Lache Bajazzo. Artur Hermann Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Hermann Landsberger


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Falten, schien nachdenklich und sagte schnell:

      „Nein, nein, lass; ich will nicht!“

      „Aber ich tue es gern.“

      „Wozu?“ sagte sie fast ärgerlich. „Ich will nicht – es hat ja doch keinen Sinn. Ihr wisst ja nicht ... Wenn das so wäre, ja!“ – und dabei wies sie wieder auf den Glanz der Wohnung. „Aber da oben,“ und dabei streckte sie verzweifelt die Arme aus und rief: „Ach wenn das doch nicht wäre!“ Sie richtete sich jetzt ganz auf und stand, nichts am Körper als Hemd und Strümpfe, auf der Chaiselongue: „Aber ich will nicht, will nicht – helft mir doch! du! du!“ rief sie und warf sich an Carls Hals. „Du musst mir helfen!“

      Werner war von der Traurigkeit, die in jeder Bewegung lag und sich wie ein Schatten, den man mehr fühlte als sah, auf den ganzen Körper übertrug, erschüttert. Er musste an Chopin denken, wie ihn die Derp tanzte. Hier, bei Agnes empfand er die Wirkung, schon weil sie unbewusst war und nicht durch den Verstand ging, verhundertfacht.

      „Willst du nicht tanzen?“ fragte er ganz unvermittelt.

      Sie liess Carl los und sah ihn an.

      „Willst du’s?“ fragte sie, und Carl sagte:

      „Bitte!“

      „Wirst du mir helfen?“

      Carl nickte.

      „Spiel!“ rief sie Werner zu.

      „Was soll ich spielen?“

      „Was du willst.“

      „Aber ich muss doch wissen, was du tanzen willst.“

      „Das weiss ich selbst nicht.“

      „Wie?“ fragte Werner.

      „Das hängt davon ab, was du spielst.“

      „Soll es traurig sein oder heiter?“

      „Heiter! Denn ihr wollt mir ja helfen!“

      Und Werner ging an den Flügel und spielte ...

      Agnes zog von einem der Tische eine Decke herunter und warf sie sich über. Wie einen langen Schal band sie sie fest um ihren Leib und liess sie lose über die Beine fallen, so dass sie bis zu den Knien bedeckt waren. Brust und Schultern blieben entblösst. Dann zuckte im Takte der Musik der ganze Körper ein paarmal heftig zusammen – und Agnes tanzte, dass Lust und Fröhlichkeit sich auf Tische, Stühle und Bilder übertrugen und alle Zimmer lebendig wurden.

      Und Carl stand mit leuchtenden Augen am Flügel, den Kopf ein wenig nach vorn gestreckt, den Mund, um den ein Lächeln spielte, leicht geöffnet, die Arme halb erhoben, die Finger in Bewegung und merkte nicht, wie ein Gefühl in ihm erwachte, emporwuchs, über ihn Macht ergriff, ihn schliesslich ganz erfüllte.

      Werner, der ohne Noten spielte, und mit seinen Augen an Agnes hing, folgte ihrem Tempo, raste über die Tasten und hielt erst inne, als sie plötzlich laut aufschrie, die Arme hochwarf und vor Carl zusammenstürzte.

      Drittes Kapitel

      Carl reiste am nächsten Tage nicht.

      Eine ganze Woche lang blieb er in Berlin. Und als er am Abend des neunten Tages vor seinem Coupé stand und der Schaffner an ihn herantrat und sagte: „So steigen Sie doch ein! Wir fahren ab,“ da schloss er Agnes, trotz den vielen Menschen, die ihm das Geleite gaben, in die Arme, küsste sie und drückte sie an sich.

      „In zehn Tagen!“ sagte er, und die Tränen, die ihm in den Augen standen, und der Ausdruck seines Mundes, um den sich scharf jedes seiner Gefühle prägte, zeigten, wie ihm ums Herz war.

      Das Zeichen ging in die Höhe; der Zug setzte sich in Bewegung.

      Carl nickte den anderen flüchtig zu und sprang behende wie ein Jüngling in den Zug, riss das Fenster herunter, beugte den Oberkörper heraus und winkte mit beiden Armen Agnes zu, als wenn er sie noch in letzter Minute zu sich emporziehen wollte.

