Lache Bajazzo. Artur Hermann Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Hermann Landsberger


Скачать книгу
war, wie die Lieder der beiden anderen. Aber sonderbar! Hatten ihm die gepfefferten und aufdringlich gebrachten Spässe der anderen bedrückt und körperlich wehgetan, so wich angesichts dieser Erscheinung, ohne dass er darauf achtete, was sie sang, alles, was ihn beschwerte und niederdrückte. Es war das wie, von dem diese reinigende und befreiende Wirkung ausging.

      Und dass ihr Vortrag sich inhaltlich nicht wesentlich von dem der anderen unterschied, bewies der Beifall, der nach jedem Vers lärmend einsetzte.

      „Die möchte ich tanzen sehen!“ sagte Carl ohne ernste Absicht vor sich hin.

      „Das Vajnüjen kenn Se haben,“ sagte der Kerl, der neben Werner sass.

      „Wie?“ wandte sich Carl zu ihm um. „Sie meinen, sie wird noch tanzen?“

      „Wenn ick will – und Sie zahlen – warum nich?“

      „Wirklich? Das liesse sich machen?“ fragte Carl ganz erregt und wandte sich an Werner: „Weisst du, dafür bliebe ich noch einen Tag länger in Berlin.“

      „Nanu!“ sagte Werner erstaunt und sah jetzt erst, dass Carl völlig unter dem Eindruck dieses Mädchens stand.

      „Dazu brauchen Se Ihre Reise janich zu vaschieben,“ sagte der Kerl. „Bis morjen früh is noch de halbe Nacht.“

      „Liegt dir sehr viel daran?“ fragte Werner.

      „Unendlich viel! Mehr als du überhaupt ahnen kannst.“

      „Carl, Carl!“ drohte Werner scherzhaft, „du bist kein Jüngling mehr.“

      „Ich war es nie!“ erwiderte Carl. „Aber ich glaube, ich könnte es trotz meiner Jahre noch mal werden.“

      „Also,“ wandte sich Werner an den Kerl, „wollen Sie das in die Hand nehmen?“

      Das Mädchen am Tisch gab ihm einen Wink und sagte:

      „Mach doch, Otto!“

      Und Otto hielt Werner unter dem Tisch die flache Hand hin.

      Werner griff in die Tasche, holte ein Fünfmarkstück heraus, sagte: „Da!“ und legte es Otto in die Hand. Der besah es, verzog den Mund und schüttelte den Kopf. Das Mädchen hob sich ein wenig in die Höhe, beugte sich über den Tisch und sah auf Ottos Hand, in der das Geldstück lag.

      Sie prutschte los, machte zu Werner hin ein Zeichen, dass er wohl nicht ganz richtig im Kopfe sei und sagte:

      „Hab’n Sie ’n Schimmer von die schwarze Agnes.“

      Werner, der Carls Interesse sah, legte ein zweites Fünfmarkstück drauf. Wieder besah es Otto und schüttelte den Kopf. Wieder hob sich das Mädchen in die Höhe und beugte sich über den Tisch – diesmal mit dem ganzen Oberkörper – und schlug wütend von unten gegen die Hand Ottos, so dass die nach oben schnellte und beide Geldstücke in einem mächtigen Bogen durch den Saal flogen.

      Irgendwo kreischte ein Weib, ein paar Menschen fielen übereinander her, jemand schwang einen Stuhl, Gläser klirrten, Stimmen dröhnten, Schläge fielen dumpf und kurz, irgendwer schlug zu Boden – dann brach der Lärm plötzlich ab.

      „Sau!“ sagte Otto und schlug Ida die Faust ins Gesicht. Die verzog keine Miene. Keiner tat auch nur einen Blick nach der Stelle, von der der Lärm kam.

      Aber Carl war aufgesprungen; kerzengerade stand er da, die Lippen zusammengepresst, starr den Blick nach dem Tisch gerichtet, von dem der Lärm kam, keine Spur von Scheu war mehr an ihm. Sein Ausdruck war straff, scharf, bestimmt. Plötzlich huschte ein Schatten über seine Stirn. Es war der Augenblick, in dem die Gläser klirrten. Carl schaffte sich rücksichtslos Bahn, stiess rechts und links alles beiseite, stand an dem Tisch, beugte sich über einen Stuhl, riss ihn mitsamt einem Weib, das sich an ihn klammerte und schrie, in die Höhe, hielt ihn fest, als ein Schlag dumpf seinen Kopf traf, und trug ihn, selbst erstaunt über seine Kraft, hinaus, über den dunklen Flur, auf die Strasse.

