Lockvogel. Theresa Prammer

Lockvogel - Theresa Prammer


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Nacht hatte sie noch weniger geschlafen als sonst. Blendete sie all ihre Sorgen aus, dann musste das eben ein Tourist gewesen sein, Schönbrunn war schließlich ganz in der Nähe. Trotzdem drehte Toni sich auf dem Weg noch ein paar Mal um, ganz plötzlich, als wäre ihr etwas eingefallen, das sie vergessen hatte. Doch außer einer alten Frau, die erschrocken zusammenzuckte, war niemand hinter ihr.

      Und dann war sie am Ziel.

      Das Gebäude sah herrschaftlich aus. Roter Backstein, hohe Fenster, zwei Treppen, die zum Rundbogen-Eingang führten. Toni war so nervös, dass sie beim Überqueren erst in der Mitte der Straße überprüfte, ob ein Auto kam.

      Auf dem Schild der Detektei war das „3. Stock“ durchgestrichen, stattdessen war mit Edding ein Pfeil gemalt und darunter stand „Innenhof, 1. Stock“.

      Dort befand sich ein weiteres Haus, baufällig und schäbig. Als hätte man es hier hinten versteckt, weil es so erbärmlich aussah. Es schien nachträglich errichtet worden zu sein, wahrscheinlich in den Fünfzigerjahren. Abgebröckeltes, graues Mauerwerk. Alte Fenster mit abgesplitterten Holzrahmen. Im Erdgeschoss ein paar eingeschlagene Scheiben, die notdürftig mit Karton zugeklebt waren. Eine dreifarbige Katze schlich an der Mauer entlang und verschwand um die Ecke.

      Als Toni das Haus betrat, stach ihr eine Mischung aus Urin und Verwesung in die Nase. Neben der Tür im schmalen Korridor des ersten Stocks stapelten sich Akten wie schiefe Türme an den Wänden entlang.

      „Hallo?“

      „Hinter der braunen Tür. Kommen Sie rein“, antwortete eine knarrende Stimme.

      Wahrscheinlich war das Fernsehen daran schuld, dass sich Tonis Vorstellungen eines Privatdetektivs in mit Klischees gespickten Superlativen bewegten. Athletisch, damit er jede Verfolgungsjagd zu Fuß aufnehmen konnte. Durchtrainiert, damit ihm nie die Kondition ausging. Und attraktiv, damit alle Frauen, die wegen ihres untreuen Ehemanns seine Dienste in Anspruch nahmen, in seinen starken Armen Trost fanden. Mit Abweichungen nach unten und oben hatte sie gerechnet. Aber nicht mit diesem mürrisch dreinblickenden Mann, der hinter dem mit Akten und Papieren vollbepackten Schreibtisch saß.

      Dem auffallend hübschen antiken Schreibtisch. Mit Marmorplatte, goldenen Löwenköpfen an den Ecken und kunstvoll geschwungenen Tischbeinen mit Goldmuster. Hinter ihm an der Wand stand eine längliche schwarzlackierte Kommode mit eingelassenen goldenen, blauen und roten Vögeln. Toni sah sich um.

      Das kleine Büro war vollgestopft mit diesen goldverzierten Schränken, einem Sekretär aus rötlich scheinendem Holz mit unzähligen kleinen Perlmuttladen, etwas, das aussah wie ein mit Blättern aus Porzellan dekorierter Schminktisch.

      Da waren Beistelltische mit weißen Marmorplatten, eine hellblaue Chaiselongue mit goldenen Fransen. Alle Möbel wahrscheinlich aus der Kaiserzeit. Sogar ein riesiger Stuhl mit rotem Samtbezug und Goldrahmen stand im Büro, wie ein Thron. Als hätte er Schönbrunn geplündert. Jedes Möbelstück musste ein Vermögen wert sein – wenn es denn echt war. Und auch hier waren jede Menge Aktenordner, sie türmten sich neben den Möbeln. Der Detektiv musste sein gesamtes Hab und Gut aus einem wohl größeren Büro im dritten Stock in diese viel zu kleine Kammer hier übersiedelt haben.

      „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er. Obwohl Toni sonst ziemlich gut darin war, das Alter von jemandem zu schätzen, konnte sie bei ihm nicht sagen, wie alt er war.

      „Sind Sie der Privatdetektiv?“

      Er zog die Mundwinkel hoch zu einem Grinsen. Seine erstaunlich blauen Augen lachten nicht.

      „Auf jeden Fall bin ich nicht die Vorzimmerdame. Treten Sie bitte ein.“

      Ein elegant geschwungener Scheitel teilte sein silbergraues Haar. Dazu hatte er eine dieser halben Lesebrillen, über deren oberen Rand er sie prüfend ansah. Sofort fühlte sie sich ins Gymnasium zurückversetzt. Als wäre sie erneut in die Direktion gerufen worden: Toni war schon wieder frech.

