Lockvogel. Theresa Prammer

Lockvogel - Theresa Prammer


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trugst. Als wäre das etwas Vertrautes, ein versteckter, dezenter Hinweis auf deinen Charakter. Ein geliebtes Überbleibsel aus der Zeit, bevor du dir alles leisten konntest, wovon du früher nur geträumt hast.

      „Bitte, erzählen Sie etwas über sich“, hast du die hübsche Dunkelhaarige neben mir aufgefordert. Sie sah aus wie Schneewittchen, Haare so schwarz wie Ebenholz, Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut. Nach ihr war die Rothaarige dran, mit der wallenden Mähne und einem so glänzenden Teint, als wäre sie eine Porzellanpuppe. Aus der Sonderedition mit blitzblauen Augen und Sommersprossen. Sie wirkte völlig entspannt. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Als würde das hier zu ihrer täglichen Routine gehören. Danach sprach die dritte, du hast sie gar nicht aufgefordert. Schmales Gesicht, blonder Pagenkopf. Selbstbewusst, fokussiert, mit der kühlen und doch weiblichen Ausstrahlung eines Stars aus den Fünfzigerjahren.

      Alle drei waren richtig schön und so elegant in ihren Business-Kostümen und den passenden Pumps. Haare wie frisch vom Frisör. Dezentes Make-up. Und ich dachte noch: Vielleicht war es ein Missverständnis, dass ich hier war? Und dass mir deshalb niemand gesagt hatte, dass es einen Dresscode gab und ich nun in zerrissenen Jeans, weißen Sneakers und schwarzer Seidenbluse dasaß, die Haare zu einem unordentlichen Dutt gebunden. War das der Grund, warum deine Wahl auf mich fiel? Und nicht auf eine der drei anderen?

      Oder war es etwas, das ich gesagt habe?

      Das Rauschen legte an Tempo zu, die Luft wurde stickiger. Edgar musste aufstehen, herumgehen. Die Buchstaben verschwammen mit jedem Schritt mehr. Kleine Lichtblitze tauchten vor seinen Augen auf. Er spürte Chanels Blick, mit dem sie ihn fixierte. Das war sicher nur der Stress, nichts weiter. Er kratzte sich am Kinn, tat so, als würde er nachdenken.

      „Kennt Ihr Mann dieses Schreiben?“

      „Nein. Und ich weiß auch: Wir sind nicht in Hollywood, aber …“ Ihre Augen wurden glasig, ihr Blick starr. Sie räusperte sich, straffte die Schultern. „… aber es reicht schon, wenn man über die Grenze nach Deutschland sieht. Sie können sich sicher vorstellen, was dieses Schreiben, seit #MeToo so modern geworden ist, für Folgen hätte. Das sind ja gigantische Hetzjagden, die da durch die Medien ziehen“, sagte sie bemüht sachlich.

      Handelte es sich hier um sexuelle Nötigung? Wollte sie Gewissheit darüber haben? Oder hatte sie nur Angst um den Ruf ihres Mannes? Sie verschwieg eindeutig etwas. Unter anderen Umständen würde Edgar jetzt fragen, ob sie annahm, dass ihr Mann in Bezug auf dieses Thema etwas zu befürchten hatte. Aber er konnte das hier nicht in die Länge ziehen. Er nahm ein paar tiefe Atemzüge, dann wurde es ein wenig besser.

      Ich wollte dir gefallen. Natürlich wollte ich das. Eine Rolle in deinem Film würde alles ändern. Keine Gelegenheitsjobs mehr, keine unnützen Vorsprechen mehr für miserable Produktionen, um wenigstens irgendwo spielen zu können. Keine Nudeln mit Käse, Toast mit Käse, Kartoffeln mit Käse, weil schon am Monatsanfang klar war, dass das Geld nicht bis zum Ende reichen würde.

      Wie erleichtert ich war, als du mich bei meinem Namen genannt hast. Also kein Missverständnis.

      Ich glaube, du hast es gemerkt. Es sah aus, als würdest du ein Grinsen unterdrücken, es wegräuspern. Ich habe dir erzählt, wer ich bin, was ich gemacht habe. Du warst so nett und freundlich zu mir. Ich mochte dich. Habe mich geschmeichelt gefühlt vom Interesse eines so erfolgreichen Regisseurs.

      Das ist der Moment der Geschichte, wo ich mir wünschte, ich könnte alles verändern, was danach passiert ist. Als wir alleine waren.

      „Ich möchte Sie gerne wiedersehen.“

      Fünf Worte, die mich zugleich in den Himmel gehoben und in die Hölle gestoßen haben. Klinge ich zu dramatisch?

      „Können Sie die Angst in sich loslassen?“

      Ich hasse dich für diese Frage. Ich hasse es, dass du sie mir gestellt hast. Denn du hast es nur getan, weil du nicht die Schauspielerin gesehen hast, sondern die Frau, die so dringend einen Job sucht.

