Lockvogel. Theresa Prammer
voller guter Ideen.“
„Ich krieg einen Fleck nach dem anderen. Er hasst mich einfach.“
„Das tut mir leid.“ Er wollte schon gehen, drehte sich aber noch mal um. „Manchmal gibt es solche Menschen. Du kannst die süßeste, köstlichste Erdbeere der Welt sein, aber wenn jemand einfach keine Erdbeeren mag oder vielleicht allergisch dagegen ist, was ist dann?“
Sie hob die Schultern.
„Keine Ahnung … dann mag er sie trotzdem nicht?“
„Ganz genau. Er mag sie trotzdem nicht. Und es hat nichts mit der Erdbeere zu tun. Ich mag Erdbeeren. Sehr. Und du?“
Sie sah ihn an. Sehr langsam hob sich ihr Mundwinkel zu einem halben Lächeln, das sich wie in Zeitlupe zu einem Strahlen ausbreitete.
„Ich auch.“
Er nickte ihr zu. Sie lächelten einander an, und im selben Moment entschied er, doch zu bleiben. Er hatte da seine persönliche Erdbeere im Rucksack in Form des Drehbuchs, an dem er die letzten vier Jahre geschrieben hatte. Unzähligen Produktionsfirmen hatte er es geschickt, die meisten hatten nicht einmal geantwortet. Und wenn er eine Rückmeldung bekommen hatte, dann waren es die üblichen Floskeln: man hätte „momentan keinen Bedarf“, „die Kapazitäten wären im Moment ausgereizt“. Wahrscheinlich hatte nie einer mehr als die ersten drei Seiten gelesen.
Deswegen war er am Morgen hergefahren, hatte sich versteckt, dem Catering beim Ausliefern zugesehen, sich in einem günstigen Moment ins Haus geschlichen, Hemd, Hose und Fliege aus dem Badezimmer geklaut, in dem sich die Kellner umzogen. Alles nur, um Alexander Steiner, einem der erfolgreichsten Regisseure des Landes, persönlich sein Drehbuch in die Hand zu drücken.
Die nächsten Stunden zogen sich: auftragen, abservieren, auftragen, abservieren. Immer wieder sah er Alexander Steiner, umringt von wichtigen Leuten – oder zumindest von solchen, die sich dafür hielten. Das Mädchen sah er nicht mehr.
Es war schon fast Mitternacht, der DJ war eingetroffen, die Party hatte sich wegen eines plötzlichen Wolkenbruchs nach drinnen verlagert, da endlich entdeckte er Alexander Steiner alleine. Er stand auf der Terrasse und paffte im Halbdunkeln eine klischeehaft dicke Zigarre.
Das war seine Chance.
Eilig wühlte er sich durch die Menschenmenge, fischte das Drehbuch aus dem Rucksack, ging wieder zurück zur Terrassentür.
Mist, jetzt war er zu spät. Alexander Steiner war nicht mehr alleine. Neben ihm stand der dunkelhäutige Barkeeper. Er hielt etwas in der Hand, eine schwarze Box. War das eine DVD-Hülle?
„Ich bin Schauspieler, mache das hier nur nebenbei“, hörte er die erstaunlich hohe Stimme des Barkeepers. „Mein Demoband ist auf dem neuesten Stand, und ich dachte mir …“
Er hatte das Gefühl, in seiner Brust würde ein Fahrstuhl abstürzen. Alexander Steiner sagte was, das er wegen der Zigarre zwischen seinen Lippen nicht verstehen konnte. Es klang unfreundlich. Der Barkeeper wollte etwas erwidern, da nahm ihm Alexander Steiner die schwarze Hülle ab und schleuderte sie in den Swimmingpool. Der Barkeeper schnappte nach Luft. Alexander Steiner ließ seine Zigarre auf den Boden fallen und trat sie aus, dann drehte er sich um und kam an ihm vorbei, als er das Wohnzimmer betrat.
Der Barkeeper schaute fassungslos hinterher.
„Was für ein Arschloch. Dafür lass ich eine Kiste von deinem scheiß Champagner mitgehen.“
Der aufgebrachte Schauspieler beachtete ihn gar nicht, als er dem Regisseur folgte.
Und dann war er alleine. Das Drehbuch in seiner Hand fühlte sich zentnerschwer an.
Er ging hinüber zum Swimmingpool, betrachtete die DVD-Hülle, die auf dem Wasser schaukelte. Das war es. Ein deutlicheres Zeichen brauchte er nicht.
Er holte aus, um sein Drehbuch in den Pool zu werfen. Da zupfte ihn jemand am Hemd.
Es war das Mädchen.
„Wolltest du ihm das geben?“
„Was?“, fragte er geistesabwesend.