      Und Agnes lächelte und nickte, trippelte noch ein paar Schritte neben dem Zug her und rief ihm, als die Maschine schon aus der Bahnhofshalle fuhr, mit ihrer weichen Stimme zu:

      „Denk an dein Vögelchen!“

      Und wer ihn so sah, wusste, dass er an nichts anderes denken würde. –

      „Wie ausgewechselt seit ein paar Tagen,“ sagte der Direktor.

      „Ja! die Weiber!“ rief der Geheimrat, lachte und hielt sich den Bauch.

      Der alte Brand stand in Gedanken, schüttelte den Kopf und sagte:

      „Mir gefällt das nicht!“

      „Philister!“ sagte der Direktor und klopfte ihn auf die Schulter. „So gönnen Sie ihm doch diese harmlose Eskapade.“

      „Wenn es das wäre,“ erwiderte Brand, „vom Herzen gern! Aber ihr kennt ihn nicht! Wie seine Dichtung, so ist der ganze Mensch. Tiefgründig – schwerblütig – gradlinig!“

      „Was heisst das, gradlinig?“ fragte der Geheimrat.

      „Dass er seiner ganzen Natur nach unkompliziert ist, dass es die tausend Nebenstrassen, die unser Leben erst bunt und abwechslungsreich machen, für ihn nicht gibt. Nicht geben kann, da er in seinem Handeln ebenso primitiv ist wie in seinem Gefühl. Und darin liegt auch seine beste Kraft: in dieser Einheit. Ein Guss das Ganze. Da ist, wenn’s sich um das Gefühl handelt, kein Bruch, kein Sich-teilen, kein Kompromiss möglich!“

      Der Geheimrat verzog das Gesicht.

      „Das ist mir zu hoch,“ sagte er. „Aber den Menschen möcht’ ich sehen, der heute, ohne Kompromisse zu machen, weiter kommt.“

      „Das Genie schon,“ sagte Brand, „das Talent freilich nicht.“

      „Nu, da is mir schon lieber, ich bin kein Genie.“

      „Und dann fürchte ich ...“ fuhr Brand fort, brach aber ab, da Agnes nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war.

      Und während den alten Brand die innere Wandlung Carls mit Sorge erfüllte, dachte Werner über die Veränderung nach, die sich in der kurzen Zwischenzeit mit Agnes vollzogen hatte:

      Am Morgen nach jener an Ereignissen reichen Nacht war der Zusammenschluss zwischen Carl und Agnes bereits vollzogen. Beide erklärten bestimmt und feierlich, nicht mehr voneinander lassen zu können. Carl aus der Tiefe seines Herzens heraus und aus innerster Ueberzeugung, Agnes, nachdem sie die Daseins- und Entwickelungsmöglichkeiten, die ihr ein Anschluss an Carl versprach, gegenüber dem Leben an der Seite Ottos und im Ferkel gewissenhaft gegeneinander abgewogen hatte. Und das hatte ein so gewaltiges Plus zugunsten Carls ergeben, dass sie schon am nächsten Morgen nicht nur in die Trennung von Otto und in die Aufgabe ihrer künstlerischen Tätigkeit im Ferkel einwilligte, sondern für Carl sogar so etwas wie eine, freilich mehr kindliche und schülerinnenhafte Zuneigung verspürte.

      Die Auseinandersetzung mit Otto und dem Besitzer des Ferkels, die rein geschäftlicher Natur war, hatte sich nicht ganz glatt vollzogen. Otto hatte seine „Braut“ ganz ungeniert als ein Wertobjekt von vielseitigen Möglichkeiten bezeichnet und sich auf das Sachverständigenurteil des Ferkelwirtes berufen. Der prophezeite Agnes eine grosse Zukunft und meinte:

      „Wenn ick der zwischen die Finger behalte, macht se ’ne Karriere wie die Perle vom Ganges.“

      Und als Werner, der für Carl handelte, fragte, was das denn in Zahlen ausgedrückt bedeute, da sagte der Wirt:

      „De Woche zweiunddreissig Mark.“

      Als man sich schliesslich geeinigt hatte, sagte Otto:

      „Einmal will ick ihr aber noch sehen.“

      Kein Angebot vermochte ihn von dieser Forderung abzubringen. Und Werner setzte es erst nach vielem Reden durch, dass er dieser Begegnung beiwohnen durfte. Ein Tag der übernächsten Woche wurde vereinbart. –

      Agnes kam zu Werners Freundin,


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