Lockvogel. Theresa Prammer

Lockvogel - Theresa Prammer


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wild drauf.“

      Brehms Blick auf die Chips wirkte so sehnsüchtig wie der von Lena, wenn sie diesen neuen Superman-Darsteller sah. Jetzt wo sie neben ihm stand, wirkte er wie ein Riese.

      Er nickte, griff in die Packung, beugte sich runter und wollte ein Stück vom Kartoffelchip abbrechen. Doch die Katze stürzte sich sofort darauf, als hätte sie tagelang gehungert.

      „Ist das Ihre?“, fragte Toni.

      „Nein, ich geb ihm nur manchmal was.“

      „Ihm? Hat er einen Namen?“

      Brehm sah sie überrascht an.

      „Kater.“

      „Kater?“ Toni lächelte. „Wie in ‚Frühstück bei Tiffany‘?“ Das war der Lieblingsfilm ihrer Großmutter. Dutzende Male hatten sie ihn gemeinsam gesehen, Toni konnte ganze Szenen auswendig. Vielleicht war sie hier doch an der richtigen Adresse.

      Brehm aber verzog nur den Mund, ohne zu antworten, gab ihr die Packung zurück und schloss die Tür. Genauso müde schlurfte er zurück zum Schreibtisch, und auch Toni nahm wieder Platz. Wusste er gar nicht, was „Frühstück bei Tiffany“ war? Oder war das nur wieder ein Hinweis, dass sie sich beeilen sollte?

      „Wo waren wir gerade?“, fragte er.

      „Mein Freund ist verschwunden, Felix Meier.“

      Sie hatte es schnell hinter sich gebracht, wie ein Pflaster, das man herunterreißt. Brehm schien nicht sonderlich überrascht. Wahrscheinlich hörte er solche Geschichten öfter.

      „Wann?“

      „Vor einem Monat. Wir wohnen seit fast einem Jahr zusammen. Am Morgen hab ich mich von ihm verabschiedet, und als ich wieder nach Hause gekommen bin, war er weg.“

      „Was genau meinen Sie mit verschwunden?“

      „Er ist weggegangen und nicht mehr wiedergekommen.“

      „Ein Unfall oder dergleichen ist ausgeschlossen?“

      Sie nickte, versuchte, nicht an die Nachricht auf dem Küchentisch zu denken, die sie nicht verstanden hatte. Es tut mir leid, hatte er geschrieben, nichts weiter. Als hätte er nur vergessen, Milch zu kaufen oder den Müll runterzubringen. Sie hatte zwei Tiefkühlpizzen in den Ofen geschoben, eine Flasche Weißwein eingekühlt, war duschen gegangen. Erst als sie in ihrem Bademantel auf der Couch saß und er noch immer nicht da war, rief sie ihn an. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Ihr wurde mulmig, wenn sie daran dachte, ihr Puls beschleunigte sich.

      „Er hat seine Sachen mitgenommen und …“ – Ihr Kinn zitterte. Sie würde nicht wieder weinen, auf keinen Fall. – „… und er hat meine Bankomatkarte mitgenommen. Alles abgehoben. Auch alle Schmuckstücke meiner Großmutter, die ich für sie aufbewahre, sind weg. Und er hat den Safe leergeräumt.“

      Es hörte sich noch immer an wie ein Fehler. Als würden diese Worte und Felix gar nicht zusammenpassen.

      „Wo befindet sich der Safe?“

      „Zu Hause. Er ist in der Wohnung meiner Großmutter, sie hat ihn wegen der Wirtschaftskrise vor ein paar Jahren in die Wand einbauen lassen. Sie dachte, das Geld wäre sicherer in den eigenen vier Wänden.“

      Brehm machte sich Notizen.

      „Welche Summe?“

      „Alles zusammen etwa dreihundertachtzigtausend Euro.“ Sie sah das deutliche Zucken in Brehms Gesicht. Gleich würde er sie fragen, ob sie allen Ernstes diese Summe bei sich zu Hause aufbewahrt hatte.

      „Wie viel der Schmuck wert ist, weiß ich nicht, aber ich glaube, es muss viel sein“, sagte sie rasch. Der ist eine Wertanlage, hatte Oma immer gesagt. Und darauf bestanden, den Schmuck bei Toni zu lassen, statt ihn in die noble Seniorenresidenz in Baden bei Wien mitzunehmen. Die Toni bald nicht mehr zahlen konnte. Aber davon wusste Oma natürlich nichts. Toni spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllen wollten, und kniff sich in die Zeigefingerkuppe, um nicht zu heulen.

