr in die Elsasserstrasse und hielt auf der linken Seite vor einem jener alten Häuser, die da wie die Riesen stumpfsinnig und unterschiedslos in den Himmel wachsen.

      Sie stiegen aus und liessen das Auto warten. Neben dem Haustor führte eine schmale Tür auf einen Gang, der zur Garderobe hergerichtet war. Werner warf ein Zweimarkstück hin. Eine alte Frau riss die verklebten Augen auf, staunte, nahm ihnen Hüte und Mäntel ab, schimpfte aufs Wetter und sagte, als Carl um die Garderobemarke bat:

      „Aber Herr Iraf, ich kenne Ihnen doch. Sie brauchen doch keene Marke.“

      Carl sah sie gross an.

      „Sie – mich?“ fragte er allen Ernstes, „das muss wohl ein Irrtum sein.“

      Werner musste lachen und sagte:

      „Leugne nicht, Carl, du bist hier Stammgast.“

      Nun war auch Carl im Bilde und sagte heiter:

      „Ach so!“

      „Siehste Carle!“ sagte die Alte, „de bist erkannt,“ dann öffnete sie eine alte verstaubte rote Plüschgardine und rief: „Emil! besorch’ mal ne jute Mittelloge for’n Irafen Koks mit Jefolge.“

      Ein alter Mann mit krummem Rücken und abgeschabter grüner Livree kroch heran.

      „’S wird schwer sein,“ sagte er und musterte Carl und Werner. Die Alte zwinkerte mit den Augen und zeigte ihm verstohlen das Zweimarkstück. „Aber ’s wird sich schon machen lassen.“ – Er bog den Rücken noch krummer, schob die Plüschportieren auseinander und sagte: „Bitte, Herr Iraf!“

      Ein Dunstgeball von Rauch, Schweiss und schlechtem Parfüm, der von jedem der Tische aufkroch und sich an Decke, Wänden und Möbeln festsetzte, hing über dem Saal. Schwer, dick, dumpf, wie eine fest zusammengeballte Masse kroch es heran, und man hatte das Gefühl, sich daran zu stossen, wenn man tiefer in den Saal trat. Der fasste hundertfünfzig Personen und war überfüllt.

      „Rauche!“ sagte Werner und steckte Carl, der den Atem anhielt, eine Zigarette in den Mund.

      Der alte Mann nahm Carl bei der Hand und sagte:

      „So!“

      und schob sich und hinter sich Carl, dem wieder Werner folgte, durch den Saal. Es ging, da sie an Tische und Stühle stiessen, nicht ohne Stösse, Knüffe und ranzige Bemerkungen ab. Aber schliesslich standen sie doch vorn, vor einer primitiven Holzbühne, deren schmutziger Vorhang geschlossen war und von der ein paar Stufen in den Saal führten.

      Der alte Mann sah sich der Reihe nach genau die Leute an, die vorn an den ersten Tischen sassen. Dann sagte er zu Carl und Werner:

      „Warten Sie ’n Augenblick, ich bin gleich wieder da.“

      Er ging an einen der vorderen Tische, an dem zwei junge Kerle mit einem nicht mehr jungen Mädchen sassen, heran, beugte sich zu ihnen und redete leise auf sie ein. Allem Anschein nach machte er ihnen einen Vorschlag. Der eine der beiden Burschen schien auch gleich bereit, darauf einzugehen; aber das Mädchen stellte eine Reihe von Fragen. Schliesslich nickte auch sie mit dem Kopfe. Und der Alte kam wieder zu Carl und Werner zurück.

      „Die Herrschaften da,“ sagte er und wies auf den Tisch, an dem er eben verhandelt hatte, „sind so freundlich, for Ihnen zusammenzurücken.“

      Werner sah Carl an, der ganz unter dem Eindruck dieses neuen Bildes stand. Wie ungeheuerlich kontrastierte das von dem, dem er eben glücklich entronnen war.

      Wieder nahm der Alte Carls Hand und schob ihn an den Tischen der ersten Reihe vorbei zu dem Mädchen und den beiden Kerlen, die keinen Blick von ihm und Werner liessen, ihre Stühle zusammenschoben und Platz machten.

      „Aber wir wollen nicht stören,“ sagte Carl.

      Die Drei sahen ihn an.

      „Ne doch!“ sagte das Mädchen, „davon kann gar keene Rede sind. Kommen Se man hier nieder!“ und sie fasste Carl bei der Hand und zog ihn auf einen Stuhl. „So! An meine jrüne Seite! Det is der beste Tisch von die janze Bude.“

      „Sehr freundlich!“ sagte Carl und meinte es auch so.

      „Det will ick meinen! Na und Sie olle Stange,“ wandte sie sich an Werner, „heben Se doch den dicken Heinrich da nebenan aus die Fotölje; der is schon blau und merkt nich, wenn er ’ne Etage tiefer rückt!“

      Aber der Alte hatte schon einen Stuhl zur Hand, auf den sich Werner setzte.

      Dann winkte Werner eine Kellnerin heran. Und das Mädchen an ihrem Tisch, das beide mit einer Ungeniertheit und Gründlichkeit musterte, die beispiellos war, stiess Carl mit dem Ellenbogen an, wies auf ihr leeres Glas und die der beiden Kerle und sagte:

      „Na, Iraf – wie wär’s denn?“

      Carl begriff nicht, was sie wollte, aber Werner sagte zu der Kellnerin:

      „Fünf Dunkle!“

      und einer der beiden Kerle gab dem Mädchen durch Zeichen zu verstehen, dass nicht der Alte, sondern Werner „derjenige welcher“ war.

      Hinten am Ausgang begann man an ein paar Tischen zu trampeln. Andere folgten dem Beispiel und in wenigen Augenblicken waren sämtliche Beine des Saals in Bewegung.


Скачать книгу