Lache Bajazzo. Artur Hermann Landsberger
wie ihr ganzer Körper nur noch einer Verkündung höchsten Glücksgefühls glich, das mit anzusehen war ein Genuss sondergleichen.
„Sieh nach der Uhr!“ sagte sie endlich.
„Es ist eins vorbei.“
„Also noch sieben Stunden. Um acht werden die Geschäfte geöffnet. Kennst du Baruch am Alexanderplatz? Da gehen wir hin. Du, aber der ist teuer. Dafür hat er aber die schönsten Kostüme! Ja, und lumpen wirst du dich doch nicht lassen. Otto sagt, da kaufen sogar die richtigen Schauspielerinnen aus den grossen Theatern.“
Wieder verwischte der ästhetische Anblick das Hässliche ihrer Rede so vollkommen, dass man nicht einmal das Gefühl hatte, wenn sie doch schweigen wollte.
„Was sagst du dazu?“ fragte Carl mit einem Blick auf Agnes seinen jungen Freund.
„Ich bin, wie du, voller Bewunderung,“ erwiderte Werner, „trotzdem staune ich über dich.“
„Weil du meine jahrelange Sehnsucht nicht kanntest.“
„Wonach hast du dich gesehnt?“ fragte Werner.
„Danach!“ sagte Carl und riss Agnes an sich.
Wie ein Jüngling, dachte Werner und schüttelte den Kopf, als er Carls Rausch und Begeisterung sah.
Als das Auto hielt, fragte Agnes:
„Wo sind wir hier?“
Werner sagte:
„Bei mir.“
„Wo ist das?“
„Im Tiergarten.“
Agnes sah zum Fenster.
„Aber da stehen ja Häuser,“ sie beugte sich nach vorn. „Oh!“ rief sie voller Bewunderung, „das ist ja ein Palast! Wohnst du hier?“
„Ja!“
„Bist du auch Dichter?“
Werner nickte.
„Verdient man als Dichter denn so viel Geld?“ fragte sie, als sie jetzt in ihr Tuch gehüllt, das Carl besorgt am Halse festhielt, vor dem Hause stand.
„Das Haus gehört meinem Vater.“
Werner schloss die Haustür auf.
„Ich gehe voraus!“ sagte er.
Carl und Agnes blieben stehen.
Plötzlich lag die weite Diele hellerleuchtet vor ihnen.
Agnes hielt sich die Hände vor die Augen, zitterte in Carls Armen und rief ängstlich:
„Was ist das?“
„Blendet’s dich?“ fragte Carl.
„Nein!“ rief Agnes, deren Augen sich an die Helle gewöhnten, und staunte den Raum an. „Gehört das alles dir? – Oder was bist du hier?“
„Ich wohne hier zusammen mit meinem Vater,“ sagte Werner. „Gefällt’s dir hier? Sonst gehen wir da hinein; da ist es wohnlicher.“
Er öffnete die Tür und ging voraus. Agnes folgte an Carls Hand mit aufgerissenen Augen – wie ein Kind, dem man von einem Wunderlande erzählt. Sie wagte kaum, die Füsse aufzusetzen und hielt Carls Hand so fest, dass der unwillkürlich den Druck erwiderte.
Werner, der ihr Erstaunen sah und es als Freude deutete, öffnete Portieren und Türen, die in die Nebenzimmer führten und erleuchtete alle Räume.
Carl nahm ihr das Tuch ab.
Wie eine Bettelprinzessin stand sie in all dem Reichtum. Sie rührte sich nicht vom Fleck. Ihre Augen gingen die Decken und Wände entlang, hingen an Bildern, Statuen und Möbeln, sahen zu den schimmernden Kronen auf, hefteten sich auf die Gobelins und Perser, sahen staunend all die Pracht, leuchteten hell auf und füllten sich dann mit Tränen.
„Was ist dir?“ fragte Carl besorgt.