      Der Aschenbecher mit einer nicht angezündeten Zigarette am Tisch passte allerdings nicht ins Bild – in der Schule hatte striktes Rauchverbot geherrscht.

      Der Detektiv kratzte sich am Kinn, schob ein paar Zettel vor sich herum, schien jedoch nicht zu finden, was er suchte. Obwohl er saß, konnte sie erkennen, dass er groß sein musste. In der Armbeuge seines weißen Hemds war ein rötlicher Fleck zu sehen.

      „Wir haben einen Termin, ich bin Toni Lorenz.“

      Sie trat zum Schreibtisch, schüttelte ihm die Hand. Ein warmer, fester Händedruck.

      „Brehm. Sie können stehen oder sitzen, wie Sie möchten. Was kann ich für Sie tun?“

      Die Chaiselongue war voll mit Akten, darum nahm sie auf dem Thron Platz. Sonnenlicht beleuchtete das Fenster hinter ihm, es war dreckverschmiert.

      Wie sollte sie anfangen? Auf der Suche nach den richtigen Worten fiel ihr Blick auf ein Foto, das auf seinem Schreibtisch unter einem kleinen Stapel hervorlugte. Zwei junge Männer, Polizisten in Uniform, die Daumen in den Gürtelschnallen.

      „Sind Sie das auf dem Foto?“

      Er folgte ihrem Blick.

      „Nein.“

      Er schob es in den Stapel zurück.

      „Die ersten fünfzehn Minuten Beratung sind kostenlos, danach rechne ich im Dreißig-Minuten-Takt ab. Worum geht es?“

      Toni verstand den Hinweis: Brehm war nicht an Small Talk interessiert.

      „Es ist kompliziert …“

      Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, nahm die Brille ab und kaute an einem Bügel herum.

      „Komplizierte Fälle sind mein Spezialgebiet.“

      Sie musste lächeln.

      „Das klingt wie Detektivjargon.“

      „Worum es auch immer geht – unabhängig, ob der Auftrag zustande kommt oder nicht –, es bleibt alles unter uns.“

      Sie nickte, ihre Hände fingen leicht an zu zittern.

      Er sah sie erwartungsvoll an. Irgendwie hatte sie sich das einfacher vorgestellt. War es wirklich die richtige Idee, einen Privatdetektiv miteinzubeziehen? Aber was sollte sie sonst tun? Sich selbst belügen, alles wäre nur ein Missverständnis und Felix würde in Kürze wieder zu Hause auf sie warten, mit seinen Gnocchi mit Thunfischsauce, das Einzige, was er richtig gut kochen konnte? Und in der Zwischenzeit, wie wollte sie da für ihre Großmutter die Seniorenresidenz in Baden bezahlen? Geschweige denn ihre eigenen Kosten decken?

      Der Detektiv räusperte sich. Ein dezenter Hinweis, dass die Uhr tickte. Fünf, vier, drei, zwei, eins – los.

      Toni wollte gerade ansetzen, da war ein lautes Miauen zu hören. Es kam aus dem Gang vor der Tür. Gefolgt von einem Kratzen. Brehm sah sie unbeirrt an. Das Miauen wurde ein Jammern. Schmerzvoll und durchdringend.

      „Da war eine Katze, ich hab sie beim Reingehen gesehen“, sagte Toni und deutete zur Tür. Brehm seufzte, er hob die Hand, als wollte er abwinken, doch ein neues Wehklagen drang von draußen herein.

      „Entschuldigen Sie mich bitte kurz.“

      Er stand angestrengt auf, so wie jemand, der sehr, sehr müde ist und ebenfalls nächtelang nicht geschlafen hatte. Schwerfällig schlurfte er zur Tür. Als hätte er Gewichte an den Beinen. Toni konnte sich nicht vorstellen, dass Brehm eine Verfolgung auch nur fünf Meter schaffen würde. Aber wahrscheinlich arbeiteten Detektive nicht alleine, und er war nur für die Büroangelegenheiten zuständig. Das hoffte sie zumindest.

      Vor der Tür saß die Katze von vorhin und sah mit erwartungsvollem Blick zu Brehm hoch.

      „Es tut mir leid, ich hab nichts für dich“, flüsterte er mit einer Mischung aus Freundlichkeit und Genervtheit. „Morgen. Versprochen.“

      Die Katze miaute. Es klang wie ein Protest.

      „Ich weiß. Vielleicht findest du eine Maus.“

      Sie


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