Sie deutete auf sein Drehbuch.
„Es kommen immer wieder irgendwelche Schauspieler oder Leute mit Filmideen her und glauben, das bringt was. Aber das tut es nie. Im Gegenteil, er macht sich darüber jedes Mal lustig.“
„Woher weißt du das?“
„Ich bin Zoe Steiner. Er ist mein Vater. Wenn du es mir dalässt, dann geb ich es ihm. Ich werd sagen, ich hab gesehen, wie es jemand dem Bitlinger gegeben hat, und hab es ihm aus der Tasche genommen, als er gegangen ist. Dann interessiert es ihn sicher. Er hasst den Bitlinger, weil der ihn bei einem Filmprojekt unterboten hat.“
Er war zu perplex, um zu antworten.
Sie nahm ihm das Drehbuch einfach aus der Hand, grinste und sagte: „Wir Erdbeeren müssen doch zusammenhalten.“
Dann schlüpfte sie zurück ins Wohnzimmer und war in der tanzenden Menschenmenge verschwunden.
***
Die Morgendämmerung setzte ein, doch sie konnte noch immer nicht schlafen. Mit dem Koks hatte sie es ein bisschen übertrieben, aber wenn sie jetzt einen Downer nahm, würde sie den ganzen Tag flachliegen. Die letzten Gäste waren vor zwei Stunden gegangen. Das Wohnzimmer sah aus wie ein Schlachtfeld. Mit dem Wolkenbruch hatte niemand gerechnet.
Und nachdem dann auch noch die Barkeeper einfach um Mitternacht abgehauen waren, hatten alle begonnen, sich die Drinks selbst zu mixen. Zum Glück hatte sie in weiser Voraussicht einen ganzen Putztrupp für heute bestellt. Obwohl Alexander protestiert hatte, dass sie sich das sparen könnten, wenn sie beide der Frau Ilda helfen würden. Doch darauf fiel sie nicht mehr rein. Er hätte dann doch wieder was wahnsinnig Wichtiges zu tun und sie wäre allein mit der sechzigjährigen Haushaltshilfe und könnte sich abrackern. Sie zog den Bademantel fester, dieses blöde Paillettenkleid hatte ihr in die Achseln geschnitten. Außerdem brannten ihre Füße höllisch, ihre Zehen waren ganz rot und gequetscht von den High Heels.
Sie nahm sich eine halb volle Flasche Champagner und öffnete die Terrassentür. Die Luft war frisch, der kühle Stein fühlte sich gut an unter den Sohlen.
Der Sonnenaufgang färbte den Himmel über dem Pool in einem satten Orange. Sie würde jetzt ihre Füße reinhängen und einfach warten, bis die Müdigkeit einsetzte.
Irgendwas lag da im Wasser. Etwas Dunkles. Ohne Kontaktlinsen und Brille konnte sie nicht erkennen, was da im Pool schwamm. Sie trat näher.
Der grelle Schrei, der ihr entfuhr, als sie den ungeschickten Kellner von gestern Abend tot im Pool treiben sah, weckte das ganze Haus.
WIEN – Tragödie bei Promi-Party Es sollte die Party des Jahres werden. Der berühmte Film- und TV-Regisseur Alexander Steiner („Das letzte Wiedersehen“ gewann den deutschen Filmpreis, Anm. d. Red.) und seine Frau Sybille gaben ihr alljährliches rauschendes Fest. Unter den Gästen des beliebten Ehepaars war zahlreiche Prominenz aus Medien, Politik und Wirtschaft (siehe Bericht Chronik). Doch der Schock am nächsten Morgen machte die schönen Erinnerungen zunichte. „Im ersten Moment dachte ich, da hat sich jemand einen Scherz erlaubt“, sagte Sybille Steiner, die den Toten fand. „Es war einfach schrecklich, wie er im Wasser trieb. Den Anblick werde ich mein Leben lang nicht vergessen.“ Über die Identität des Opfers gibt es keine Angaben. Der Mann war keiner der Gäste, und es ist noch unklar, ob es sich bei ihm um einen Angestellten der Catering-Firma handelte. Auch die Frage nach Fremd- oder Eigenverschulden muss erst von der Polizei geklärt werden. „Ich hoffe, wir finden bald Antworten“, sagt Alexander Steiner. „Zurzeit stecke ich in den Dreharbeiten meiner neuen Serie. Aber ich werde natürlich jederzeit für die Aufklärung zur Verfügung stehen.“ Vor einer Woche erst haben die Aufnahmen zu „Die Liebenden“ (eine Romanze zwischen einer Jüdin und einem Offizier der SS während des Zweiten Weltkriegs) in Wien begonnen, mit den hochkarätigen Schauspielern Anna Ferry und Hermann Thiel. |