Agnes biss die Lippen aufeinander. Ein harter, herber Zug trat um den Mund, sie ballte die Faust, krampfte die Finger, stampfte mit den Füssen auf, zitterte am ganzen Körper und sagte mit einer Stimme, die wie die eines unartigen Kindes klang:
„Ich will ... ich will!“
„Was willst du?“ fragte Carl.
Sie sah ihn mit Augen, die noch voll Tränen standen und doch schon wieder lachten, an, warf sich auf eine Chaiselongue, auf der ein schwerer seidener Perser lag, dehnte und streckte sich, rief Carl zu:
„Komm!“ Carl trat zu ihr heran. „Hier – so!“ zog ihn zu sich herab, so dass er kniend vor ihr sass, und spielte wieder in seinem vollen Haar.
„Ganz grau bist du, Onkelchen – altes Onkelchen! – Aber ich hab dich lieb.“ Dann betrachtete sie sich, fuhr mit der Hand über ihr Kleid und sagte:
„Pfui! die ollen Fetzen! – Willst du, dass ich sie runterreisse?“
„Morgen, Vögelchen, morgen!“ sagte Carl. „Wir müssen erst neue kaufen.“
„I was!“ rief Agnes übermütig. „Heute!“ Und zu Carls Erstaunen zerrte sie mit ihren Füssen den Rock herunter, öffnete die Taille, hob sich kaum hoch, schlüpfte heraus, warf die Sachen in weitem Bogen ins Zimmer, tastete den Körper, dessen ganze Schönheit erst jetzt voll zur Geltung kam, mit ihren weissen Händen ab, sagte zu Carl:
„Zieh mir die Schuhe aus!“
dehnte und streckte sich voller Behagen, hob an beiden Seiten den seidenen Perser, der bis über den Boden reichte, hoch, und wickelte sich darin ein; nur den Kopf und die weissen Arme liess sie draussen.
Werner, der des eigenartigen Besuches und der späten Stunde wegen den Diener nicht wecken wollte, war selbst hinausgegangen, um Champagner zu holen, mit dem er eben wieder ins Zimmer trat.
Als Agnes es sah, fuhr sie wie der Blitz auf, strahlte über das ganze Gesicht, warf die Arme hoch und rief:
„Champagner! – her! her! Ich verdurste!“
Sie jauchzte vor Freude laut auf, als der Pfropfen knallte, und stürzte das erste Glas, das Werner ihr reichte, ehe er Carl und sich noch eingegossen hatte, in einem Zuge herunter.
„Mehr! mehr!“ rief sie und streckte Werner das leere Glas hin, das er füllte, und das sie im selben Tempo heruntergoss. Dann jauchzte sie laut auf und rief:
„Kinder! ist die Welt schön!“
„Kennst du sie denn?“ fragte Carl, der sich ein Kissen herangerückt hatte und neben der Chaiselongue zu ihren Füssen sass.
Agnes lachte; sie verstand ihn nicht.
„Da ich doch lebe, muss ich sie doch kennen,“ sagte sie.
„Ich meine die ganze Welt da draussen – weisst du, die Berge und die Seen und all, die fremden Völker, zu denen man Tage und Wochen reist, um zu ihnen zu gelangen.“
„Ja, aber dazu gehört doch Geld, viel Geld – das können doch nur die Reichen.“
„Möchtest du das?“
Ihre Augen glänzten.
„Ja!“ sagte sie lebhaft. „Wenn ich reich wäre!!“
„Was tätest du dann?“
Agnes sah ihn an und lachte, dann setzte sie das volle Glas an und trank es aus.
„Das täte ich! Alle Tage! Und dann hätte ich eine Wohnung wie diese.“ Sie sah sich um. „Vielleicht auch anders, weisst du, nicht so schwer, das macht traurig; mehr schlanke Möbel und Schränke aus Glas und viel viel Vasen und Gläser.“
Werner öffnete die zweite Flasche.
„Gib mir die Propfen! sonst glaubt’s mir die dicke Ida morgen nicht.“ Sie besah den Korken. „Du, is das ’ne feine Marke?“ Sie buchstabierte: Mo – ett et Schandon.“