      Werner sah es mit an und wusste keine Erklärung. Er warf ein Zehnmarkstück auf den Tisch und folgte Carl.

      Der stand bei strömendem Regen ohne Hut und Mantel mitten in der Nacht auf der Strasse und hielt in seinen Armen ein junges Weib, das er mit Leidenschaft ohnegleichen an sich drückte.

      *

      Keiner sprach ein Wort.

      Werner winkte das Auto heran, öffnete den Schlag und Carl barg seine Beute mit grosser Sorgfalt in den Wagen.

      Werner nannte dem Chauffeur seine Wohnung.

      „Wo bringst du mich hin?“ fragte müde eine weiche Stimme, die Werner zu kennen glaubte.

      Es waren die ersten Worte, die einer von ihnen sprach.

      Carl beugte sich über sie, schob das Tuch zurück, das sie sich hastig über Gesicht und Kopf geschlagen hatte, und sagte sanft:

      „Zu mir, mein Vögelchen!“

      Jetzt sah Werner zwei grosse schwarze Augen und erkannte sie wieder. Eine weisse Hand strich die Haare aus der Stirn. Ein feines, schmales Gesicht kam zum Vorschein.

      Die schwarze Agnes war es, die neben Carl sass.

      „Wer bist du?“ fragte sie, und unter ihrem Tuch kam das verstaubte Soubrettenkleid zum Vorschein.

      „Ein Dichter,“ erwiderte Carl.

      Sie sah ihn gross an, lächelte, fuhr ihm mit der Hand durchs Haar und sagte:

      „Komisch! – Wo hast du deinen Hut?“

      „Ich weiss nicht – is dir nicht kalt?“

      Sie schüttelte den Kopf, nahm seine Hand und führte sie an ihr Gesicht.

      „Da! Fühle, wie ich warm bin – so glühe ich am ganzen Körper.“

      „Hat man dich sehr geschlagen?“ fragte Carl.

      „Ja!“

      „Weshalb?“

      Agnes lachte verschmitzt und wies auf ihre Hand, die sie fest geschlossen hielt.

      „Was hast du da?“

      „Aber nicht fortnehmen,“ sagte sie und spreizte die Finger. Es war das Fünfmarkstück, das das Mädchen am Tisch dem Kerl neben Werner aus der Hand geschlagen hatte.

      „Ich sah, wie du von der Bühne aus an den Tisch stürztest – du wirbeltest förmlich.“

      „Ja, ich bin flink.“

      „Willst du, dass ich dir zu dem Gelde was hinzutue?“

      Agnes fiel Carl um den Hals und küsste ihn ins Gesicht.

      „Bitte! Bitte!“

      „Später!“

      „Nein, jetzt!“ Sie liess ihn wieder los. „Du hast es versprochen! Jetzt gleich! Oder ...“ Und sie machte sich an der Tür des Wagens zu schaffen.

      Carl griff ängstlich nach ihr und zog sie zurück.

      „So komm!“

      Er griff in die Tasche und holte eine Handvoll Silber heraus.

      Agnes stand vor ihm. Werner kümmerte sie gar nicht.

      „Gib! Gib!“ rief sie und leerte hastig seine Hände. Dann schlang sie die Arme wieder um seinen Hals und sagte:

      „Ich habe dich lieb! – Sag, du bist wohl sehr reich?“

      „Wozu brauchst du das Geld?“ fragte Carl.

      „Für ein neues Kleid – um nicht so herumzulaufen!“ und sie wies auf das abgenutzte Kostüm. „Aber die Kerls sind ja so schäbig – und dann ...“ sie unterbrach plötzlich und sagte: „Na! – bex!“

      „Ich will dir ein neues Kostüm kaufen – das heisst, dahin, in diese Gesellschaft solltest du nicht mehr ...“

      Was er weiter


Скачать книгу