      Deine Worte sind wie ein Echo in meinem Kopf. Ich wünschte, ich hätte nicht genickt. Aber es sollte doch eine Ehre sein. Schließlich bist du das Genie. Und hast mich auserwählt.

      Du hast mir gesagt, ich wäre wunderbar. Schön. Talentiert. Dass du in mir etwas erkennst, das du bei anderen Schauspielerinnen vergeblich suchst. Meine Verletzlichkeit. Und dann hast du dir ganz langsam und zart genommen, was du wolltest. Eingepackt in all die wunderbaren Worte und deine Pläne für meine Zukunft. Ich war verwirrt. Alleine in meiner Wohnung habe ich dich gehasst, für das, was du getan hast, und mich noch viel mehr, dass ich es zugelassen habe. Ich habe mich unter der Dusche geschrubbt, bis meine Haut wund war. Zu dem nächsten Treffen bin ich nur gegangen, weil ich dir sagen wollte, dass es falsch ist, was du tust. Voller guter Vorsätze kam ich zu dir. Doch dann habe ich dir zugehört, und es hat nicht lange gedauert, bis ich meinen Widerwillen für hysterisch und verrückt erklärt habe. Das war doch alles ganz normal. Nichts dabei. Du warst so klug, so reflektiert, so eloquent. Nein, ein Mann wie du würde seine Position doch niemals ausnutzen, wenn er mir sagt, was ich tun sollte, wie er mich haben will. Und so ging es weiter.

      Ich weiß nicht, was dann passiert ist. Irgendetwas in mir hat sich selbstständig gemacht, an diesem Abend im Juni. Du hast mich berührt, und mein Körper hat so sehr zu zittern begonnen. Ich konnte kaum atmen. Hab nur noch geheult. Wenn ich jetzt daran denke, hat es dich gar nicht erstaunt, oder?

      Du hast mich angezogen und nach Hause gebracht. Die halbe Nacht hast du mich im Arm gehalten und gesagt, es täte dir so leid. Du wolltest mir niemals dieses Gefühl geben. Zum ersten Mal habe ich mich bei dir geborgen gefühlt. Beim Abschied hast du mich auf die Stirn geküsst und gesagt: „Alles wird gut.“

      Ich wusste nicht, dass es das letzte Mal sein sollte, dass du mit mir sprichst. Du hast meine Anrufe ignoriert. Bist an mir vorbeigegangen, als wäre ich eine Fremde. Als hätte es das alles nie gegeben. Erst da habe ich es verstanden: Ich war nicht deine Auserwählte. Ich war dein Spielzeug.

      Doch das wird sich jetzt ändern.

      Edgar ließ das Heft mit einem schweren Seufzen sinken. Ihm war ein wenig übel geworden. Der Tagebucheintrag hatte es in sich. Dazu kam noch sein eigener gesundheitlicher Zustand.

      Irgendwas irritierte ihn besonders an der letzten Zeile, aber er bekam es nicht zu fassen.

      „Kein Zweifel, dass Ihr Mann gemeint ist?“

      Er konnte das Rauschen ignorieren, musste einfach nur lauter sprechen, über das Geräusch hinweg.

      „Es stimmt alles: die Beschreibung, die Uhr, die Schuhe.“ Sie sprach weiter, aber ihre Worte wurden immer unverständlicher. Als stünde sie hinter einer Wasserwand.

      Brehm wollte ihr sagen, dass er sich um alles kümmern würde. Kurt würde sich darum kümmern. Er war genau der Richtige für solche Fälle. Da – wieder ein Stich in der Brust. Hatte er heute Morgen die verordneten Medikamente genommen? Oder war das gestern Abend? Edgar wusste es nicht mehr. Er musste Kurt fragen. Kurt wusste solche Sachen immer. Gerade, als er nach dem Handy greifen wollte, fiel es ihm ein. Er konnte Kurt nicht anrufen. Wieder ein Stich in der Brust. Ihm wurde noch heißer. Seine Knie gaben nach.

      „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte Chanel.

      Da wurde es schwarz um ihn.

      Toni hörte von der Couch hinter sich ein Grummeln, als sie den Lieferservice bezahlte. War das wieder der kleine Bär in Brehms Magen, der nach Essen verlangte? Oder machte er diese Geräusche im Schlaf?

      Um ihn herum lagen die verstreuten Akten, die die Rettungssanitäter auf den Boden geworfen hatten, damit sie den großen und schweren Körper Brehms unter Stöhnen und Ächzen auf der Chaiselongue ablegen konnten. Er schlief noch immer. Seine Augenlider flatterten leicht. Er war wirklich riesig, sie schätzte ihn auf mindestens 1,90. Mit ihren 1,56 Metern Körpergröße hatte Toni sich angewöhnt, bei Gesprächen mindestens zwei Schritte Abstand zu halten, um nicht in Genickstarre zu verfallen. Aber bei Brehm würde sie mehr brauchen.

      Er


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