Die brennende Giraffe. Achim Goldenstein

Die brennende Giraffe - Achim Goldenstein


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Er schnipst die Zigarette hinaus in den Garten. Der Stummel fällt in Richtung der umgestoßenen Gartenmöbel und der in tausend Teile zerbrochenen Skulpturen auf der Terrasse. Die Skulpturen waren stumme Zeugen seines letzten Wutanfalls, bevor er sie eine nach der anderen zertrümmerte. Seine Gedanken vermischen sich mit dem Gebimmel der Kirchenglocken. Abreißen sollte man das alte Gemäuer. Er sieht seine Frau vor sich, wie sie ihre Hände schützend vors Gesicht hält, als er zulangt. Er hört ihr Geschrei, das verstummt, als er ein weiteres Mal zuschlägt. Diesmal mit der geballten Faust. Sie will es ja nicht anders.

      Was bildet sie sich auch ein, ihn auf dem langweiligen Fest bloßzustellen? Er sieht das hinabtropfende Blut ihrer aufgeplatzten Lippe und wie es Flecken auf dem marmorierten Boden hinterlässt. Irgendwann fällt sie um. Sie verschmiert mit ihrem nuttigen Kleid das Blut auf dem Boden, als er ihr den ersten Tritt verpasst und sich ihr Körper krümmt.

      Er sieht den hilflosen Ausdruck ihrer Augen, wie schon so oft, als das Gewebe um ihre Augenhöhlen rot und blau anschwillt.

      Er erinnert sich an das unterdrückte Wimmern seiner beiden Jungs, die durch das Küchenfenster lauern, und wie sie die Treppe hinaufschleichen, um sich in ihren Zimmern zu verstecken. Sollen sie ruhig sehen, dass der Mann der Herr im Hause ist. Das wird sie nur härter machen. Seine bornierte Frau hat die Burschen schon viel zu lang verwöhnt und verweichlichen lassen. Allein dafür sollte er ihr eine weitere Tracht Prügel verpassen. Er ballt die Finger zur Faust, bevor er sich mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn wischt. Seinen Körper durchzieht wieder eine hitzige Welle, und ihm bricht der Schweiß nun auch auf dem Oberkörper und an den Händen aus.

      Er betrachtet seinen nagelneuen Maßanzug, der zerknüllt neben der kunstvoll gearbeiteten Kommode auf dem Boden liegt. Das Möbelstück würde er am liebsten aus dem Fenster werfen, doch seine Frau hält daran fest. Es sei ein Erbstück. Das Jackett hat er während des Abendessens im Lokal der deutschen Schlampe mit fettiger Soße bekleckert. Schade um das gute Stück. Sie sind erst gut dreißig Minuten zurück, und seitdem steckt seine Frau im Bad und zupft und macht an sich rum. Sie soll sich bloß nicht so anstellen. Er und blickt hinüber zur Tür des Bades, die nur einen Spaltbreit geöffnet ist. Gerade weit genug, um zu erkennen, wie seine Gattin vor dem großen ovalen Spiegel steht, der über dem Waschtisch prangt. Er hört, wie das Wasser unentwegt läuft und ärgert sich über diese Angewohnheit jedes Mal aufs Neue. Hätte sie sich nicht mit der Schlampe eingelassen und ihn blamiert, müsste sie nun nicht ihre Blessuren pflegen und ewig das Bad blockieren. Ihm kommen die Leute aus dem Restaurant in den Sinn und wie alle nach seiner Frau gafften, die wieder eine ihrer bescheuerten Sonnenbrillen trug. Sollen sie sich doch um ihren Scheiß kümmern. Aber das Essen war verdammt gut. Kochen kann das Flittchen, das muss man ihr lassen. Der Schmortopf war besser als der, den seine Mutter zubereitet. Das will schon was heißen. Besonders gut waren die Cannéles mit Vanillegeschmack. Eigentlich steht er sonst nicht auf diesen Süßkram. Er hatte geplant, seine Frau nach dem Essen noch ordentlich ranzunehmen. Insbesondere jetzt beschleicht ihn die Geilheit, wo sie einen Fuß auf den Waschtisch gestellt hat, und ihr hübscher Arsch richtig zur Geltung kommt. Er will sich gerade in den Schritt greifen, da schießt ihm erneut die Hitze durch jede Faser. Er rätselt, ob er krank wird, oder ob mit dem Essen etwas nicht in Ordnung war. In diesem Zustand wird er garantiert keinen hochkriegen. Er bekommt Durst und verlässt das Schlafzimmer, um hinunter in die Küche zu gehen. Im Flur fällt ihm auf, dass an der rechten der beiden Kinderzimmertüren neuerdings ein Aufkleber heftet. Sein Sichtfeld ist eingetrübt. Es will ihm nicht gelingen, das Comicmotiv auf dem Aufkleber zu erkennen.

      Und so sieht der Mann auch nicht den seltsamen, blau anmutenden Glanz, den seine Pupillen versprühen, als er am großen Wandspiegel vorbeischlurft. Am Treppengeländer muss er sich abstützen, weil sein linkes Bein lahmt. Seine Hände zittern. Mühevoll steigt er die Edelholztreppe hinab. Als er nur noch vier Stufen bis nach unten braucht, wird die Hitze unerträglich und zerfetzt ihm jede Faser im Leib. Er will schreien und reißt den Mund auf. Es gelingt ihm nicht, einen einzigen Ton herauszubringen. Er verliert das Bewusstsein und stürzt mit dumpfem Gepolter die restlichen Stufen hinab. Regungslos liegt er im Foyer auf der kleinen, handgeknüpften Matte vor dem Treppenaufgang. Durch die offenen Türen dringt das leise Rauschen des laufenden Wassers im Bad.