      „Haben Sie und Ihre Großmutter Anzeige erstattet?“

      „Nein. Wir wohnen nicht mehr zusammen. Sie ist vor zwei Jahren ausgezogen.“

      „Wegen Ihrem Freund?“

      „Was? Nein, nein, den gab es damals noch gar nicht. Die Wohnung ist im vierten Stock ohne Lift, und es wurde ihr zu beschwerlich.“

      Das war nur die halbe Wahrheit. Sie hätten genauso gut gemeinsam umziehen können. Doch Oma brauchte nach einem Sturz immer mehr Hilfe und wollte weder Toni ein Klotz am Bein sein noch eine Pflegerin anstellen, die sie herumkutschierte. „Wie sieht das denn aus, wenn mich dann so eine Matrone zu meinen Rendezvous geleitet?“, hatte sie gesagt, sich ihre weißen hochgesteckten Haare zurechtgezupft, den perlmuttfarbenen Lippenstift nachgezogen und ihr kehliges Lachen ausgestoßen. „Nein, da suche ich mir lieber gleich ein hübsches Plätzchen mit ein paar anständigen Witwern.“

      Es war alles geplant: Toni sollte ihr aus den Ersparnissen monatlich eine Art Taschengeld überweisen, für Friseur, Kosmetikerin, Bücher – Oma verschlang Krimis geradezu – und Konditorei- und Casinobesuche. Außerdem zahlte sie die Miete der Wohneinheit in der Residenz. Auf keinen Fall wollte Oma dem Heim die Finanzen offenlegen. – „Das kennt man doch, dann krallen die sich alles, und wir sehen keinen Cent mehr.“

      Es gab nur noch sie beide, und so war es ihr wichtig, ihre Enkelin gut versorgt zu wissen. „Meine liebe Toni, du bist ein junges Vogerl und sollst fliegen und dich nicht um mich alten Adler kümmern“, hatte sie bei ihrem Auszug gesagt. Sie hatten beide geheult.

      Zu Beginn war es Toni schwergefallen. Sie liebte ihre Großmutter, und obwohl sie in den ersten zwei Tagen das Gefühl der Freiheit genoss, folgte eine dunkle, einsame Phase. Doch ihrer Großmutter schien es in der Seniorenresidenz wirklich zu gefallen. Sie blühte auf. Und das half Toni loszulassen. Nach den Startschwierigkeiten war sie geflogen. Freunde, Partys, Schauspielschule, die große Liebe. Und dann diese Bruchlandung. Ja, es war die richtige Entscheidung gewesen hierherzukommen.

      „Was macht er beruflich?“, fragte Brehm.

      „Homepages. Layouts, die man dann kaufen kann.“

      Felix war mit seinem MacBook verwachsen gewesen, als wäre es seine dritte Hand.

      „Und haben Sie das alles bei der Polizei gemeldet?“

      Sie schüttelte den Kopf.

      „Ich wollte nur eine Vermisstenanzeige aufgeben, aber der Beamte meinte, es hat in diesem …“, sie machte Gänsefüßchen in die Luft, „… Ich-hole-nur-mal-Zigaretten-Fall wenig Sinn.“

      „Warum haben Sie nichts von dem Diebstahl gesagt?“

      Toni zuckte mit den Achseln. Nicht, weil sie es dem Detektiv nicht sagen wollte. Sondern sie zweifelte daran, dass er es verstehen würde.

      Brehm hob eine Augenbraue, schürzte die Lippen, als würde er auf eine Erklärung warten. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und verschränkte die Finger.

      „Sie hoffen, dass sich alles als Missverständnis rausstellt? Oder Ihr Freund sich in Schwierigkeiten befindet, und deshalb wollen Sie ihm nicht noch mehr Ärger bereiten?“

      Sie senkte den Blick – überrascht, wie sehr er ins Schwarze getroffen hatte.

      „Auch wenn ich ihn anzeige, was sollte das bringen? Die Polizei hat sicher Wichtigeres zu tun, als ihn zu suchen.“ Sie merkte selbst, wie wenig überzeugend es klang.

      Natürlich war das eine Ausrede. Aber es ging nicht nur um Felix. Erstattete sie Anzeige, würde ihre Großmutter davon erfahren. Und die Residenz. Toni wollte sich nicht ausmalen, wie die Leitung auf finanzielle Nöte reagieren würde. Und ihre Großmutter spielte dort mit Freundinnen Canasta und Schnapsen, sie war die „Grande Dame“ mit mehreren Verehrern, die sie zum Tanzen und in den Park zum Flanieren ausführten.

      Toni war zu ihrer Oma gekommen, da war sie gerade mal vier Jahre alt gewesen. Sie war nicht nur


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