      Kapitel 2

      Über die zu oft gesehene Kommissarin im sonntäglichen Prime-Time-Krimi der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland hätte sich Elisa für gewöhnlich furchtbar echauffiert. Sie kann die herablassende Art zu Ermitteln noch weniger leiden als die arrogante Schauspielerin selbst. An diesem Abend aber wird ihre Abneigung überflügelt von Gleichgültigkeit. Gedankenverloren steht Elisa am Fenster und sieht hinunter auf die regennasse Straße. Ihr Blick folgt den an der Fensterscheibe hinabrinnenden Regentropfen. Die Wasserperlen brechen das Licht der flackernden Neonreklame an der Häuserfront der anderen Straßenseite und streuen es. Hunderte kleiner Lichtstrahlen spiegeln sich in Elisas Augen.

      Ihre Wohnung liegt im zweiten Stock eines Mehrparteienhauses mit rot geklinkerter Fassade. Im Erdgeschoss befindet sich eine Bankfiliale. Die Namen der Menschen in der Etage oberhalb ihrer Wohnung kennt sie nicht, nicht einmal von den Briefkästen im Hausflur. Die Nachbarn in derselben Etage haben einen nervtötenden Hund, und Elisa siezt das ältere Ehepaar auch nach sieben Jahren noch. Und erst heute fällt ihr auf, dass die Werbetafel ein blaues Licht wirft.

      Das Getöse eines anfahrenden Lastwagens lässt die Decken und die Wände vibrieren und reißt sie aus ihrer Lethargie. Sie nimmt die Fernbedienung vom Wohnzimmertisch, die zwischen Weinglas und einer Schale mit Kräckern liegt. Als sie das Programm umschaltet, informiert sie ein Mittfünfziger mit Dialekt darüber, dass die Wettervorhersage für den morgigen 26. September keine einzige Sonnenstunde verspricht. Elisa bringt den Fernseher zum Verstummen und lässt die Fernbedienung auf den Boden fallen. Sie lümmelt sich auf das Sofa und hebt die Beine, die sie hoch über die Lehne ausstreckt. Mit ihren nackten Füßen ertastet sie die kalte Wand, die sie vor Monaten hat streichen lassen. Das blasse Grün hat eine Freundin ausgewählt, der sich Elisa in Sachen Renovierung anvertraut hat. Eigentlich hätte an dieser Stelle längst ein Bild hängen sollen. Die kryptische Fotografie einer Metropolenskyline soll dem Raum Glanz und ihren Träumen Aufwind verleihen, doch das Kunstwerk liegt seit längerer Zeit zusammen mit angebrochenen Farbeimern und Teppichresten im unaufgeräumten Wirtschaftsraum – allein wegen des simplen Fehlens eines handelsüblichen Nagels. Einmal mehr nimmt sich Elisa vor, gleich morgen eine Packung Nägel zu kaufen.

      Hin- und hergerissen zermartert sich Elisa den Kopf, wie sie sich entscheiden soll. Sie schwenkt das Glas und betrachtet den Riesling vom St. Urbans-Hof, als könnte ihr der edle Wein die Entscheidung abnehmen.

      Am darauffolgenden Morgen fährt Elisa mehr aufgekratzt als aufgewühlt ins Büro. Sie hat trotz nur weniger Stunden Schlaf auffallend gute Laune. Dieser Umstand fällt, wie auch alle anderen Umstände, allerdings keinem ihrer Kollegen auf. Sie ist schon zufrieden, wenn jemand den Kopf hebt und einen Guten Morgen wünscht.

      Sie begibt sich an ihren Arbeitsplatz, startet den Rechner und schreibt eine E-Mail an die Personalabteilung, in der sie für die kommende Woche aus familiären Gründen Urlaub anmeldet. Dann kramt sie einen braunen Umschlag hervor, der eine rätselhafte Einladung enthält. Elisa ist weniger über deren Inhalt erstaunt als darüber, dass er nicht per Post zugestellt wurde. Der Umschlag lag vor ein paar Tagen plötzlich auf ihrem Schreibtisch. Seitdem ringt sie tagein, tagaus mit der Frage, ob sie es tun oder bleiben lassen soll. Das Kuvert beinhaltet eine handgeschriebene Karte. Absenderangaben sind nicht zu finden, doch die Handschrift verrät Elisa den Verfasser. Säuberlich untereinander steht:

      N 53 17.617 E 007 13.787

      2 Stunden vor dem nächsten Neumond

      Hab 168 Stunden im Gepäck

      Als sie gestern Abend die Weinflasche leer getrunken hatte, war ihr Entschluss gefasst, ihn wiedersehen zu wollen. Sie sehnt den Tag herbei, auf die idyllische Plattform einer verlassenen Bohrinsel unmittelbar hinter dem Nordseedeich zurückzukehren. Dabei wird es nicht Tag sein, sondern Nacht. Will sie pünktlich zum genannten Zeitpunkt erscheinen, wird sie um etwa anderthalb Stunden


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